Selbstpositionierung im völkischen Lager und innerhalb der NSDAP

»Der Starke ist am mächtigsten allein« steht programmatisch über jenem Kapitel in Mein Kampf, mit dem sich Hitler mitsamt seiner Gefolgschaft im heterogenen, stark fragmentierten Lager der deutschen Rechten verorten will. 245 Schon diese Überschrift – eine Anlehnung an Friedrich Schillers Wilhelm Tell – lässt keinen Zweifel, worum es Hitler geht: um einen Alleinvertretungsanspruch. Ein kräftiger Verband würde durch jeden Zusammenschluss mit anderen Verbänden nur geschwächt, so das nimmermüde Mantra Hitlers. Jegliches Bündnis verhindere den »Kampf zur Auslese des Besten« und werde nur aus niederträchtigen Motiven geschlossen. »Große, wahrhaft weltumwälzende Revolutionen geistiger Art« seien »überhaupt nur denkbar und zu verwirklichen als Titanenkämpfe von Einzelgebilden, niemals aber als Unternehmen von Koalitionen«. 246

Zwar bleiben Hitlers Ausführungen auch in diesem Kapitel (II/8) allgemein und vage, doch wird zwischen den Zeilen ein damals schwelender, noch längst nicht entschiedener Konflikt erkennbar: der Konkurrenzkampf zwischen der NSDAP und anderen rechtsradikalen Gruppierungen, insbesondere mit der Deutschvölkischen Freiheitspartei (DVFP), die 1922 völkische Aktivisten aus Norddeutschland gegründet hatten. Beide Parteien wurden nach dem gescheiterten Hitler-Putsch im November 1923 verboten. Im Gegensatz zur DVFP, die ihre Geschlossenheit unter dem Vorsitz Albrecht von Graefes weitgehend bewahrte, zerfiel die NSDAP in mehrere Gruppierungen: der Großdeutschen Volksgemeinschaft unter Alfred Rosenberg, dem Hitler noch kurz vor seiner Inhaftierung die kommissarische Führung der »Bewegung« übertragen hatte, folgten bei Weitem nicht alle Nationalsozialisten. Vielmehr formierten sich am 6. Januar 1924 Anhänger der verbotenen NSDAP und der DVFP zum Völkischen Block in Bayern – einem Bündnis für die bayerische Landtagswahl am 6. April 1924.  Nach der Reichstagswahl vom 4. Mai 1924 bildeten norddeutsche Nationalsozia­listen um Gregor Straßer mit der DVFP zudem eine Fraktionsgemeinschaft im Reichstag, die sogenannte Nationalsozialistische Freiheitspartei. Während Hitlers Festungshaft in Landsberg verfolgte Albrecht von Graefe gemeinsam mit Erich Ludendorff darüber hinaus das Ziel einer Vereinigung von DVFP und NSDAP, doch scheiterte dieser Plan an Hitlers Widerstand. Nicht verhindern konnte Hitler hingegen eine andere Verbindung: Am 12. Juni 1925 bildeten die Reichstagsabgeordneten der DVFP, die einige Monate zuvor unter dem Namen Deutschvölkische Freiheitsbewegung neu gegründet worden war, zusammen mit den Abgeordneten der NSDAP eine gemeinsame Fraktion, die Völkische Arbeitsgemeinschaft. Geführt wurde sie nicht von Mitgliedern der NSDAP, sondern von den DVFP-Politikern Albrecht von Graefe, Ernst Graf zu Reventlow und Wilhelm Henning – für Hitler ein doppelter Affront.

Nach seiner Haftentlassung war dies jedoch nicht das einzige Problem, das sich dem »Führer« der neugegründeten NSDAP stellte: Am 1. Mai 1925 rief Anton Drexler, der ehemalige Mitbegründer der (NS)DAP, zusammen mit mehreren Vertretern des Völkischen Blocks in Bayern den Nationalsozialen Volksbund ins Leben. Auch diese kleine Gruppe ging nun auf Konfrontationskurs zur NSDAP. 247 Am 10. September 1925 schlossen sich auch noch die NSDAP-Gauleiter Nordwestdeutschlands auf Initiative Gregor Straßers zu einer Arbeitsgemeinschaft der Nord- und Westdeutschen Gaue der NSDAP zusammen – angeblich zur Verbesserung der Kooperation zwischen diesen Gauen. In Wirklichkeit ging es ihren Vertretern darum, durch eine stärkere Betonung des »sozialistischen« Elements innerhalb der NSDAP ein Gegengewicht zu Hitler und dessen Gefolgsleuten in Süddeutschland zu schaffen und dafür auch ein neues Parteiprogramm auszuarbeiten. 248 Diese Unruhe ließ keinen Zweifel daran, dass die NSDAP nach der scharfen Zäsur der Jahre 1923/24 ihre Formierungsphase noch längst nicht abgeschlossen hatte. Für Hitler stellten sich damit zwei grundlegende Herausforderungen: Er musste sich innerhalb der NSDAP behaupten, aber auch sich und seine Partei im völkischen Lager insgesamt klar positionieren. Genau dies versuchte er nicht allein mit Zeitungsartikeln und auf Partei­versammlungen, sondern auch in Mein Kampf. Nur wenn er seine eigene Partei wieder fest in den Griff bekam, schien die erhoffte, alleinige Dominanz über das rechtsradikale Lager möglich.

Dreh- und Angelpunkt für diese »Rückeroberung« war – wie konnte es bei einer so egomanen Figur wie Hitler auch anders sein – er selbst. Das Selbstbild des »Erlösers«, des begnadeten »großen Mannes«, sollte die Sehnsüchte einer Gesellschaft erfüllen, in der die Hoffnung auf einen alles überragenden »Retter« ebenso weitverbreitet war wie die Unterschätzung oder gar Verachtung des Parlamentarismus. 249 Wie schon in seinen autobiografischen Ausführungen bemüht Hitler auch hier das »Schicksal«, das ihn dem deutschen Volk geschenkt habe. Verklausuliert und in allgemein gehaltenen, jedoch unschwer als Selbstbeschreibung zu durchschauenden Passagen präsentiert sich Hitler als der – in sozialdarwinistischem Sinne – Stärkere und Tüchtigere, der sich schon im Vorfeld seines Putschs »im freien Spiel der Kräfte«250 durchgesetzt habe. Wer seinen Führungsanspruch nicht anerkenne, so die kaum verhohlene, prätentiöse Botschaft, verweigere sich nicht nur einer höheren Fügung, sondern geradezu den Grundprinzipien der Natur. So fordert Hitler für sich denn auch ein »Prioritätsrecht« im völkischen Lager: »Ein Mann verkündet an irgendeiner Stelle eine Wahrheit, ruft zur Lösung einer bestimmten Frage auf, setzt ein Ziel und bildet eine Bewegung, die der Verwirklichung seiner Absicht dienen soll. […] Mithin müßte es vernünftigerweise und bei einer gewissen Redlichkeit […] für ein Ziel auch nur eine Bewegung geben.«251 Seine völkischen Konkurrenten und Gegner aber, so Hitler, seien nie »redlich« gewesen und hätten sich nicht eingestanden, dass er »der ausschließlich Berufene« sei. Stattdessen hätten ihm von »Neid, Eifersucht, Ehrgeiz und diebischer Gesinnung« getriebene »faule Herumlungerer«252 den Erfolg missgönnt, das Programm der NSDAP gestohlen, um damit eine neue Partei zu gründen. Diese Vorwürfe waren gleich in mehrfacher Hinsicht aus der Luft gegriffen: Zum einen hatte die DAP bei ihrer Gründung selbst auf ältere Forderungen der völkischen Bewegung zurückgegriffen und nichts Originelles geschaffen, zum anderen war das Parteiprogramm der DVFP keineswegs eine bloße Kopie des »25-Punkte-Programms« der NSDAP vom 24.  Februar 1920. 253 Ferner kam das NSDAP-Parteiprogramm selbst über eine Ansammlung völkischer Gemeinplätze nicht hinaus und war nach seiner Verkündung entsprechend auch innerhalb der völkischen Bewegung kaum auf Interesse gestoßen. 254

Doch für all dies ist in Hitlers Ausführungen kein Raum. Kategorisch formuliert er stattdessen im Kapitel Weltanschauung und Organisation (II/5): »Da eine Weltanschauung niemals bereit ist, mit einer zweiten zu teilen, so kann sie auch nicht bereit sein, an einem bestehenden Zustand, den sie verurteilt, mitzuarbeiten, sondern fühlt die Verpflichtung, diesen Zustand und die gesamte gegnerische Ideenwelt mit allen Mitteln zu bekämpfen, d.h. deren Einsturz vorzubereiten.«255 Weil sich freilich selbst in einer so hochgradig stilisierten und eklektischen Schrift wie Mein Kampf kaum leugnen ließ, dass Hitler die Zusammenarbeit der NSDAP mit anderen Parteien und Verbänden – sogar mit der DVFP – zeitweilig selbst vertreten hatte256, findet er auch dafür eine Begründung: Es könne vorkommen, »daß aus rein taktischen Erwägungen heraus die oberste Leitung einer Bewegung […] dennoch mit ähnlichen Verbänden über die Behandlung bestimmter Fragen auf ganz kurze Zeit eine Einigung« eingehe und »vielleicht auch gemeinsame Schritte« unternehme. Dies dürfe aber »nie zur Verewigung solchen Zustandes führen«, da andernfalls »die Bewegung […] ihre erlösende Mission« aus den Augen verliere. Ein zukünftiger »völkische[r] Staat« könne nur geschaffen werden »durch den stahlharten Willen einer einzigen Bewegung, die sich durchgerungen hat gegen alle«. 257 Im Konkurrenzkampf der völkischen Parteien, so Hitler, habe sich die NSDAP dabei schon 1920 »als Siegerin langsam herauskristallisiert«. 258 In Wirklichkeit entsprach dies jedoch allenfalls in München den Tatsachen; außerhalb der Landeshauptstadt dominierte zunächst der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund (DVSTB) die rechtsradikale Szene. 259 Und von der Mitgliederzahl wurde die NSDAP noch 1925 von der Deutschsozialen Partei übertroffen. 260 Die Konkurrenten aus diesen beiden Organisationen waren jedoch nicht oder nur am Rand das Ziel von Hitlers Angriffen, zumal sich viele Mitglieder des DVSTB nach dessen Verbot im Sommer 1922 der NSDAP angeschlossen und auf diese Weise die Partei erheblich gestärkt hatten. Eine Attacke schien schon deshalb kaum opportun.

Unterwarfen sich ehemalige Konkurrenten seinem alleinigen Führungsanspruch, dann wurden sie von Hitler jovial akzeptiert – so etwa Julius Streicher, der im Herbst 1922 von der Deutschen Werkgemeinschaft zur NSDAP gewechselt war und den Hitler als einen der wenigen Gefolgsleute der ersten Stunde lobend erwähnt. 261 Wer sich seinem Führungsanspruch nicht fügte, den schwieg Hitler in seiner Schrift hingegen tot. Zwar widmet er seinen Konkurrenten aus dem völkischen Lager ein ganzes Kapitel, die entscheidenden Namen wie etwa Graefe, Ludendorff und Reventlow tauchen hier jedoch an keiner Stelle auf. Stattdessen polemisiert Hitler pauschal gegen angebliche »Diebe« und »politische Kleptomanen«. 262 Auch sonst verfallen Hitlers völkische Konkurrenten in Mein Kampf der damnatio memoriae. So verspottet Hitler im Kapitel Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (I/12) zwar höhnisch wie wortreich die »deutschvölkischen Wanderscholaren«, »Komödianten«, »Methusalem[e]«, »Ahasvere«, »Johannesse« bzw. »Nachtfalter«263 und kritisiert ihre mutmaßlichen Verfehlungen, nennt aber auch hier keine Namen.

Im Kapitel I/12 verwirft Hitler sogar grundsätzlich das Wort »völkisch«; es sei »infolge seiner begrifflichen Unbegrenztheit keine mögliche Grundlage für eine Bewegung« und führe »zur Aufhebung jeder strammen Kampfgemeinschaft«. 264 Seitenhiebe wie dieser dienten Hitler immer auch zur Stilisierung der NSDAP als dem angeblich einzig aufrichtigen, ernst zu nehmenden und aussichtsreichen Gegner »des Marxismus«, der in Hitlers Perzeption seit dem November 1918 in Deutschland an der Macht war. Nur seine »junge, kampfesfreudige Bewegung« sei für diese Auseinandersetzung gewappnet und habe entsprechend »schon nach kurzer Zeit Hunderttausende«265 Sympathisanten gewonnen. Einem zeitgenössischen Polizeibericht zufolge erklärte Hitler am 12.  März 1926 auf einer NSDAP-Versammlung in München, die Nationalsozialisten hätten »mit der völkischen Idee nichts zu tun«; allein die Bewegung sei »auf völkisch-nationale Grundlage gestellt«, da sie »nicht für die Vergangenheit, sondern für die Zukunft, für die Befreiung des deutschen Volkes«266 kämpfe. Neben platten Leerformeln wie dieser verstrickte sich Hitler bei seinen Positionierungsversuchen gegenüber den Völkischen mitunter auch in Widersprüche; erinnert sei an das Kapitel Ostorientierung oder Ostpolitik (II/14), in dem sich Hitler selbst als »völkischer Mann«267 bezeichnet.

Hitlers notorisches Bedürfnis, sich demonstrativ von der völkischen Bewegung und ihren Exponenten abzugrenzen, wurzelte indes nicht nur in seinem Charakter, seinem unbedingten Führungsanspruch und den da­raus erwachsenden persönlichen Animositäten, sondern auch in den eklatanten strukturellen Mängeln, die dieser Bewegung seit jeher anhafteten. Darüber, dass nach wie vor »keine Klarheit in den völkischen Anschauungen und noch keine Einigkeit in der völkischen Bewegung« herrsche, dass sie »ohnmächtig« und in eine Vielzahl von »Gruppen« und »Richtungen« »zersplittert« sei, die »einander bekämpfen«268 würden, machte sich ein führender völkischer Funktionär wie der langjährige »Großmeister« des Deutschbunds, Max Robert Gerstenhauer, im Jahr 1927 keinerlei Illusionen. Für Hitler, dem eine schlagkräftige und jugendliche Partei vor Augen stand, die eine realistische Chance besitzen sollte, die Macht im Deutschen Reich zu erobern, konnte die völkische Bewegung als Ganzes, mit ihren widerstrebenden, rivalisierenden Strömungen und ihren vielfältigen, lähmenden Binnenkonflikten, schlechterdings kein Vorbild sein. Darüber war er sich vollends im Klaren.

Dass er freilich keineswegs der Erste war, der diese Mängel erkannte und der das heterogene völkische Lager zu einigen hoffte, verschweigt Hitler in Mein Kampf, um sich auch in dieser Hinsicht den Anschein des Einzigartigen zu geben. In Wirklichkeit war es seit Ende des Ersten Weltkriegs die große Vision der völkischen Bewegung, die eigenen »divergierenden […] Kräfte in Kartellen zu bündeln«269 – eine Politik, die in Gestalt des 1919 gegründeten DVSTB im Hinblick auf »Mitgliederstärke und regionale Verbreitung«270 auch durchaus eindrucksvolle Ergebnisse vorweisen konnte. Doch blieben diese nur kurzlebig: In der Zeit, als Hitler an Mein Kampf arbeitete, gehörten die ersten größeren Sammlungs- und Publikumserfolge der Völkischen bereits der Vergangenheit an – der DVSTB war infolge des Republikschutzgesetzes vom 21. Juli 1922 verboten worden. 271 Mitte der 1920er Jahre geriet die völkische Bewegung – in deutlichem Kontrast zu der sich stabilisierenden politischen Ordnung der Republik – schließlich in eine »existenzielle Krise«272, die sich unter anderem in einem stark sinkenden Absatz völkischer Periodika manifestierte, aber auch darin, dass es keiner Gruppierung auch nur annähernd gelang, an die Erfolge des DVSTB anzuknüpfen. Diese Krise versuchte Hitler für sich und seine Partei zu nutzen, wobei er durch seine Haltung, sich »trotz weltanschaulicher Nähe und zeitweiliger Kooperation […] nicht, zumindest nicht in toto, in die völkische Bewegung eingliedern [zu] lassen«273, selbst mit zur Verschärfung jener Krise beitrug.

Nicht nur in organisatorischer Hinsicht, sondern auch mit Blick auf die ideologischen Ziele demonstrierte Hitler in Mein Kampf den inner- und außerparteilichen Konkurrenten seinen Absolutheitsanspruch. Bereits im Juli 1921 hatte er Änderungen des »25-Punkte-Programms« vom 24.  Fe­bruar 1920 untersagt. 274 Fünf Jahre später, im Frühjahr 1926, wurde der Entwurf für ein neues Parteiprogramm, den die Arbeitsgemeinschaft der Nord- und Westdeutschen Gaue der NSDAP ausgearbeitet hatte, ebenfalls verworfen. 275 Ausdruck findet diese Entwicklung im Kapitel Weltanschauung und Organisation (II/5), in dem Hitler das Parteiprogramm von 1920 für »unerschütterlich« erklärt; wer »den Sieg einer völkischen Weltanschauung wirklich« wünsche, müsse »erkennen, daß zur Erringung eines solchen Erfolges […] nur eine kampfkräftige Bewegung geeignet« sei und dass »eine solche Bewegung selbst nur standhalten wird unter Zugrundelegung einer unerschütterlichen Sicherheit und Festigkeit ihres Programms«; »dauernde Veränderungen am äußeren Bau« der nationalsozialistischen »Lehre« würden hingegen nur »Unsicherheit und Zweifel«276 säen. Eine Generalmitgliederversammlung der NSDAP, die am 22. Mai 1926 in München stattfand, vollzog schließlich Hitlers Forderung und erklärte das Parteiprogramm für »unabänderlich«. Zugleich wurde Hitler einstimmig als Parteivorsitzender bestätigt. 277 Die gerade für völkische Organisationen charakteris­tischen kontroversen, zeitraubenden und letztendlich immer wieder unfruchtbaren Programmdiskussionen konnten auf diese Weise weitgehend umgangen werden.

Wie stark Hitlers Stellung in der NSDAP damals schon wieder geworden war, verdeutlicht die Tatsache, dass er seine Partei selbst bei umstrittenen oder unpopulären Positionen relativ rasch auf Linie bringen konnte – etwa bei der kategorischen Ablehnung eines Bündnisses mit der Sowjetunion278 zugunsten einer kriegerischen Eroberung von »Lebensraum im Osten«, beim Verzicht auf Südtirol als Preis für eine Allianz mit Italien279, beim Verzicht auf eine eigene nationalsozialistische Gewerkschaft280 oder bei der Ablehnung einer entschädigungslosen Enteignung der deutschen Fürstenhäuser. 281 Immer stärker begann Hitler die Integrität der »Bewegung« in seiner Person zu verkörpern. Bereits auf ihrem Parteitag in Weimar am 3. /4. Juli 1926 demonstrierte die NSDAP ihre wiedergewonnene Einheit auch nach außen. Kontrahenten, die nicht für die eigene Seite gewonnen werden konnten, wurden aus der NSDAP ausgeschlossen. Zwar hatte die Partei Mitte der 1920er Jahre allergrößtes Interesse an neuen Mitgliedern, zugleich fällt jedoch auf, wie planvoll und auch rücksichtslos Hitler die NSDAP gerade in den Monaten nach ihrer Neugründung von jenen Parteigenossen »säuberte«, die sich nicht seinem alleinigen Führungsanspruch unterwarfen, die gegen die Parteidisziplin verstießen oder die angeblich »Weg und Ziele der N.S.D.A.P. und damit deren Programm abgelehnt« hätten, wie es in einer Bekanntmachung Hitlers vom 9. August 1926 hieß. 282

Es war nicht zuletzt diese innere Konsolidierung, durch die es der NSDAP immer besser gelang, Konkurrenten innerhalb des völkischen Lagers zu absorbieren und allmählich zu einer großen rechtsradikalen Sammlungsbewegung zu werden. Eine wichtige Zäsur bildete hier der Übertritt von Ernst Graf zu Reventlow und einiger anderer völkischer Aktivisten aus Norddeutschland zur NSDAP am 10. Februar 1927. Mit ihm begann der Niedergang der DVFP, der wiederum den Nationalsozialisten die Möglichkeit eröffnete, verstärkt in den Norden auszugreifen und den Großteil des dortigen völkischen Wählerpotenzials auf sich zu vereinigen. Aber auch eine Neuausrichtung und Anpassung ihrer Propaganda trug dazu bei, die NSDAP zu einer aussichtsreichen Sammlungsbewegung umzuformen: Wandte sich ihre Propaganda zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Mein Kampf noch hauptsächlich an die großstädtische Arbeiterschaft, so wurde sie seit Herbst 1927 zunehmend auch auf die Landbevölkerung, auf das Bürgertum sowie auf die Wehrverbände ausgerichtet. 283 In der Folgezeit begann Hitler mehr und mehr den Anspruch zu vertreten, an der Spitze einer »Volkspartei« zu stehen, die »alle Schichten der Nation« und jeden »blutmäßig[en]« Deutschen umfassen wolle, der willens sei, »seinem Volk zu dienen«. 284 1927/28 musste ein solcher Anspruch freilich noch utopisch wirken, doch zwischen 1930 und 1933 sollte es der NSDAP tatsächlich gelingen, sich zu einer »Volkspartei des Protestes«285 zu entwickeln.