Der junge Wagnerianer <span class="pagenumber">[14]</span>

70 Hitlers Beziehung zur oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz war denkbar eng. Obwohl er sich dort lediglich von 1898 bis 1908 aufgehalten hatte, verstand er die damals noch eher provinzielle Stadt – 1910 zählte sie 97.852 Einwohner – als Heimat, aus der er später ein kulturelles Zentrum des Deutschen Reichs machen wollte. Am 25. 6. 1943 betonte Hitler: »Linz verdankt alles, was es hat und was es noch bekommt, dem Reich. Deshalb muß diese Stadt Trägerin des Reichsgedankens werden. Auf jedem Bau in Linz müßte stehen ›Geschenk des Deutschen Reiches‹.« Im März 1939 beauftragte Hitler zunächst den Münchner Architekturprofessor Roderich Fick, im Herbst 1940 dann den Architekten Hermann Giesler mit der Umgestaltung von Linz. Vorgesehen waren nationalsozialistische Prachtbauten und Aufmarschplätze, Denkmäler, Schulen, Hochschulen und Krankenhäuser, für das Linzer Kunstmuseum wurden Gemälde für Millionen von Reichsmark angekauft, mehr Kunstwerke aber noch im besetzten Europa beschlagnahmt und geraubt. Am 4. 4. 1943 besuchte Hitler zusammen mit Giesler und Albert Speer die Stadt, um sich ein Bild von den Baufortschritten zu machen. Sein Interesse an den Umbauplänen, die sich am Neoklassizismus orientierten, sollte nie erlahmen. Für die Umgestaltung wurden mittelalterliche Bauten abgerissen und auch Enteignungen durchgeführt. Verwirklicht von den vielen Plänen wurden am Ende jedoch nur eine Brücke sowie einige Bauten und Wohnhäuser. Stattdessen überzogen Baracken und Notunterkünfte das Stadtgebiet, die dazu dienten, die in der Rüstungsindustrie Arbeitenden unterzubringen. Das Baumodell des künftigen Linz bewahrte Hitler im Keller der Reichskanzlei bis zu seinem Ende auf.

Vgl. Hitler, Monologe, Zitat S. 405; Slapnicka, Linz-Planungen; Sauberer, Bevölkerungsentwicklung, S. 117; Hamann, Wien, S. 11 – 15; Früchtel, Architekt, bes.S. 284 – 288; Löhr, Linz.

71 Das Stück, 1804 uraufgeführt, thematisiert anhand der spätmittelalterlichen Legende von Wilhelm Tell den Schweizer Freiheitskampf gegen die Habsburger Herrscher und musste Hitler schon wegen seiner antihabsburgischen Tendenz gefallen. Für 1905 sind Aufführungen von Schillers Drama im Landestheater Linz belegt. Hitler war zu diesem Zeitpunkt aber nicht zwölf, sondern bereits 16 Jahre alt. Die spätere Rezeption des Dramas durch die Nationalsozialisten war ambivalent. Im Dritten Reich wurde Schiller zunächst zum »Kampfgenossen Hitlers« stilisiert und das Werk des Dichters in völliger Verkennung seiner Ideen und Botschaften zum Zeugnis eines völkischen »Freiheitskampfes« umgedeutet. Vor allem das Schiller-Jahr 1934 – aus Anlass des 175. Geburtstags des Dichters – bot dieser Geschichtsklitterung eine Plattform. Joseph Goebbels verlautbarte am 10. 11. 1934: »Hätte Schiller in dieser Zeit gelebt, er wäre zweifellos der große dichterische Vorkämpfer unserer Revolution geworden.« Mit dieser affirmativen Rezeption sollte auch jenes Milieu angesprochen werden, für das Schiller eine maßgebende moralische und ästhetische Instanz geblieben war. Angesichts der Entwicklung der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis war es freilich nur eine Frage der Zeit, bis die Verlogenheit einer solchen Interpretation erkennbar wurde. Das zeigt gerade auch die Geschichte des Wilhelm Tell. Hatte das Wiener Burgtheater noch am 20. 4. 1938 mit dem Drama eine »Festvorstellung zum Geburtstag des Führers« gegeben, ließ Reichsleiter Martin Bormann die Reichskanzlei am 3. 6. 1941 wissen: »Der Führer wünscht, dass Schillers Schauspiel ›Wilhelm Tell‹ nicht mehr aufgeführt wird und in der Schule nicht mehr behandelt wird.« Grund dafür war weniger Schillers Verklärung der Schweizer Separation vom Reich, als vielmehr die Glorifikation des Tyrannenmords. Mit feinem Gespür für diese Botschaft bemerkte Hitler am 4. 2. 1942: »Ausgerechnet Schiller mußte diesen Schweizer Heckenschützen verherrlichen!« Dass zwei Wochen vor Ächtung des Dramas der Schweizer Hitler-Attentäter Maurice Bavaud am 18. 5. 1941 in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden war, lässt keinen Zweifel an der Sprengkraft eines Dramas, das sich – allen gegenteiligen Versuchen zum Trotz – gegenüber der Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus als resistent erwies.

Vgl. Schiller, Werke, Bd. 10; Hitler, Monologe, Zitat S. 265; Fabricius, Schiller; Kubizek, Hitler, S. 20, 25; Ruppelt, Ausschaltung; Ruppelt, Schiller, Zitate S. 44, 154; Hamann, Wien, S. 39; Holm, Besuche.

72 Im Januar 1905 wurden Richard Wagners Opern Lohengrin und Rienzi in das Repertoire des Linzer Landestheaters aufgenommen, obwohl Bühne und Orchester für derartige Aufführungen eigentlich nicht geeignet waren. In der Oper Lohengrin, die am 28. 8. 1850 in Weimar uraufgeführt worden war, eilt der gleichnamige Gralsritter der Herzogin Elsa von Brabant zu Hilfe, die ihn im Gegenzug nie nach seinem Namen fragen darf. Als sie gegen dieses Verbot verstößt, muss Lohengrin sie verlassen; sie stirbt daraufhin an gebrochenem Herzen. Zugleich enthält die Oper auch martialische und nationalistische Züge, die auf Hitler nicht ohne Wirkung blieben. So heißt es im 1.  Akt der 1.  Szene: »Nun ist es Zeit des Reiches Ehr’ zu wahren; ob Ost, ob West? das gelte allen gleich! Was deutsches Land heißt, stelle Kampfes Scharen, dann schmäht wohl Niemand mehr das deutsche Reich.«

Vgl. Wagner, Werke, Bd. 7/I, Zitat S. 20 – 22; Kubizek, Hitler, S. 97, 134 – 142; Hamann, Wien, S. 39.

Daß# 1939: Daß ersetzt durch: daß;
1944: Daß nämlich die Sicherung des Deutschtums die Vernichtung Österreichs voraussetzte, und daß weiter Nationalgefühl in nichts identisch ist mit dynastischem Patriotismus; daß vor allem das habsburgische Erzhaus zum Unglück der deutschen Nation bestimmt war.

Ich hatte schon damals die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis gezogen: heiße Liebe zu meiner deutschösterreichischen Heimat, tiefen Haß gegen den »österreichischen«# 1926: »österreichischen« ersetzt durch: österreichischen Staat.

Die Art des geschichtlichen Denkens, die mir so in der Schule beigebracht wurde, hat mich auch# 1930: gestrichen: auch in der Folgezeit nicht mehr verlassen. Weltgeschichte ward mir immer mehr zu einem unerschöpflichen Quell des Verständnisses für das geschichtliche Handeln der Gegenwart, also für Politik. Ich will sie dabei nicht »lernen«, sondern sie soll mich lehren.

War ich so frühzeitig zum politischen »Revolutionär« geworden, so nicht minder früh auch# 1944: gestrichen: auch zum »künstlerischen«# 1926: »künstlerischen« ersetzt durch: künstlerischen .

Die oberösterreichische Landeshauptstadt70 besaß damals ein verhältnismäßig nicht schlechtes Theater. Gespielt wurde so ziemlich alles. Mit zwölf Jahren sah ich da zum ersten Male »Wilhelm Tell«71, wenige Monate darauf als erste Oper meines Lebens »Lohengrin«72.  Mit einem Schlage war ich gefesselt. Die jugendliche Begeisterung für den Bayreuther Meister kannte keine Grenzen. Immer wieder zog es mich zu seinen Werken, und ich empfinde es heute als besonderes Glück, daß mir durch die Bescheidenheit der provinzialen Aufführung die Möglichkeit einer späteren Steigerung erhalten blieb.73

Dies alles festigte, besonders nach Überwindung der Flegeljahre (was bei mir sich nur sehr schmerzlich vollzog), meine tiefinnere Abneigung gegen einen Beruf, wie ihn der Vater für mich erwählt hatte. Immer mehr kam ich zur Überzeugung, daß ich als Beamter niemals glücklich werden würde. Seit nun auch in der Realschule