Kapitulation der Bürgerlichen <span class="pagenumber">[175]</span>

90 Wahrscheinlich eine Anspielung auf jene ursprünglich geheime Verabredung, die am Abend des 10. 11. 1918 in einem Telefongespräch zwischen Wilhelm Groener, dem neu ernannten Ersten Generalquartiermeister der OHL, und Friedrich Ebert, seit diesem Tag Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten, zustande kam. Groener, bei dem nun die militärische »Abwicklung« des verlorenen Weltkriegs lag, besaß dabei die Rückendeckung Hindenburgs, der es jedoch vermied, sich selbst zu exponieren. Der Erfolg der Absprache beruhte nicht zuletzt auf der Interessenidentität der beiden Partner: Sowohl Groener als auch Ebert ging es um die rasche Rückführung des Westheers, eine geordnete Demobilisierung, ein Ende der alliierten Seeblockade sowie um das Ziel, einen alliierten Einmarsch und eine Radikalisierung der Revolution nach bolschewistischem Muster zu verhindern. Allen Schwierigkeiten zum Trotz sollte die Kooperation gelingen, wie sich in der Zerschlagung aller linksradikalen Aufstände zeigte. Doch gilt diese Übereinkunft auch als eine der Ursachen für die Aufwertung der OHL und für die definitive Spaltung der deutschen Linken. Schon deshalb wird sie kontrovers bewertet. Die Öffentlichkeit erfuhr davon – auch deswegen scheint eine Anspielung Hitlers wahrscheinlich – erstmals durch den Münchner »Dolchstoßprozess« (19. 10. – 20. 11. 1925). Groener, der hier als Zeuge auftrat, informierte damals die Öffentlichkeit über seine Absprache mit dem inzwischen verstorbenen Ebert – eine Aussage, die als Sensation aufgenommen wurde und der SPD einige Schwierigkeiten bereitete.

Vgl. Ursachen und Folgen, Bd. 3, Dok. 741 – 750; Groener, Lebenserinnerungen, S. 466 – 476, Zitat S. 467; Rakenius, Groener, S. 121 – 155; Winkler, Revolution, S. 69 – 72; Hürter, Groener, S. 17 – 20; Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 216 – 218; Mühlhausen, Ebert, S. 109 – 114; Pyta, Hindenburg, S. 374 f.; Kap. I/10, Anm. 13; Anm. 42 in diesem Kapitel.

92 Genaue Zahlen über die Opfer der bürgerkriegsähnlichen Krisen zwischen November 1918 und Juni 1921 sind kaum zu ermitteln. Das liegt nicht nur daran, dass systematische Dokumentationen fehlen, Probleme bereitet auch die Tatsache, dass sich die Ereignisse nicht auf einzelne Epizentren konzentrierten, sondern regional verstreut auftraten. Sicher lässt sich jedoch sagen, dass sich die Zahl der Opfer beider Seiten – anders als von Hitler insinuiert – keineswegs die Waage hielt. Ein Charakteristikum der Auseinandersetzungen war vielmehr ihre Unverhältnismäßigkeit auf Kosten der revolutionären Linken. Einen ersten Höhepunkt erreichte deren Opferzahl nach den Aufstandsversuchen des Spartakusbunds und der KPD (»Weihnachtsunruhen«, »Januaraufstand«, »Märzkämpfe«) zwischen Dezember 1918 und März 1919. Die Regierungsseite sprach damals von rund 1.100 toten Aufständischen; möglicherweise forderten diese Kämpfe, die ihren Schwerpunkt vor allem in Berlin hatten, aber noch mehr Opfer. Bei der Zerschlagung der Münchner Räterepublik in der Zeit von April bis August 1919 starben zwischen 519 und 543 Menschen, darunter auch Personen, die zu keiner der beiden kämpfenden Parteien gehörten. Etwa 2.000 Aufständische starben während der Revolte der improvisierten »Roten Ruhrarmee« im März/April 1920, bei den Kämpfen in Mitteldeutschland im März 1921 waren es 135 Aufständische. Darüber hinaus kam es zu weiteren Auseinandersetzungen, deren Opferzahl nicht so hoch war, etwa in Halle am 27. 2. 1919 mit 29 Toten oder bei einer Demonstration in Berlin am 13. 1. 1920 mit 42 Toten. Die Opferzahlen auf Seiten der staatlichen Kräfte und der Freikorps waren deutlich kleiner. Über die damaligen Verluste von Reichswehr und Freiwilligenverbänden (nicht aber der Polizei) informiert eine Dokumentation aus dem Jahr 1935. Obwohl hier nicht die genauen Umstände dieser Todesfälle genannt werden, erscheinen die übrigen Angaben – Name, Dienstgrad, Todesdatum – relativ zuverlässig. Folgt man diesen Angaben, so starben infolge der revolutionären Unruhen und während der Auseinandersetzung mit Polen: »In allen Teilen« des Deutschen Reichs (5. 11. 1918 – 23. 9. 1923): 28 Mann; »Bei den Kämpfen um Berlin« (9. 11. 1918 – 13. 9. 1919): 77 Mann; »Bei der Einnahme Bremens« (4. 2. 1919): 24 Mann; »Im Kampf um Würzburg« (9. – 13. 4. 1919): sechs Mann; »Bei der Einnahme Braunschweigs« (14. 4. 1919): ein Mann; »Im Kampf um Augsburg« (10. 4. – 19. 5. 1919): sechs Mann; »Bei der Eroberung Münchens« (29. 4. – 14. 9. 1919): 61 Mann; »Beim Einsatz in Hamburg« (24./25. 6. 1919): 17 Mann; »Während des ersten Polenaufstandes in Oberschlesien« (2. 12. 1919 – 9. 2. 1920): sechs Mann; »Bei Kämpfen in Kiel« (13. – 20. 3. 1920): 21 Mann; »Straßenkampf in Harburg« (15. – 28. 3. 1920): zwölf Mann; »Mitteldeutschland« (15. 12. 1918 – 30. 4. 1920): 132 Mann; »Im Kampf um Leipzig« (16. 3 – 18. 9. 1920): 60 Mann; »Im Rhein.-Westf. Industriegebiet« (9. 1. 1919 – 20. 8. 1920): 377 Mann; »Während des dritten Polenaufstandes in Oberschlesien« (6. 5. 1921 – 11. 6. 1921): 340 Mann. Insgesamt ein Gesamtverlust von 1.168 Mann. Die Gefechtsbezeichnungen sind der Vorlage entnommen.

Vgl. Gumbel, Jahre; Roden (Hrsg.), Soldaten, S. 11 – 25; Morenz, Revolution, S. 135; Hillmayr, Terror, S. 149 – 151, 201, Anm. 205; Schumann, Gewalt, S. 56, 64, 87 f., 122, 132 – 135; Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 397 – 408; Gerwarth, Counter-Revolution; Lange, Massenstreik, S. 158.

93 Nach dem Ende des Kaiserreichs positionierten sich die bürgerlichen Parteien sehr unterschiedlich zum Gedanken einer Wiederherstellung der Monarchie. Während die Parteiprogramme von DDP, Zentrum und BVP auf positive Bezüge bewusst verzichteten, finden sich in den »Grundsätzen« von DVP und DNVP mehr oder weniger klare Stellungnahmen zugunsten einer Monarchie. Die DVP bezeichnete 1919 ein »auf gesetzmäßigem Wege aufzurichtende[s] Kaisertum« als die für das deutsche Volk »nach Geschichte und Wesensart geeignetste Staatsform«, während die DNVP 1920 erklärte: »Die monarchische Staatsform entspricht der Eigenart und geschichtlichen Entwicklung Deutschlands; […] für das Reich erstreben wir die Erneuerung des von den Hohenzollern aufgerichteten deutschen Kaisertums.« Der Monarchismus wurde im politischen Leben der Republik jedoch rasch zu einer eher unbedeutenden Randerscheinung, auch im Lager der politischen Rechten. Selbst in Teilen des deutschen Adels setzte nach 1918 eine rasche Abwendung von der Monarchie ein, an deren Stelle meist radikalere autoritäre Staatsvorstellungen traten. Eine Ausnahme bildete lediglich Bayern, wo sich nach 1918 eine einflussreiche monarchistische Bewegung formierte, die in der Bayerischen Königspartei sowie im Bayerischen Heimat- und Königsbund »In Treue fest« organisiert war und die mit Kronprinz Rupprecht von Bayern einen allgemein anerkannten Prätendenten vorweisen konnte. Gesellschaftlich mehrheitsfähig war jedoch auch sie zu keinem Zeitpunkt.

Vgl. Mommsen (Hrsg.), Parteiprogramme, S. 519 – 543, Zitate S. 520 f., 536; Kaufmann, Monarchism; Gengler, Monarchisten; Hiller von Gaertringen, Beurteilung; Endres, Königsbund; Malinowski, König, bes.S. 228 – 259, 376 – 378; Jones, Westarp; Kap. I/10, Anm. 60, 62.

können.90 Das Ergebnis ist, daß die Feinde der Republik damit ihren Kampf gegen die Republik als solche eingestellt haben und mithelfen, diejenigen niederzuzwingen, die selbst, wenn auch aus ganz anderen Gesichtspunkten heraus, ebenfalls Feinde dieser Republik sind. Das weitere Ergebnis aber ist, daß dadurch endgültig die Gefahr eines Kampfes der Anhänger des alten Staates gegen die des neuen abgebogen erscheint.

Man kann sich diese Tatsache gar nicht oft und scharf genug vor Augen halten. Nur wer sie begreift, versteht, wie es möglich war, daß einem Volk, das zu neun Zehnteln eine Revolution nicht gemacht hat, zu sieben Zehnteln sie ablehnt, zu sechs Zehnteln sie haßt, endlich von einem Zehntel dennoch diese Revolution aufgezwungen werden kann#1939: kann ersetzt durch: konnte.91

Allmählich verbluteten die spartakistischen Barrikadenkämpfer auf der einen Seite und die nationalistischen Fanatiker und Idealisten auf der anderen, und in eben dem Maß#1944: Maß ersetzt durch: Maße, in dem diese beiden Extreme sich gegenseitig aufrieben92, siegte, wie immer, die Masse der Mitte. Bürgertum und Marxismus fanden sich auf dem Boden der gegebenen Tatsachen, und die Republik begann sich zu »konsolidieren«. Was allerdings die bürgerlichen Parteien zunächst nicht hinderte, besonders vor den Wahlen, noch eine Zeitlang den monarchischen Gedanken zu zitieren, um mit den Geistern der vergangenen Welt die kleineren Geister ihrer Anhänger zu beschwören und erneut einfangen zu können.93

Ehrlich war dies#1944: dies ersetzt durch: das nicht. Sie hatten innerlich alle schon längst mit der Monarchie gebrochen, und die Unsauberkeit des neuen Zustandes begann ihre verführerischen Wirkungen auch im bürgerlichen Parteilager geltend zu machen. Der gewöhnliche bürgerliche Politiker fühlt sich heute wohler im Korruptionsschlamm94 der Republik als in der reinlichen Härte, die ihm vom vergangenen Staat her noch in Erinnerung ist.

* * *

Wie schon gesagt, war die Revolution nach der Zertrümmerung des alten Heeres gezwungen, sich zur Stärkung ihrer Staatsautori-