Zusammenspiel der Linksparteien <span class="pagenumber">[173]</span>

81 Der Erste Weltkrieg stürzte die SPD in eine schwere Krise, an der die Einheit der Partei im April 1917 zerbrach. Anlass dafür war die immer wieder aktuell werdende Frage nach der Bewilligung neuer Kriegskredite im Reichstag. Noch am 3. 8. 1914 hatten die SPD-Abgeordneten auf einer Fraktionssitzung mit 78 zu 14 Stimmen für eine Bewilligung der Kriegskredite votiert. Während die Mehrheit der Partei ihre Integration in die von der politischen Führung propagierte Politik des »Burgfriedens« als nationale Pflicht verstand, wuchs mit zunehmender Kriegsdauer eine innerparteiliche Opposition, die sich gegen diese Politik stellte. Sie sah in diesem Krieg nicht mehr eine legitime Landesverteidigung, sondern ein imperialistisches Unterfangen. Mit Blick auf die expansiven Kriegsziele, wie sie in Kreisen der Deutschkonservativen Partei, des Centralverbands deutscher Industrieller und des Bunds der Landwirte laut geworden waren, betonten Eduard Bernstein, Hugo Haase und Karl Kautsky in ihrem Aufruf Das Gebot der Stunde vom 19. 6. 1915, annexionistische Begehrlichkeiten stünden »in schroffstem Widerspruch« zur Erklärung der SPD vom 4. 8. 1914, in der »im Einklang mit der Internationale jede[r] Eroberungskrieg verurteilt« worden sei. Stattdessen plädierten sie für einen Frieden »auf der Grundlage freier Vereinbarung«, zu dem die sozialdemokratischen Parteien der einzelnen Länder »nach Maßgabe ihrer Stellung und ihrer Kräfte […] beitragen« sollten. Radikalere Stimmen – vor allem aus dem Umfeld der Spartakusgruppe um Karl Liebknecht – warfen der Parteileitung vor, die Arbeiterklasse verraten zu haben und plädierten für den revolutionären Klassenkampf. Nachdem die oppositionellen Reichstagsabgeordneten der SPD im März 1916 zunächst aus der Fraktion, im Januar 1917 schließlich aus der Partei ausgeschlossen worden waren, gründeten sie auf einer Reichskonferenz in Gotha vom 6. – 8. 4. 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Den Parteivorsitz übernahmen Georg Ledebour und Hugo Haase. Die Reaktion der damals insgesamt elf jüdischen SPD-Reichstagsabgeordneten auf die Spaltung ihrer Partei war sehr uneinheitlich. Sechs Abgeordnete schlossen sich der USPD an – neben Haase waren dies Eduard Bernstein, Oskar Cohn, Joseph Herzfeld, Arthur Stadthagen und Emanuel Wurm –, fünf blieben hingegen in der SPD. Diese Ambivalenz wurde in der völkischen Agitation freilich ebenso ignoriert wie der Sachverhalt, dass sich die meisten Politiker jüdischer Herkunft, die bedeutende Positionen in der USPD innehatten, nicht dem revolutionär-linksradikalen, sondern dem gemäßigten Parteiflügel zugehörig fühlten. Die triviale Gleichsetzung der Ziele der USPD mit jenen »der« Juden ignoriert darüber hinaus die rund 96.000 jüdischen Soldaten, die in der deutschen Armee dienten, über 11.000 (knapp 12 %) davon als Kriegsfreiwillige.

Vgl. Friedemann (Hrsg.), Materialien, Bd. 2, S. 904 – 908, Zitat S. 906 f.; Groh, Integration, S. 653 ff.; Miller, Burgfrieden, bes.S. 104 – 177; Miller, Haltung; Kruse, Krieg, S. 178 – 184, 195 – 222; Mühlhausen, Ebert, S. 70 – 82, 88 – 97; Kap. I/5, Anm. 70; Kap. I/7, Anm. 38.

82 Ohne die Bewilligung der Kriegskredite durch die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten hätte das Deutsche Reich den Krieg niemals führen können. Ganz davon abgesehen musste ein Massenkrieg wie der Erste Weltkrieg gerade die Anhänger der SPD besonders hart treffen. Zwar haben sich keine einschlägigen Statistiken über deren Verluste erhalten, doch sprechen die folgenden beiden Schlaglichter für sich: Von den vier Söhnen des Parteivorsitzenden Friedrich Ebert starb Heinrich (*1897) schwer verwundet am 14. 2. 1917 im Lazarett, Georg (*1896) fiel am 5. 5. 1917. Eberts Sohn Friedrich (*1894) war schon im Juli 1916 erstmals schwer verwundet worden und wurde zu Beginn des Jahres 1917 wieder an die Front kommandiert. Ebert unternahm nichts, um seinen Sohn in die Etappe versetzen zu lassen. Nachdem dies Parteifreunde ohne Eberts Wissen unternommen hatten, bat Friedrich seinen Vater um Rückversetzung zur Front. Ebert willigte ein. Am Ende des Kriegs wurde auch noch der jüngste Sohn Karl Ebert als Rekrut eingezogen, kam aber nicht mehr an die Front. Von den 397 Abgeordneten des Deutschen Reichstags (Stand: 1912) fielen nur zwei im Ersten Weltkrieg: Der sozialdemokratische Abgeordnete Ludwig Frank, geboren als Sohn jüdischer Eltern am 23. 5. 1874 in Nonnenweier (Baden), fiel am 3. 9. 1914 bei Baccarat in Lothringen. Der Gutspächter Hans von Meding, geboren am 15. 10. 1868 auf Gut Schnellenberg bei Lüneburg, fiel am 5. 1. 1917 in Kurland; er hatte seit 1912 die Deutsch-Hannoversche Partei im Reichstag vertreten.

Vgl. Mühlhausen, Ebert, S. 83 – 85; Grzesinski, Kampf, S. 303 mit Anm. 6.

84 Tatsächlich hatte im politischen Establishment des Deutschen Reichs nach 1918 kein wirklicher Generationswechsel stattgefunden. Das lag auch daran, dass jene Generationen, die den Ersten Weltkrieg als Soldaten erlebt hatten, stark gelichtet waren oder anfangs erhebliche Schwierigkeiten hatten, wieder im zivilen Leben Fuß zu fassen. Die vielfältigen ökonomischen Schwierigkeiten verschärften noch dieses Problem. In einem deutlichen Gegensatz zur »›gerontokratische[n]‹ Parteienlandschaft« präsentierte sich die NSDAP schon bald als eine eminent junge, aktivistische Bewegung, deren Selbstverständnis sich auf dem Erleben von Kriegs- und Nachkriegszeit gründete und die sich demonstrativ von »der wilhelminischen Gefühls- und Gewissenskultur ihrer Väter« abzugrenzen versuchte. Das war auch bald im Reichstag sichtbar; mit Abgeordneten wie Hans Dietrich (1924, 25 Jahre), Josef Wagner (1928, 29 Jahre) oder Albert Forster (1930, 28 Jahre) stellte die NSDAP die jüngsten Abgeordneten.

Vgl. Schwarz, MdR, S. 635, 649, 782; Jamin, Klassen, bes.S. 77 – 89; Mühlberger, Followers; Reichardt, Kampfbünde, S. 310 – 336, 384 – 389, Zitate S. 386, 387.

Wie sehr dies gelungen ist, hat die Praxis gezeigt.

Allein die Revolution war nicht gemacht worden von Elementen der Ruhe und Ordnung, als vielmehr von solchen des Aufruhrs, des Diebstahls und der Plünderung. Und diesen war weder die Entwicklung der Revolution dem eigenen Wollen entsprechend, noch konnte ihnen aus taktischen Gründen der Verlauf erläutert und mundgerecht gemacht werden.

Mit der allmählichen Zunahme der Sozialdemokratie hatte diese immer mehr den Charakter einer brutalen Revolutionspartei verloren. Nicht, als ob sie gedanklich je einem anderen Ziel#1933: Ziel ersetzt durch: Ziele als dem der Revolution gehuldigt, oder ihre Führer je andere Absichten gehabt hätten; durchaus nicht. Allein, was endlich übrigblieb, war nur noch die Absicht und ein zur Ausführung derselben nicht mehr passender Körper. Mit einer Zehnmillionenpartei80 kann man keine Revolution mehr machen. In einer solchen Bewegung hat man nicht länger ein Extrem der Aktivität vor sich, sondern die breite Masse der Mitte, also die Trägheit.

In dieser Erkenntnis fand noch während des Krieges die berühmte Spaltung der Sozialdemokratie durch den Juden statt81, d. h.: Während#1937: Während ersetzt durch: während;
1939: Während sich die sozialdemokratische#1937: sozialdemokratische ersetzt durch: Sozialdemokratische;
1939: sozialdemokratische Partei, entsprechend der Trägheit ihrer Masse, wie ein Bleigewicht an die nationale Verteidigung hing82, zog man aus ihr die radikal-aktivistischen#1937: radikal-aktivistischen ersetzt durch: radikalaktivistischen;
1939: radikal-aktivistischen Elemente heraus und formierte sie zu besonders schlagkräftigen neuen Angriffskolonnen. Unabhängige Partei und Spartakusbund waren die Sturmbataillone des revolutionären Marxismus. Sie hatten die vollendete Tatsache zu schaffen, auf deren Boden dann die jahrzehntelang darauf vorbereitete Masse der sozialdemokratischen#1937: sozialdemokratischen ersetzt durch: Sozialdemokratischen;
1939: sozialdemokratischen Partei treten konnte. Das feige Bürgertum wurde dabei vom Marxismus richtig eingeschätzt und einfach »en canaille«83 behandelt. Man nahm von ihm überhaupt keine Notiz, wissend, daß die hündische Unterwürfigkeit der politischen Gebilde einer alten ausgedienten Generation84 zu einem ernstlichen#1930: einem ernstlichen ersetzt durch: ernstlichem Widerstand niemals fähig sein würde.

Sowie die Revolution gelungen war und die Hauptstützen des alten Staates als gebrochen#1937: gebrochen ersetzt durch: abgebrochen;
1939: gebrochen gelten konnten, die zurückmarschierende