Einleitung
Mein Kampf gilt heute gemeinhin als ein verquaster, wirrer, schwer lesbarer Text, dessen brutale und menschenverachtende Botschaften immer wieder scharf mit Passagen kontrastieren, die sprachlich und stilistisch unfreiwillig komisch wirken. Und in der Tat ist Hitlers Schrift voll von solchen Entgleisungen – nicht nur aufgrund ihrer vielen schiefen und falschen Formulierungen76 sowie ihrer zahlreichen grammatikalischen Fehler, von denen trotz mehrfacher Überarbeitungen des Texts bis 1944 beileibe nicht alle entdeckt und korrigiert wurden. Hitlers Sprache in Mein Kampf ist pathetisch bis hin zum Schwulst, seine Vorstellung von korrekter Wortstellung ist, vorsichtig formuliert, eigenwillig, sein notorischer Wiederholungszwang, der freilich auch einem propagandistischen Kalkül folgt77, sorgt für enorme Redundanz, während vulgäre und klischeehafte Sprachbilder sowie eine schier »unstillbare Neigung zur strömenden Phrase«78 beharrlich daran erinnern, dass Hitler sich seit 1919 vor allem als antisemitischer und antidemokratischer Demagoge einen Namen gemacht hatte und gerade nicht als professioneller politischer Publizist. All dies blieb schon vielen Zeitgenossen nicht verborgen – nicht nur den ideologischen Gegnern, deren oft süffisante Kritik an Hitlers Stil und Sprache immer auch politisch intendiert war. Aufschlussreich ist auch eine Tagebuchaufzeichnung von Joseph Goebbels vom 10. Mai 1931, einem Zeitpunkt, als Goebbels den Anspruch Hitlers auf die alleinige Führung der NSDAP längst akzeptiert hatte: »Hitlers ›Kampf‹ gelesen. Das Buch wirkt ehrlich und tapfer. Nur der Stil ist manchmal unausstehlich. Man muß dafür sehr weitherzig sein. Er schreibt wie er erzählt. Das wirkt zwar unmittelbar, aber auch oft ungekonnt.«79
Dass für Hitler die Rede wesentlich wichtiger war als das geschriebene Wort, betonte er selbst bereits im Vorwort von Mein Kampf. »Jede große Bewegung auf dieser Erde«, so heißt es dort, verdanke »ihr Wachsen den großen Rednern und nicht den großen Schreibern«80. Diese fast schon entschuldigend wirkende Feststellung, die noch an zwei weiteren Stellen des Buchs wiederholt wird81, enthüllt auch Hitlers Zweifel an seinen Fertigkeiten als Schriftsteller. Gegenüber Siegfried Wagner gestand er am 5. Mai 1924 sogar: »Ich bin kein Mann der Feder und schreibe nur schlecht, umsomehr [sic!] als ich glaube[,] meinem Volk weniger Worte als Werke schuldig zu sein.«82 Nicht zufällig entstand Mein Kampf denn auch in einer Zeit, in der äußere Umstände den Auftritt des Redners Hitler verhinderten – zunächst durch seine Landsberger Festungshaft, danach durch die Redeverbote, die 1925 in mehreren deutschen Ländern bestanden, unter anderem in Bayern und Preußen. Somit war Hitler damals weitestgehend auf die schriftliche Propaganda zurückgeworfen. Ohne seine Haft, so seine durchaus glaubwürdige Erklärung im Februar 1942, hätte er Mein Kampf nie geschrieben. 83
Und dennoch – Hitlers Sprachstil in Mein Kampf ist in vielerlei Hinsicht für seine Zeit nicht ungewöhnlich. Es wäre daher falsch, in diesem Text lediglich eine bloße Aneinanderreihung lachhafter und singulärer Stilblüten zu sehen. Selbst ein so scharfer Kritiker wie Joachim Fest hat Hitler attestiert, dass sich in Mein Kampf »inmitten aller hochtrabenden Unordnung der Gedanken […] nicht selten auch treffende Formulierungen und eindrucksvolle Bilder«84 finden. Zu den sprachlichen Mitteln Hitlers, die für die Weltanschauungsliteratur der Jahrhundertwende durchaus charakteristisch waren und die sich, so Helmuth Kiesel, »auch in den Programm- und Propagandaschriften anderer militanter Gruppen«85 jener Zeit finden, zählen vor allem die nimmermüde Wiederholung derselben affektiven Begriffe, der häufige Einsatz starker Übertreibungen (Hyperbeln) – verwiesen sei hier nur auf eine Wendung wie »erbärmlichste Kapitulation aller Zeiten«86 für das Kriegsende 1918 –, die häufige Nutzung der ersten Person Plural87 sowie der verschwenderische Gebrauch des Superlativs. Mit Vorliebe verwendet Hitler in Mein Kampf apodiktische Formulierungen wie »immer und ewig«, »monumental« und »gigantisch«. 88 Einfache Wörter verstärkt er oft durch Präfixe wie »aller-« (etwa »allergenialst«, »allerverlogenst«), »riesen-« (»Riesenkampf«), »über-« (»aus übervollem Herzen«) und »ur-« (»urgesund«). 89 Dem Effekt der dramatisierenden Steigerung dienen auch Vokabeln wie »absolut«, »unbedingt« und »restlos« – allein die letztgenannte findet sich an mehr als 50 Stellen in Mein Kampf.
Auch das in Hitlers Buch allgegenwärtige biologistische Vokabular hatte gerade in ideologischen Schriften der Jahrhundertwende Konjunktur. Erinnert sei nur an Begriffe wie »ausmerzen« und »Lebensraum« sowie an rassenideologische Diffamierungen der Juden als »Schädlinge« oder »Bazillenträger«. 90 Dasselbe gilt für so aggressive Termini wie »vernichten«, »vergiften« und »verderben«, die den gesamten Text von Mein Kampf durchziehen und die, um nur zwei Beispiele zu nennen, schon die Sprache in Houston Stewart Chamberlains Schrift Arische Weltanschauung (1905) und in Heinrich Claß’ einflussreichem Traktat Wenn ich der Kaiser wär’ (1912) prägten. 91 Ebenso symptomatisch für Mein Kampf ist eine dezidiert militärische Metaphorik. So spricht Hitler etwa im Kapitel Weltanschauung und Partei (II/1) von der angeblich »geschlossenen feindlichen Front« der politischen Linken und rechnet es zu den Leistungen der frühen NSDAP, in ihrem »Widerstand« gegen die angeblich »verbrecherische Weltanschauung« des Gegners die »Parole einer schwächlichen und feigen Verteidigung mit dem Schlachtruf mutigen und brutalen Angriffs vertauscht« zu haben. 92 Ausdruck dieses Stils ist auch, dass sich Hitler in seinem Text nicht weniger als zwölfmal der Wendung »mit einem Schlage« bedient. 93 Nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs waren solche militärisch konnotierten Formulierungen in der politischen Sprache der 1920er Jahre allerdings durchaus geläufig; ein Spezifikum Hitlers waren sie nicht. 94
Doch auch unauffälligere stilistische Elemente in Mein Kampf sind oft zeitbedingt, so etwa die große Anzahl von Sprichwörtern, die in den Text verwoben sind. 95 Die damals ungleich populärere Anlehnung an Sprichwörter und Wendungen aus bekannten literarischen Werken hatte immer auch den Zweck, Inhalte möglichst plastisch, nachvollziehbar und für die Leser leichter merkbar zu machen; durch das »gelegentliche Einstreuen einschlägiger Zitate aus dem Bildungsschatz« folgte Hitler einer »klassische[n] Strategie zur Beglaubigung geschriebener Texte«96. Indes wird auch hier rasch eine manipulative Absicht erkennbar, da in Mein Kampf geflügelte Worte und literarische Wendungen immer wieder in andere, völlig fremde Kontexte gezwungen werden. So rekurriert Hitler beispielsweise in seinen Ausführungen zur »Rassenhygiene« auf die religiöse Formel »Gott sei Lob und Dank«97, während die berühmte Sentenz »Sein oder Nichtsein« aus William Shakespeares Hamlet gleich sechsmal in einem dezidiert kriegerisch-militärischen Sinn Verwendung findet. 98
Kennzeichnend für Mein Kampf sind ferner zahlreiche Entlehnungen bei Schriftstellern der deutschen Klassik, in erster Linie bei Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller, ebenso wie bei Philosophen des 19. Jahrhunderts, allen voran Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche. Unter den Werken Schillers, auf die Hitler in Mein Kampf rekurriert, ragen die Dramen Wilhelm Tell und Wallenstein heraus; eine Wendung aus Wilhelm Tell wurde sogar namengebend für ein ganzes Kapitel: Der Starke ist am mächtigsten allein (II/8). Goethe-Zitate nutzt Hitler unter anderem, um den Dichter für die eigene, antisemitische Ideologie zu instrumentalisieren. So werden die Juden im Kapitel Volk und Rasse (I/11) nicht zuletzt durch die Anlehnung an eine berühmt gewordene Selbstbeschreibung des Mephistopheles aus Goethes Faust als Teufel stigmatisiert. 99 Charakteristisch für Mein Kampf sind darüber hinaus kämpferische Sprichwörter, die vorzugsweise aus dem Mittelalter stammen: »Spiegelfechterei«, »jemanden aus dem Felde schlagen«, »die Lunte ans Pulverfass legen«, »gegeneinander Sturm laufen«, »Kampf auf Leben und Tod«. 100
Besonders auffällig für Mein Kampf ist indes die Häufigkeit und nonchalante Selbstverständlichkeit, mit der Hitler eigentlich negativ konnotierte Begriffe, etwa »rücksichtslos«, »brutal« und vor allem »fanatisch«, in einem dezidiert positiven Sinn verwendet – ein Phänomen, das der Romanist Victor Klemperer bereits 1947 hellsichtig als grundsätzliches Charakteristikum des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs beschrieben hat. 101 Stilbildend hierfür war nicht zuletzt Mein Kampf. So bezeichnet Hitler im Kapitel Beginn meiner politischen Tätigkeit (I/8) es als herausragende Leistung Gottfried Feders, »mit rücksichtsloser Brutalität den […] volkswirtschaftsschädlichen Charakter des Börsen- und Leihkapitals festgestellt« zu haben. Im Kapitel Der Staat (II/2) behauptet er, dass ohne »fanatische, ja hysterische Leidenschaft« die »größten Umwälzungen« der Geschichte »nicht denkbar gewesen« wären. Und im Kapitel Grundgedanken über Sinn und Organisation der S. A. (II/9) hält Hitler apodiktisch fest: »Die Überzeugung vom Recht der Anwendung selbst brutalster Waffen ist stets gebunden an das Vorhandensein eines fanatischen Glaubens an die Notwendigkeit des Sieges einer umwälzenden neuen Ordnung auf dieser Erde«. 102
Überraschend sind ferner die annähernd 700 Fremdwörter in Mein Kampf. 103 Begriffe wie »suggestiv«, »Jargon«, »Agitator«, »eklatant« und »okkupierend«104 sollten dem Buch und seinem Autor wohl den Anstrich von Bildung und Belesenheit verleihen – ein Versuch, der eigentümlich mit Hitlers gleichzeitigem Bemühen kontrastiert, keinesfalls zu den als feige, passiv und selbstzufrieden geltenden »Intellektuellen« gerechnet zu werden. 105 Dass Hitler kein Feind von Fremdwörtern war, geht auch aus einer Äußerung im vertrauten Kreis seiner Mitarbeiter vom 7. März 1942 hervor: »Seien wir doch froh, über möglichst viele Ausdrucksmittel zur Nuancierung zu verfügen! Seien wir dankbar für die Klangfarben der uns zu Begriffen gewordenen Fremdworte!«106
Besonders kennzeichnend für Hitlers Sprache in Mein Kampf ist schließlich seine Tendenz zum Nominalstil107, mit dem Hitler seinen Ausführungen »Monumentalität zu geben«108 versuchte. Hitlers zahlreiche Substantivbildungen verleihen dem Text einen dezidierten »Schlagwortcharakter«109 – so ist etwa im Kapitel Die Revolution (I/7) die Rede von einer »geistigen Verprassung des Heldentums der Armee«, während Hitler im Kapitel Die Gewerkschaftsfrage (II/12) betont, aus Sicht einer »nationalsozialistische[n] Gewerkschaft« sei »der Streik nicht ein Mittel zur Zertrümmerung und Erschütterung der nationalen Produktion, sondern zu ihrer Steigerung und Flüssigmachung [sic!]«. 110 Zu den charakteristischen Stilmitteln des Texts zählen weiterhin der häufige Gebrauch von Modalpartikeln wie »ja«, »doch«, »eben«, »ja überhaupt« und »nun einmal«, durch die immer auch suggeriert werden soll, Hitlers Behauptungen und Schlussfolgerungen stünden auf einer unerschütterlichen Basis naturgesetzlicher Gewissheiten: »Wer leben will«, so etwa der Tenor im Kapitel Volk und Rasse (I/11), »der kämpfe also, und wer nicht streiten will in dieser Welt des ewigen Ringens, verdient das Leben nicht. Selbst wenn dies hart wäre, so ist es aber nun einmal so.«111 Ein weiteres Charakteristikum sind auch die zahlreichen eigenwilligen, mitunter befremdlichen Komposita, von denen hier nur Wortschöpfungen wie »verantwortlichseinsollend«, »kleinherzig-partikularistisch«, »weniggeistig« und »kindlichblödsinnig« genannt seien. 112
Auffällig ist auch, wie Hitler immer wieder Fragen in seinen Text einstreut und so seine Leser vorgeblich in seine jeweiligen Überlegungen miteinbezieht. Im Extremfall füllen Reihungen von Fragen sogar fast ganze Seiten113; offenbar versprach sich Hitler hiervon eine besonders starke Wirkung auf seine Leser. Viele dieser Fragen beantwortet Hitler freilich sogleich in seinem Sinne, so etwa im Kapitel Kriegspropaganda (I/6): »An wen hat sich die Propaganda zu wenden? An die wissenschaftliche Intelligenz oder an die weniger gebildete Masse? Sie hat sich ewig nur an die Masse zu richten!«114 Andere Fragen lassen sich sogar nur als rhetorisch verstehen. 115
Wie stark sich zeitgenössische Leser von Hitlers Ausführungen überzeugen ließen, hing – neben ihrer eigenen ideologischen Disposition – auch davon ab, wie glaubwürdig und einleuchtend ein weiteres zentrales Stilmittel des Buchs auf sie wirkte: die systematische und rigorose Reduktion komplexer Zusammenhänge auf ein einfaches »Schema von Gut und Böse, von Ja und Nein, von Schön und Häßlich, von Wahr und Falsch«116 und schließlich von »Freund und Feind«. Entsprechende Dichotomien und harte Kontrastierungen finden sich im gesamten Text, sowohl in Bezug auf die Stellung des deutschen Volks in der Welt – so heißt es etwa im Kapitel München (I/4): »Im ewigen Kampfe ist die Menschheit groß geworden und nur im ewigen Frieden geht sie zugrunde«117 – als auch im Hinblick auf die Verhältnisse innerhalb des Deutschen Reichs. Sie dienten vornehmlich jenem Zweck, den Hitler in entlarvender Weise in seiner Schrift selbst benennt: Aus der Perspektive »der Masse der eigenen Anhänger« solle »der Kampf« stets nur »gegen einen Feind allein geführt« werden, auch wenn es sich in Wirklichkeit um eine »Vielzahl von innerlich verschiedenen Gegnern« handle; andernfalls drohe eine »Lähmung der eigenen Kraft«118. Die Funktion jenes monolithischen Feindbilds, das für alles Übel verantwortlich gemacht werden sollte, übernimmt in Mein Kampf, wie schon in vielen anderen völkischen Pamphleten jener Zeit, »der Jude«119 – ein von Hitler bewusst und mit Berechnung gebrauchter Singular, der auf eine Deindividualisierung abzielt. 120 Das Judentum soll als ein homogenes und verschworenes Kollektiv erscheinen, dem man sich folglich nur als ein Ganzes »erwehren«121 könne.
Das erhebliche Wirkungspotenzial einer solch rigiden Freund-Feind-Ideologie für die politische Kultur der Weimarer Republik ist unbestritten. Doch bleibt es eine offene Frage, wieweit der über weite Strecken unbeholfene und schwer verdauliche Stil von Mein Kampf – ein Stil, in dem sich, so die gleichermaßen boshafte wie treffende Formulierung Joachim Fests, »bildungsbürgerliche Paradiersucht und österreichischer Kanzlistenschwulst umständlich verbanden«122 – die Wirkung des Buchs selbst bereits unterlaufen hat. Aber entsprach ein solches Urteil auch dem Geschmack des Publikums der 1920er Jahre? Mit guten Gründen hat Helmuth Kiesel unlängst darauf verwiesen, dass Hitlers Buch zeitgenössisch »nicht nur peinigend oder abstoßend« wirkte. Gerade in den Ohren »tatsächliche[r] oder potentielle[r] Adepten« sowie unbedarfter und »uniformierte[r] Leser«, die Mein Kampf nicht mit dem Anspruch lasen, Hitlers Selbstdarstellung kritisch zu hinterfragen, konnte das Buch mit seinem uns heute fremden Stil sehr wohl »auch Bewunderung hervorrufen und Anhänger schaffen«. 123 Dies sollte bei der Lektüre des Texts nie aus dem Blick geraten.