Das Schwächemoment <span class="pagenumber">[354]</span>

23 Die Vorstellung von einer tendenziell feindseligen Teilnahmslosigkeit im Vorfeld der Reichsgründung wird dem politischen Denken und Handeln im bürgerlich-liberalen Lager nicht gerecht. Wie heterogen und umstritten die Einstellung zur »nationalen Frage« dort in Wirklichkeit war, wird schon daran ersichtlich, dass sich 1866 jener Flügel der Deutschen Fortschrittspartei (DFP), der die Verwirklichung der nationalen Einheit über jene der bürgerlichen Freiheitsrechte gestellt und sich eng an die Politik Bismarcks gebunden hatte, abspaltete und als Nationalliberale Partei (NLP) konstituierte. Bei der Wahl zum Preußischen Abgeordnetenhaus am 7. 11. 1867 erhielt die NLP 97 der insgesamt 423 Mandate, die DFP nur 45. Unter linksliberalen Politikern waren damals allerdings tatsächlich – und nicht ohne Grund – Zweifel vorhanden, »inwieweit eine Einheit unter preußischer Führung dem zentralen Anliegen, der individuellen und politischen Freiheit, dienlich sein werde«. Zu einem Konfrontationskurs gegen Bismarck kam es seitens des Linksliberalismus allerdings nicht, zumal auch hier die nationale Einheit ersehnt wurde und es durchaus politische Berührungspunkte mit Bismarck gab, etwa in dem gemeinsamen »Bemühen um eine Säkularisierung des öffentlichen Lebens«. Hitlers Darstellung übergeht ferner, dass es vor 1871 keineswegs nur im bürgerlich-liberalen Lager Skepsis und Unbehagen gegenüber Bismarcks Politik gab, widersprach diese doch auch den Maximen einer traditionellen, legitimistischen Außenpolitik, wie sie etwa der langjährige Fraktionsführer der Konservativen im preußischen Landtag, Ernst Ludwig von Gerlach, vertrat.

Vgl. Gall, Bismarck (1980), S. 340 – 455, bes.S. 375 – 381; Gall, Liberalismus, bes.S. 195 – 198, Zitat S. 195; Reif, Bismarck, bes.S. 25 – 27; Jansen, Bismarck, Zitat S. 105.

27 Selbst unter Voraussetzung von Hitlers falscher Gleichsetzung der miteinander verfeindeten Parteien SPD und KPD ist die Behauptung einer parlamentarischen »Majorität« der »international eingestellten« Politiker absurd. Der am 4. 5. 1924 gewählte Reichstag umfasste insgesamt 472 Mandate, von denen die SPD 100, die KPD 62 erhielt. Die USPD blieb ohne Mandate. Die beiden im Parlament vertretenen Linksparteien hatten also 34 % der Sitze inne. Diese Tendenz bestätigte sich in der Reichstagswahl vom 7. 12. 1924, in der die SPD deutlich gewann, die KPD hingegen klar verlor, während die USPD abermals nicht vertreten war. Von den nun 493 Mandaten erhielt die SPD 131, die KPD 45. »Zusammen« brachten beide Parteien es demnach auf 36 % der Sitze.

Vgl. Büttner, Weimar, S. 802.  Zu Hitlers Trugbild von der politischen Linken als »geschlossener Front« vgl. Kap. II/1, Anm. 44.

28 Der hier unterstellte weitgehende Interessenkonsens zwischen diesen sehr unterschiedlichen Gruppen existierte nicht. Zwar regierten von Februar 1919 bis Juni 1920 sowie von Mai 1921 bis November 1922 auf Reichsebene verschiedene Kabinette der »Weimarer Koalition« aus SPD, Zentrum und DDP, doch war damit selbstverständlich keine Identität der politischen Ziele verbunden. Auch wurden in den drei Parteien dezidiert pazifistische Positionen bestenfalls von einer Minderheit vertreten. Darüber hinaus lässt sich die SPD, deren Politik stets gegen das Rätesystem ausgerichtet war und die konsequent für die parlamentarische Demokratie votierte, nach 1918 nicht als »marxistische« Partei deklarieren.

Vgl. Holl, Partei, 141 – 143; Lütgemeier-Davin, Pazifismus, S. 275 f., 278 f.; Kap. I/11, Anm. 127; Kap. II/9, Anm. 182. Zu Hitlers widersprüchlichem Marxismus-Begriff vgl. Kap. II/15, Anm. 91.

30 Der Begriff des Hochverrats bezeichnet ein gegen die staatliche Ordnung gerichtetes Verbrechen; als Landesverrat gilt hingegen die Gefährdung der äußeren Sicherheit eines Staats. Obwohl Hitler in seiner Verteidigungsrede vom 26. 2. 1924 den Schuldvorwurf des Hochverrats vehement bestritt – es gebe »keinen Hochverrat gegen die Landesverräter von 1918« –, empfand man in rechtsradikalen Kreisen den Vorwurf als nicht ehrenrührig, sofern sich der Hochverrat gegen die Republik richtete. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, wenn Erich Ludendorff seinen Freispruch als »Schande« bezeichnete, nachdem Hitler und andere Putschisten am 1. 4. 1923 des Hochverrats schuldig gesprochen worden waren. Unterstützt wurde diese Deutung durch die Rechtsprechung der Weimarer Republik, die rechtsradikalen Putschisten wie Hitler häufig »selbstlose Vaterlandsliebe« als Milderungsgrund attestierte, linksradikalen Putschisten hingegen ihre angeblich »ehrlose Gesinnung« als strafverschärfend anrechnete.

Den Vorwurf des Landesverrats erhob die deutsche Rechte pauschal gegen Sozialisten, Kommunisten und Juden. Sie griff dabei auf Stereotype zurück, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg geprägt worden waren. Wie virulent dieses Denken war, illustrieren exemplarisch die im Frühjahr 1924 beginnenden Untersuchungen gegen einen Redakteur der Mitteldeutschen Presse, der Friedrich Ebert wegen dessen Rolle im Januarstreik 1918 des Landesverrats bezichtigt hatte. Es spricht für sich, wenn das Landgericht Magdeburg am 23. 12. 1924 den Redakteur der Beleidigung des Reichspräsidenten zwar für schuldig befand, gleichzeitig aber urteilte, Ebert habe beim Januarstreik 1918 im strafrechtlichen Sinne Landesverrat begangen. Die Empörung in der demokratischen Presse war groß, während die rechte Presse das skandalöse Urteil weidlich ausschlachtete. Aufgrund Eberts Tod am 28. 2. 1925 kam es nicht mehr zu einer Berufungsverhandlung. Erst in einem Prozess vor dem Reichsgericht in Leipzig im Jahr 1931 wurden die Feststellungen des Magdeburger Gerichts revidiert.

Vgl. VB vom 14. 2. 1920, »Einwohnerwehrmänner!«; Der Reichswart vom 11. 3. 1922, »Hochverrat oder Landesverrat?«; VB vom 14. 4. 1923, »Die jüdische Canaille«; Reichswart vom 3. 1. 1925, »Nach dem Ebertprozeß«; Der Hitler-Prozess 1924, Teil 1, Zitat S. 61; Hitler, Reden, Bd. III/3, Dok. 123, Zitat S. 441; Langemann, Zusammenbruch, S. 59 f.; Wilhelm, Reichspräsident; Kersten, Entwicklung, S. 133 – 141, 150 – 165; Lütgemeier-Davin, Pazifismus, S. 174 f.; Grimm, Reichsgericht, S. 24 – 33; Böttger, Hochverrat, S. 5, 14, 138 – 143; Hanten, Landesverrat, S. 191 – 198; Cho, Hochverrat, S. 64 f.; Sösemann, Wolff, S. 225 – 227; Mühlhausen, Ebert, S. 936 – 966; Ullrich, Hitler, Bd. 1, S. 185 f.; Kap. I/7, Anm. 50; Kap. II/9, Anm. 82, 90, 205.

einer# 1944: einer ersetzt durch: der kommenden Befreiung in passiver Resistenz verharren sollte23, so ist doch ein aktiver Widerstand dagegen bei seiner anerkannt sprichwörtlichen Feigheit niemals zu befürchten.24

Anders verhält es sich bei der Masse unserer international eingestellten Volksgenossen. Sie sind nicht nur in ihrer primitiveren# 1937: primitiveren ersetzt durch: primitiven;
1939: primitiveren;
1944: primitiven Urwüchsigkeit mehr auf den Gedanken der Gewalt eingestellt, sondern ihre jüdische Führung25 ist brutaler und rücksichtsloser. Sie werden jede deutsche Erhebung genau so erschlagen# 1930: erschlagen ersetzt durch: niederschlagen , wie sie einst dem deutschen Heere# 1944: Heere ersetzt durch: Heer das Rückgrat zerbrachen.26 Vor allem aber: Sie werden in diesem parlamentarisch regierten Staat kraft ihrer Majorität der Zahl27 jede nationale Außenpolitik nicht nur verhindern, sondern auch jede höhere Einschätzung der deutschen Kraft und damit jede Bündnisfähigkeit ausschließen. Denn das Schwächemoment# 1937: Denn das Schwächemoment ersetzt durch: Denn wir sind uns des Schwächemoments , das in unseren 15# 1939: 15 ersetzt durch: fünfzehn Millionen Marxisten, Demokraten, Pazifisten und Zentrümlern [sic!] liegt28, ist# 1937: gestrichen: ist nicht nur uns# 1937: gestrichen: uns selbst bewußt, sondern# 1937: eingefügt: es wird noch mehr erkannt# 1930: gestrichen: erkannt vom Ausland# 1930: eingefügt: erkannt , das den Wert eines möglichen Bündnisses mit uns mißt nach dem Gewichte dieser Belastung. Man verbündet sich nicht mit einem Staat, dessen aktiver Volksteil jeder entschlossenen Außenpolitik mindestens# 1930: mindestens ersetzt durch: zumindest passiv gegenübersteht.

Dazu kommt noch die Tatsache, daß die Führung dieser Parteien des nationalen Verrats jeder Erhebung schon aus bloßem Selbsterhaltungstrieb feindlich gegenüberstehen muß und wird. Es ist geschichtlich einfach nicht denkbar, daß das deutsche Volk noch einmal seine frühere Stellung einnehmen könnte, ohne mit denen abzurechnen, die die Ursache und Veranlassung zu dem unerhörten Zusammenbruch gaben, der unseren Staat heimsuchte.29 Denn vor dem Richterstuhle der Nachwelt wird der November 1918 nicht als Hoch-, sondern als Landesverrat gewertet werden.30

So ist jede Wiedergewinnung einer deutschen Selbständigkeit nach außen in erster Linie gebunden an die Wiedergewinnung der inneren willensmäßigen Geschlossenheit unseres Volkes.

Allein auch rein technisch betrachtet, erscheint der Gedanke einer deutschen Befreiung nach außen solange# 1926: solange ersetzt durch: so lange als unsinnig, solange nicht in den Dienst dieses Freiheitsgedankens auch die breite Masse zu