Was man tun mußte <span class="pagenumber">[178]</span>

71 Die Behauptung, die Sozialdemokratie habe zu Kriegsbeginn die Kontrolle über die Arbeiter verloren und sich daher aus taktischen Gründen dem nationalen Zeitgeist gebeugt, war nicht neu und findet sich in vielen Darstellungen völkischer und nationalistischer Autoren. Sie bezieht sich auf die Zustimmung der Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten am 4. 8. 1914.  Diesem Konsens waren in den Tagen und Wochen zuvor im ganzen Reich noch heftige sozialdemokratische Antikriegsproteste vorausgegangen. Schärfere Maßnahmen wie Streiks waren damals jedoch nicht geplant.

Vgl. Marbach, Schicksal, S. 4; Nicolai, Nachrichtendienst, S. 196; Breithaupt, Volksvergiftung, S. 3; Miller/ Potthoff, Geschichte, S. 73 – 76; Kruse, Krieg, S. 30 – 52; Verhey, Geist, S. 94 – 105.

75 Der Vorwurf, die Reichsleitung sei zu Beginn und während des Ersten Weltkriegs nicht hart genug gegen die Sozialdemokratie vorgegangen, wurde von der politischen Rechten in der Weimarer Republik immer wieder erhoben. So schrieb Max Bauer, Wilhelm II. habe zugelassen, »daß die Sozialdemokratie ihre Lehren, den Kampf gegen das Militär, Bürgerschaft und Monarchie, sowie für die internationale Verbrüderung völlig frei predigen durfte und damit die Arbeiterschaft gegen die bestehende Staatsordnung verhetzte«; die sozialistischen Führer, von denen die Agitation ausging, seien »überwiegend Juden« gewesen.

In der vorliegenden Passage greift Hitler auf die Sprache des radikalen Rassenantisemitismus zurück, in der das Bild vom Juden als »Ungeziefer« und »Parasit« schon lange verbreitet war. So hieß es in Hartwig von Hundt-Radowskys Judenspiegel (1819): »Am Beßten wäre es jedoch, man reinigte das Land ganz von dem Ungeziefer«, und zwar entweder durch Vertreibung oder »Vertilgung«. Die Tötung eines Juden sei weder eine Sünde noch ein Verbrechen, sondern lediglich ein »Polizeivergehen«. Auch Theodor Fritsch bezeichnete die Juden immer wieder als »Ungeziefer«. Die nationalsozialistische Propaganda griff während des Dritten Reichs massiv auf das Vokabular aus der Parasitologie zurück, um die Juden zu entmenschlichen und den Genozid implizit zu legitimieren.

Vgl. Hundt-Radowsky, Judenspiegel, Zitate S. 144 f.; Bauer, Krieg (1921), Zitate S. 7, 262 (Herv. i. Orig.); Bein, Parasit; Jäckel, Weltanschauung, S. 69; Herzig, Geschichte, S. 255 f.; Ferrari Zumbini, Wurzeln, S. 321 – 323, 328 – 331; Anm. 70 in diesem Kapitel; Kap. II/15, Anm. 73.

78 Die Assoziation des Judentums mit Begriffen wie »Pest« und »Pestilenz« hatte in judenfeindlichen Schriften eine sehr lange Tradition. Beliebte Anknüpfungs- und Bezugspunkte antisemitischer Autoren des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren dabei gehässige antijüdische Sentenzen im Spätwerk Martin Luthers. So heißt es etwa in dessen Pamphlet Von den Jüden und ihren Lügen (1543): »Ein solch verzweifelt, durchböset, durchgiftet, durchteufelt Ding ists umb diese Jüden, so diese 1400 Jahr unser Plage, Pestilenz und alles Unglück gewest, und noch sind.« Auf eine Differenzierung zwischen dem primär theologisch-religiös konnotierten Antijudaismus Luthers und ihrem eigenen rassenbiologischen Denken legten die antisemitischen Autoren der Jahrhundertwende keinen Wert. Auch in den völkischen Schriften, die unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs veröffentlicht wurden, werden die Begriffe »Judentum«, »Pest« und »Verpestung« häufig in einem Atemzug genannt. Rudolf John Gorsleben, Aktivist der Thule-Gesellschaft, bezeichnete die Juden 1920 als »tausendjährige Lügenbeule am Leib der Menschheit, die die Welt verpestet«. Hitler selbst hatte den »antisemitische[n] Gedanken« schon am 29. 1. 1923 in einer Rede als »notwendige Abwehr gegen eine Pest, welche die Welt heute ergriffen hat«, bezeichnet. Und noch während des Zweiten Weltkriegs führte Hitler in seinen Monologen mit Blick auf den in seinen Augen »verjudeten« Bolschewismus in Russland aus: »Wenn wir diese Pest ausrotten, so vollbringen wir eine Tat für die Menschheit, von deren Bedeutung sich unsere Männer draußen noch gar keine Vorstellung machen können.«

Vgl. Luther, Werke, Bd. 32, Zitat S. 241 f.; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 481, Zitat S. 822; Hitler, Monologe, Zitat S. 99; Rohm, Abschaffung, S. 25; Gorsleben, Überwindung, Zitat S. 11; Wiese, Rezeption; Leppin, Luther, bes.S. 340 – 344; Schwarz-Friesel/ Reinharz, Sprache, S. 58.

zogen sie schleunigst die Tarnkappe der Lüge über die Ohren und mimten nun# 1930: gestrichen: nun frech die nationale Erhebung mit.71

Nun wäre aber der Zeitpunkt gekommen gewesen, gegen die ganze betrügerische Genossenschaft dieser jüdischen Volksvergifter vorzugehen.72 Nun# 1930: Nun ersetzt durch: Jetzt mußte ihnen kurzerhand der Prozeß gemacht werden ohne die geringste Rücksicht auf ein etwa einsetzendes Geschrei, oder was noch besser gewesen wäre, ohne Mitleid mit allem Gejammer# 1926: auf ein etwa einsetzendes Geschrei, oder was noch besser gewesen wäre, ohne Mitleid mit allem Gejammer ersetzt durch: auf ein etwa einsetzendes Geschrei oder Gejammer;
1930: auf etwa einsetzendes Geschrei oder Gejammer . Im August des Jahres 1914 war das Gemauschel73 der internationalen Solidarität mit einem Schlage aus den Köpfen der deutschen Arbeiterschaft verschwunden, und statt dessen begannen schon wenige Wochen später amerikanische Schrapnells die Segnungen der Brüderlichkeit über die Helme der Marschkolonnen hinabzugießen.74 Es war# 1930: war ersetzt durch: wäre die Pflicht einer besorgten Staatsregierung# 1930: eingefügt: gewesen , nun, da der deutsche Arbeiter wieder den Weg zum Volkstum gefunden hatte, die Verhetzer dieses Volkstums unbarmherzig auszurotten.

Wenn an der Front die Besten fielen, dann konnte man zu Hause wenigstens das Ungeziefer vertilgen.75

Statt dessen aber streckte seine# 1930: seine ersetzt durch: Seine Majestät der Kaiser selber den alten Verbrechern die Hand entgegen und gab den hinterlistigen Meuchelmördern der Nation damit Schonung und Möglichkeit der inneren Fassung.76

Nun konnte also# 1944: konnte also ersetzt durch: also konnte die Schlange wieder weiterarbeiten, vorsichtiger als früher, allein nur desto gefährlicher. Während die Ehrlichen im# 1933: im ersetzt durch: vom Burgfrieden träumten, organisierten die meineidigen Verbrecher die Revolution.77

Daß man damals sich zu dieser entsetzlichen Halbheit entschloß, machte mich innerlich immer unzufrieden# 1937: unzufrieden ersetzt durch: unzufriedener ; daß das Ende dessen aber ein so entsetzliches sein würde, hätte auch ich damals noch nicht für möglich gehalten.

Was aber mußte man nun tun? Die Führer der ganzen Bewegung sofort hinter Schloß und Riegel setzen, ihnen den Prozeß machen und# 1939: eingefügt: sie der Nation vom Halse schaffen. Man mußte rücksichtslos die gesamten militärischen Machtmittel einsetzen zur Ausrottung dieser Pestilenz.78 Die Parteien waren aufzulösen, der Reichstag wenn nötig