Frankreichs unverrückbares politisches Ziel <span class="pagenumber">[338]</span>

37 Hitler verkennt, dass sich die französische Deutschlandpolitik unter den Außenministern Édouard Herriot (Juni 1924 bis April 1925) und Aristide Briand, der das Amt bis zum Januar 1932 führte, spürbar wandelte und maßvoller wurde, als sie es unter dem dezidiert deutschfeindlich gesinnten Raymond Poincaré gewesen war, dem von Januar 1922 bis Juni 1924 amtierenden französischen Ministerpräsidenten und Außenminister. Bereits zum Amtsantritt Poincarés hatte Herriot im französischen Parlament für ein differenzierteres Bild Deutschlands und für eine stärkere Unterstützung seiner demokratischen Kräfte plädiert. Doch hatte eine Politik des Entgegenkommens bis zur Niederlage der französischen Rechten bei der Parlamentswahl vom 11. 5. 1924 keine Chance. Zwar blieb auch für den sozialistisch orientierten Herriot sowie für Briand das französische Staatsinteresse ausschlaggebend – so spekulierte Herriot etwa darauf, dass ein stärkeres Entgegenkommen Frankreichs auch zu einer höheren Kooperationsbereitschaft der deutschen Regierung in der Reparationsfrage führen werde, doch war für die französische Außenpolitik gerade während der Entstehungszeit von Mein Kampf eine Abkehr von der konfrontativen Hegemonial- und Machtpolitik Poincarés charakteristisch. An ihre Stelle trat eine Politik, die primär auf Entspannung, Verhandlung und internationale Verständigung setzte. Die Annäherung gelang, da auch auf deutscher Seite der seit August 1923 amtierende Reichsminister des Auswärtigen, Gustav Stresemann, eine nach Westen orientierte Entspannungs- und Verständigungspolitik vertrat.

Vgl. Ilić, Frankreich, bes.S. 110 f.; Blessing, Frieden; Kap. II/13, Anm. 66, 160.

39 Die französische Gesamtbevölkerung stagnierte seit Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend. Auch wenn von einem schleichenden »Absterben« keine Rede sein konnte und es in Frankreich Regionen mit einer dynamischen Bevölkerungsentwicklung gab, unterschied sich seine demografische Entwicklung doch signifikant von jener der anderen großen europäischen Staaten. Die Bevölkerung Frankreichs stieg trotz einer starken Zuwanderung von Gastarbeitern zwischen 1851 und 1931 nur von 35,8 auf 41,3 Millionen. Wie enorm sich gerade die demografische Entwicklung Frankreichs und Deutschlands im Vorfeld des Ersten Weltkriegs voneinander unterschieden, zeigt ein Vergleich der Zahlen seit Gründung des Deutschen Reichs: Von 1871/72 bis 1910/11 wuchs die französische Bevölkerung lediglich von 36,1 auf 39,2 Millionen Menschen, die deutsche hingegen von 41,1 auf 64,9 Millionen. Die Ursachen für das geringere Wachstum in Frankreich waren vielfältig: (1) Die Liberalisierung der Scheidungsgesetze und die Schwächung des kirchlichen Einflusses seit der Französischen Revolution; (2) die im Code civil (1804) verankerte Realteilung, welche »die Politik des einzelnen Sohnes« förderte; (3) die starken Verluste in der männlichen Bevölkerung während der Napoleonischen Ära; (4) das geringe Wirtschaftswachstum – eine Folge der im westeuropäischen Vergleich stark verspäteten Industrialisierung; (5) die stärkere Verbreitung empfängnisverhütender Mittel, gerade auch in der Landbevölkerung. Hitlers Äußerung über den angeblichen Niedergang der »rassisch besten Elemente« in der französischen Bevölkerung verweist auf den in der völkischen Literatur gängigen Topos der »Verjudung« Frankreichs sowie auf Hitlers – schon im Kapitel Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege (II/13) formuliert – Behauptung einer »Vernegerung« Frankreichs seit 1914.

Vgl. Lüsebrink, Einführung, bes.S. 16 – 22; Grüner/ Wirsching, Frankreich, S. 27 – 37; Pletsch, Frankreich, S. 101 – 112, Zitat S. 103; Kap. I/10, Anm. 4; Kap. II/13, S. 280 sowie die dortige Kommentierung.

land abstarb, um so eher konnten der wirtschaftliche Druck und die ewige Not zu politisch destruktiven Wirkungen führen. Eine solche Politik politischer Unterdrückung und wirtschaftlicher Ausplünderung, zehn und zwanzig Jahre durchgeführt, muß allmählich selbst den besten Staatskörper ruinieren und unter Umständen auflösen. Damit aber ist#1944: aber ist ersetzt durch: ist aber das französische Kriegsziel dann endgültig erreicht.

Dies mußte man im Winter 1922/23 doch schon längst als Frankreichs Absicht erkannt haben.37 Damit blieben aber nur zwei Möglichkeiten übrig: Man durfte hoffen, entweder den französischen Willen an der Zähigkeit des deutschen Volkskörpers allmählich stumpf zu machen oder einmal endlich zu tun, was doch nicht ausbleiben kann, nämlich bei irgendeinem besonders krassen Fall das Steuer des Reichsschiffes herumzureißen und die Ramme gegen den Feind zu kehren. Dies bedeutete dann allerdings einen Kampf auf Leben und Tod, und Aussicht zum Leben war nur vorhanden, wenn es vorher gelang, Frankreich soweit#1937: soweit ersetzt durch: so weit zu isolieren, daß dieser zweite Kampf nicht mehr ein Ringen Deutschlands gegen die Welt sein mußte, sondern eine Verteidigung Deutschlands gegen das die Welt und ihren Frieden dauernd störende Frankreich darstellte.

Ich betone es und bin fest davon überzeugt, daß dieser zweite Fall einmal so oder so kommen muß und kommen wird. Ich glaube niemals daran, daß sich Frankreichs Absichten uns gegenüber je ändern könnten38; denn sie liegen im tiefsten Grunde nur im Sinne der Selbsterhaltung der französischen Nation. Wäre ich selbst Franzose und wäre mir somit Frankreichs Größe so lieb, wie mir die Deutschlands heilig ist, so könnte und wollte auch ich nicht anders handeln, als es am Ende ein Clemenceau auch#1929: gestrichen: auch tut. Das nicht nur in seiner Volkszahl, sondern besonders in seinen rassisch besten Elementen langsam absterbende Franzosentum39 kann sich seine Bedeutung in der Welt auf die Dauer nur erhalten bei Zertrümmerung Deutschlands. Die französische Politik mag tausend Umwege machen, irgendwo am Ende wird immer dieses Ziel als Erfüllung letzter Wünsche und tiefster Sehnsucht vorhanden sein. Es ist aber unrichtig, zu glauben, daß ein rein passiver, nur sich selbst erhalten wollender Wille einem nicht minder kraftvollen, aber aktiv vorgehenden auf die Dauer