Die Schuldigen am Zusammenbruch <span class="pagenumber">[241]</span>

13 Mit dieser Deutung folgt Hitler, wie viele andere Autoren der damaligen Rechten, den Behauptungen Paul von Hindenburgs und Erich Ludendorffs, die seit August 1916 an der Spitze der OHL gestanden hatten. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verband beide die Absicht, die auf ihnen lastende Verantwortung für die Kriegsniederlage auf die Reichsregierung und auf linksradikale Kräfte in der Heimat abzuwälzen. Der Tenor ihrer Exkulpationsstrategie lautete: Nicht die Fehler der militärischen Führung, die Erschöpfung der Truppe und die klare quantitative Überlegenheit der Entente seien schuld an der deutschen Niederlage, sondern eine »planmäßige Zersetzung von Flotte und Heer« – so Hindenburg am 18. 11. 1919 in seiner viel beachteten Erklärung vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung: »So mußten unsere Operationen mißlingen, es mußte der Zusammenbruch kommen.« Deutungen wie diese wurden zur Grundlage der Dolchstoßlegende, die nach 1918 die deutsche Debatte über die Kriegsniederlage in hohem Maße prägte. Eines der Hauptargumente ihrer Vertreter war der vom Spartakusbund organisierte »Januarstreik« 1918, für den zu Unrecht die gesamte SPD und von völkischen Autoren auch »die Juden« verantwortlich gemacht wurden.

Jenseits der politischen Rechten wurde die Dolchstoßlegende scharf zurückgewiesen. Adolf Köster, von Oktober 1921 bis November 1922 Reichsminister des Innern, schrieb 1921 in seiner Broschüre Konnten wir im Herbst 1918 weiterkämpfen?: »Die Legende von dem hinterlistig erdolchten Heere ist die spezifische Form, in der Deutschland Selbstgericht abhält. In anderen europäischen Ländern zieht das Volk nach einer Niederlage seine militärischen und politischen Führer zur Rechenschaft. In Deutschland ist es den Generälen gelungen, die Beschimpfung und Bezichtigung des eigenen Volkes zu organisieren.« Ähnlich geurteilt hatte bereits 1919 der Berliner Theologe Ernst Troeltsch: »Die große historische Legende, auf der die ganze Reaktion beruht, daß eine siegreiche Armee meuchlings und rücklings von den vaterlandslosen Gesellen der Heimat erdolcht sei, ist damit zum Dogma und zur Fahne der Unzufriedenen geworden.« Auch die 1929 veröffentlichten Tagebücher des bayerischen Kronprinzen Rupprecht zeigen, dass es schon während des Kriegs militärische Verantwortliche gab, die hellsichtig erkannten, dass der Krieg militärisch verloren war. Am 17. 5. 1918 notierte Rupprecht als Oberster Befehlshaber der Bayerischen Armee und somit auch Hitlers Oberster Kriegsherr: »In einer Zuschrift der O.H.L. ist der Satz besonders beachtenswert, daß wir schwere Verluste nicht mehr ertragen können. […] wird dies aber zugegeben, folgert sich daraus, daß wir den Krieg militärisch nicht gewinnen können, denn ohne erneute schwere Verluste ist ein entscheidender Sieg nicht zu erringen. Es muß also an Friedensverhandlungen gedacht werden.«

Vgl. Ursachen und Folgen, Bd. 4, Dok. 804, Zitat S. 7 f.; Köster, Herbst, Zitat S. 5; Troeltsch, Geist, Zitat S. 92; Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 3, Zitat S. 398; Krüger/ Salewski, Verantwortung, S. 378 – 394; Krumeich, Dolchstoß-Legende; Sammet, Deutschland, bes.S. 95 – 192; Pyta, Hindenburg, S. 405 – 409; Barth, Dolchstoßlegende; Kap. I/7, Anm. 49, 50, 89; Kap. II/13, Anm. 50.

14 Anders als hier von Hitler impliziert, stand das deutsche Heer zu keinem Zeitpunkt des Ersten Weltkriegs ohne Verbündete im Feld. Zutreffend ist jedoch, dass bei Kriegsausbruch den etwas mehr als sechs Millionen Soldaten der Mittelmächte (davon etwas mehr als 3,8 Millionen Deutsche) rund neun Millionen alliierte Soldaten gegenüberstanden. Dieses Ungleichgewicht wuchs bis Kriegsende noch deutlich an: Insgesamt mobilisierten die Alliierten, die auch dank ihrer Kolonien auf ganz andere personelle Ressourcen zurückgreifen konnten, zwischen 1914 und 1918 mit rund 42 Millionen Mann fast doppelt so viele Truppen wie die Mittelmächte mit etwa 23 Millionen Soldaten (davon etwa 13,2 Millionen Deutsche).

Vgl. Overmans, Kriegsverluste, S. 664; Deist, Streitkräfte, S. 870; Thoss, Truppenstärken, S. 928.

Allerdings war der Verlust des Krieges von einer entsetzlichen Bedeutung für die Zukunft unseres Vaterlandes, allein sein Verlust ist nicht eine# 1944: eine ersetzt durch: die Ursache, sondern selber nur wieder eine Folge von solchen# 1926: solchen ersetzt durch: Ursachen . Daß ein unglückliches Ende dieses Kampfes auf Leben und Tod zu sehr verheerenden Folgen führen mußte, war ja jedem Einsichtigen und nicht Böswilligen vollkommen klar, leider aber gab es auch Menschen, denen diese Einsicht zur richtigen Zeit zu fehlen schien, oder die, entgegen ihrem besseren Wissen, dennoch diese Wahrheit erst abstritten und wegleugneten; es# 1930: wegleugneten; es ersetzt durch: wegleugneten. Das waren dies# 1930: gestrichen: dies zum größten Teile# 1937: Teile ersetzt durch: Teil diejenigen, die nun# 1930: gestrichen: nun nach dem Eintreffen# 1937: dem Eintreffen ersetzt durch: der Erfüllung ihres geheimen Wunsches auf einmal die späte Einsicht der# 1930: der ersetzt durch: in die Katastrophe, die durch sie mit angerichtet wurde, erhalten# 1926: erhalten ersetzt durch: erhielten . Sie aber sind die Schuldigen am Zusammenbruche und nicht der verlorene Krieg, wie sie nun auf einmal# 1930: nun auf einmal ersetzt durch: plötzlich zu sagen und# 1937: eingefügt: zu wissen belieben. Denn der Verlust desselben war ja nur die Folge ihres Wirkens und nicht, wie sie jetzt behaupten wollen, das Ergebnis einer »schlechten« Führung.13 Auch der Gegner bestand nicht aus Feiglingen, auch er wußte zu sterben, seine Zahl war vom ersten Tage an größer als die des deutschen Heeres14,# 1926: eingefügt: und seiner technischen Rüstung aber# 1926: gestrichen: aber standen die Arsenale der ganzen Welt zur Verfügung; mithin kann die Tatsache, daß die deutschen Siege, die vier Jahre lang gegen eine ganze Welt erfochten wurden, bei allem Heldenmute# 1944: Heldenmute ersetzt durch: Heldenmut und aller »Organisation«, nur der überlegenen Führung zu verdanken waren, nicht aus der Wirklichkeit# 1926: Wirklichkeit ersetzt durch: Welt geleugnet werden. Die Organisation und Leitung des deutschen Heeres war# 1926: war ersetzt durch: waren das Gewaltigste, was die Erde bisher je ersah# 1926: ersah ersetzt durch: gesehn;
1930: gesehen . Ihre Mängel lagen in der Grenze der allgemeinen menschlichen Zulänglichkeit# 1937: Zulänglichkeit ersetzt durch: Zugänglichkeit;
1939: Zulänglichkeit überhaupt.15

Daß dieses Heer zusammenbrach, war nicht die Ursache unseres heutigen Unglücks, sondern nur die Folge anderer Verbrechen, eine Folge, die allerdings selber wieder den Beginn eines weiteren und dieses Mal mehr sichtbaren# 1930: mehr sichtbaren ersetzt durch: sichtbareren;
1944: sichtbaren Zusammenbruches# 1937: Zusammenbruches ersetzt durch: Zusammenbruchs;
1939: Zusammenbruches;
1944: Zusammenbruchs einleitete.

Daß dem so ist, geht aus folgendem hervor:

Wann muß denn# 1926: Wann muß denn ersetzt durch: Muß denn;
1930: Muß eine militärische Niederlage zu einem solchen# 1926: solchen ersetzt durch: solch;
1930: so restlosen Niederbruche# 1930: Niederbruche ersetzt durch: Niederbruch einer Nation und eines Staates führen? Seit wann ist dies das Ergebnis eines unglücklichen Krieges? Gehen Völker# 1930: gestrichen: Völker denn überhaupt# 1930: eingefügt: Völker an verlorenen Kriegen an und für sich zugrunde?