Sportliche Ausbildung der S. A. <span class="pagenumber">[193]</span>

211 Wie sich das Hitler damals vorstellte, ist dem 1924 erschienenen Volksbuch vom Hitler zu entnehmen, das sein damaliger Vertrauter Georg Schott verfasst hatte. Dort heißt es, gleichermaßen ordinär wie decouvrierend, es seien nicht bloß Juden, die in einem künftigen nationalsozialistischen Deutschland »die Bekanntschaft mit des Seilers Tochter machen sollen«. Vielmehr wäre es »doch wahrhaftig schade um so manchen, der auf diese Weise dem Arme der Gerechtigkeit entginge, bloß um eines geringfügigen körperlichen Unterschiedes willen. Nein: gleiches Recht für alle […]. So verlangt § 18 des Programmes der ehemaligen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. ›Wir fordern den rücksichtslosen Kampf gegen diejenigen, die durch ihre Tätigkeit das Gemeininteresse schädigen. Gemeine Volksverbrecher, Wucherer, Schieber usw. sind mit dem Tode zu bestrafen ohne Rücksicht auf Konfession und Rasse.‹« Der immer wieder beschworene Verweis auf eine künftige »Abrechnung« gehörte in der »Kampfzeit« zum Standardrepertoire der NS-Propaganda, die damit ihre Anhänger über eine Situation hinwegzutrösten suchte, in der diese ihre Aggressivität und ihre Gewaltfantasien längst nicht so ausleben konnten, wie sie es eigentlich wollten. So hieß es 1926 in den Zehn Geboten für jeden S.-A.-Mann, »Widerstand gegen Polizei und Staatsgewalt« sei »immer Unsinn«, da man »ja doch in jedem Fall der Unterlegene« sei. Man solle sich daher der Staatsgewalt fügen. »Aber tröste Dich: wir rechnen später einmal ab!«

Dazu sollte es nach dem 30. 1. 1933 dann auch bald kommen. Die Etablierung der NS-Diktatur wurde begleitet von einem mehr oder weniger kontrollierten Ausbruch der Gewalt; dieser konnte den Anschein juristischer Normalität haben, er manifestierte sich aber auch in blankem Terror, ohne Rücksicht auf juristische und moralische Normen. Zwischen Januar 1933 und Juni 1934 dürften etwa 100.000 Personen inhaftiert und über 740 ermordet worden sein; zu weiteren 1.124 Festnahmen und etwa 200 Morden kam es während des »Röhm-Putschs«. Zum entscheidenden Instrument dieses Terrors, für den an erster Stelle die SA verantwortlich war, wurden die Konzentrationslager (KZ), von denen im März 1933 die ersten staatlichen in Oranienburg und Dachau entstanden. Insgesamt dürften 1933/34 etwa 100 größere »wilde KZs« und Folterkeller der SA existiert haben. Gleichzeitig entstanden auf Grundlage der Reichstagsbrand- und der Heimtückeverordnung vom 28. 2. und 21. 3. 1933 die ersten Sondergerichte für politische Verfahren, die unter der Maxime von Schnelligkeit und »gesundem Volksempfinden« ihre Urteile sprachen. Zuständig für Verfahren wegen Hoch- und Landesverrats waren dagegen die Oberlandesgerichte, das Reichsgericht in Leipzig sowie seit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24. 4. 1934 der Volksgerichtshof in Berlin; am 1. 8. 1934 begann dieser mit seiner Arbeit. Bis 1945 verhängte allein der Volksgerichtshof 5.279 Todesurteile und 9.174 Freiheitsstrafen, wobei sich Zahl und Härte der Urteile seit 1939, erst recht aber seit 1942 rasch steigerten. Anders als von Hitler immer wieder angekündigt, wurden die angeblichen »Verbrecher des Novemberverrats« nach 1933 jedoch nie systematisch angeklagt. Allerdings hatten mit 3.079 Verurteilten (52,8 %) die Vertreter des deutschen linken Widerstands mit Abstand am stärksten unter dem Volksgerichtshof zu leiden.

Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90, Annex P, Nr. 114 und 115: »Verzeichnis der im Zuge der Säuberungsaktion festgenommenen Personen« [vom 13. 8. 1934]; Schott, Volksbuch, Zitat S. 186 f.; Nationalsozialistische Briefe vom 15. 9. 1926, »Zehn Gebote für jeden S.-A.-Mann«; Braunbuch II (1934), S. 405 – 433; Wieland, Volksgerichtshof; Drobisch/ Wieland, System; Marxen, Volk, Zahl S. 40; Schlüter, Urteilspraxis, S. 38, Zitat S. 102; Gruchmann, Justiz, S. 535 – 645, 944 – 980; Benz/ Distel (Hrsg.), Ort, Bd. 1 u. 2; Haase/ Sack, Münchner Platz, S. 46 – 134; Longerich, Bataillone, S. 172; Hertle/ Schaarschmidt (Hrsg.), Strafjustiz; Wagner, Volksgerichtshof, Zitate S. 1009, 1023.

215 Jiu Jitsu, eine alte Form der waffenlosen Selbstverteidigung, wurde ursprünglich von den japanischen Samurai entwickelt – als Alternative zur Verwendung von Schwert, Speer oder Bogen. Ziel war es, den Gegner mithilfe von Schlag-, Tritt-, Wurf-, Hebel- und Würgetechniken außer Gefecht zu setzen. Dieses System des waffenlosen Zweikampfs, das auf dem Prinzip des »Siegens durch Nachgeben« beruht, wurde in Japan zunächst als geheime Kunst gelehrt; aus ihr entwickelten sich weitere Kampfkünste wie Judo, Aikido oder Karate. In Deutschland populär wurde Jiu Jitsu durch Erich Rahn, einem Berliner Kaufmannssohn, der schon 1906 die erste deutsche Jiu-Jitsu-Schule eröffnete. Rahn unterrichtete seit 1910 die Berliner Kriminalpolizei, seit 1913 auch das Militär. Nach 1918 wurde Jiu Jitsu dann zu einer der beliebtesten Kampfsportarten im Deutschland; das lässt sich als Reaktion auf die politisch-wirtschaftlichen Krisen jener Jahre deuten, aber auch als Kompensation für die militärischen Einschränkungen durch den Versailler Vertrag. 1922 wurde die erste deutsche Jiu-Jitsu-Meisterschaft abgehalten, ein Jahr darauf der Reichsverband für Jiu Jitsu gegründet. Seit den 1920er Jahren gehörte Jiu Jitsu zum Ausbildungsprogramm von Kriminal- und Schutzpolizei. Auch in Hitlers Vorstellung empfahl sich Jiu Jitsu – neben Boxen – als idealer Kampfsport für die SA, die künftig offiziell auf jede militärische Bewaffnung verzichten sollte. 1922 wurden bei der Münchner SA bereits etwa 60 Mann in Jiu Jitsu ausgebildet, wie ein Vernehmungsprotokoll der Münchner Polizei belegt: »Der schon 27 – 28 jährige Jiu Jitsu Lehrer war stets in Zivil. [Hans Ulrich] Klintzsch und [Emil] Maurice nahmen am Unterricht teil.«

Vgl. StA München, Pol. Dir. 6698: Vernehmungsprotokoll Fritz Huber vom 24. 7. 1922 (Zitat); Hitler, Reden, Bd. II/1, Dok. 31, 44, 135, Bd. II/2, Dok. 165, 218; Reuter, Jiu Jitsu; Rahn, Jiu-Jitsu; Matschke/ Velte, Jahre.

für später fast sicher; im anderen Fall wird ein kleiner Schuft beseitigt und dabei das Leben eines vielleicht nicht zu ersetzenden Idealisten aufs Spiel gesetzt.

Im übrigen ist in dieser Frage meine Stellungnahme die, daß man nicht kleine Diebe hängen soll, um große laufen zu lassen; sondern daß einst ein deutscher Nationalgerichtshof etliche Zehntausend der organisierenden und damit verantwortlichen Verbrecher des Novemberverrats und alles dessen, was dazugehört#1937: dazugehört ersetzt durch: dazu gehört;
1939: dazugehört, abzuurteilen und hinzurichten hat.211 Ein solches Exempel wird dann auch dem kleinen#1944: kleinen ersetzt durch: kleinsten Waffenverräter einmal für immer die notwendige Lehre sein.

Das alles sind Erwägungen, die mich veranlaßten, immer wieder die Teilnahme an Geheimorganisationen zu verbieten und die S.A.#1937: S. A. ersetzt durch: SA. selbst vor dem Charakter solcher Organisationen zu bewahren. Ich habe in jenen Jahren die nationalsozialistische Bewegung von Experimenten ferngehalten, deren Vollführer meistens herrliche idealistisch gesinnte junge Deutsche waren, deren Tat aber nur sie selbst zum Opfer werden ließ, indes sie das Schicksal des Vaterlandes nicht im geringsten zu bessern vermochten.212

* * *

Wenn aber die S.A.#1937: S. A. ersetzt durch: SA. weder eine militärische Wehrorganisation noch ein Geheimverband sein durfte, dann mußten sich daraus folgende Konsequenzen ergeben.

1. Ihre Ausbildung hat nicht nach militärischen Gesichtspunkten, sondern nach parteizweckmäßigen zu erfolgen.213

Soweit die Mitglieder dabei körperlich zu ertüchtigen sind, darf der Hauptwert nicht auf militärisches Exerzieren, als#1930: als ersetzt durch: sondern vielmehr auf sportliche Betätigung gelegt werden. Boxen214 und Jiu-Jitsu215 sind mir immer wichtiger erschienen als irgendeine schlechte, weil doch nur halbe Schießausbildung. Man gebe der deutschen Nation sechs Millionen sportlich tadellos trainierte Körper, alle von fanatischer Vaterlandsliebe durchglüht und zu höchstem Angriffsgeist erzogen, und ein nationaler Staat wird aus ihnen, wenn notwendig, in