Entstehung der Freikorps <span class="pagenumber">[169]</span>

45 Hitlers Behauptung, in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg habe es keine linken oder republikanischen Wehrverbände gegeben, ignoriert deren heterogene Struktur. Zwar dominierten rechte und auch rechtsextreme Organisationen, doch existierten mit den Einwohnerwehren auch bürgerliche, mit den Volks- oder Soldatenwehren sogar eher linke Wehrverbände. Dass sich bei Letzteren niemand gefunden habe, der bereit gewesen wäre, sich auch militärisch für die Republik einzusetzen, wird durch viele Quellen widerlegt. Generalleutnant Wilhelm Groener, damals Erster Generalquartiermeister, meinte am 25. 3. 1919 gar, »die Sicherheits- und Soldatenwehren« seien geradezu ein »Herd des Spartakismus«. Das Bezirksamt Donaueschingen schrieb am 17. 4. 1919 an das badische XIV. Armeekorps, »daß bei den für den Grenzschutz angeworbenen Truppen sich zahlreiche Elemente befinden, die nach ihrem soldatischen Auftreten zu schließen, wenig Eignung zeigen, für den Kampf gegen den Bolschewismus […]. Aus ihrer Hinneigung zum Bolschewismus machen sie keinen Hehl.« Ein Offizier des Freiwilligen Landesjägerkorps Maercker, einem der größten Freikorps, das damals Ebert und Noske unterstützte, gab an, dass ihr personeller Ersatz »fast nur aus Arbeitern kam« und aus den »Arbeitslosen, wenig aus ländlichen Kreisen, während das Bürgertum, betäubt von den Ereignissen, beiseite stand«.

Vgl. GLAK, 456 F 6, Nr. 300 (Zitat); Crasemann, Freikorps, Zitat S. 18; Gordon, Hitlerputsch, Zitat S. 107; Bergien, Republik, S. 91 – 107; Keller, Wehrmacht, bes.S. 117 – 137.

46 Die unsichere Lage des Deutschen Reichs am Ende des Ersten Weltkriegs, die vielfältigen Bedrohungen von innen und von außen, hatten zur Folge, dass sich noch 1918, während der beginnenden Demobilmachung neue militärische oder militärähnliche Verbände und Einheiten formierten, die sich personell und materiell zunächst vor allem aus dem ergänzten, was von der »Alten Armee« übrig geblieben war. Neben der »Vorläufigen Reichswehr«, deren Umfang von 420.000 Mann über 220.000 (1. 10. 1919) auf schließlich 115.000 Mann (1. 1. 1921) sank, entstanden in den Jahren 1918 – 1920 zwischen 120 und 200 neue Formationen. Sie unterschieden sich in ihrer Stärke, die meist zwischen 2.000 und 10.000 Mann variierte, aber mehr noch in ihrem Charakter. So gab es:
(1) Freiwilligenverbände, die sich auf der Basis schon bestehender Einheiten aus Veteranen oder jungen Freiwilligen formierten;
(2) Freikorps, die keine organisatorischen Vorläufer besaßen, sich aber ebenfalls aus gedientem und ungedientem Personal rekrutierten;
(3) Grenzschutztruppen, die bereits vor Heimkehr der Fronttruppen aus den Ersatztruppen in der Heimat aufgestellt wurden;
(4) Freiwilligenformationen für den Grenzschutz West bzw. Ost, die sich aus Angehörigen abziehender Truppen sowie aus Freiwilligen aus der Heimat zusammensetzten;
(5) Volks- und Soldatenwehren, die sich auf der Basis des Gesetzes vom 12. 12. 1918 in den größeren Städten bildeten und meist aus Sozialdemokraten bestanden;
(6) Sicherheits-Kompanien und -Bataillone, die vor allem in Bayern und Württemberg in den einzelnen Garnisonen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung zusammentraten;
(7) Einwohnerwehren, die sich in Preußen und insbesondere in Bayern bildeten und die in gewisser Weise das bürgerliche Pendant zu den sozialdemokratisch geprägten Volkswehren darstellten. Bei den Angehörigen der Kategorien 5 – 7 handelte es sich gewöhnlich um Zivilisten, die einen Beruf ausübten und daher nur für kurze Zeit einberufen und eingesetzt wurden. In Preußen wurden die Einwohnerwehren durch eine Verordnung des Rats der Volksbeauftragten vom 13. 1. 1919 zur Republikanischen Schutztruppe zusammengefasst, in Baden bildete sich das Badische Volksheer. Die Unterschiede zwischen all diesen Verbänden, die mitunter nur kurze Zeit existierten und in denen sich – bei einem geschätzten zeitweiligen Höchststand von 250.000 Mann – insgesamt etwa 400.000 Mann sammelten, waren groß; das betraf nicht nur ihre Rekrutierungsbasis, ihre Mentalität, ihre weltanschauliche Prägung oder ihre Größe, Professionalität und Ausrüstung, sondern auch ihre Einsätze sowie die viel diskutierte Frage nach ihren kriminellen Handlungen.

Vgl. Matuschka, Organisation, S. 305 – 307; Könneman, Einwohnerwehren, S. 90 – 252; Nußer, Wehrverbände; Tessin, Verbände, S. 47 – 99; Koch, Bürgerkrieg, S. 40 – 66; Thoms/ Pochanke, Handbuch; Sprenger, Landsknechte, S. 39 – 54; Bergien, Republik, S. 91 – 107; Keller, Wehrmacht, S. 81 – 124.

47 Hitlers grobschlächtiges Urteil ignoriert den heterogenen Charakter der paramilitärischen Verbände. Es gab auch republikanische Wehrverbände oder solche, die zwar diese Werte nicht teilten, sich aber – mehr oder weniger – in den Dienst der Republik stellten. Ausdruck einer solchen Haltung ist etwa ein Rundschreiben des Generalmajors Arnold Ritter von Möhl an die bayerischen Kommandeure vom 9. 5. 1919, in dem dieser von den Freiwilligenformationen forderte, »diejenige Regierung zu stützen und ihr zu folgen, die das Volk durch seine gesetzesmäßige Vertretung an die Spitze des Staates wählt. [...] Die Regierung hat uns gerufen und braucht uns, um ihren Willen im Lande durchzusetzen […].« Selbst ein Freikorpsführer wie Oberst Franz Ritter von Epp forderte, »der Reichsregierung mit allen Kräften und nach bestem Wissen als freiwilliger Kriegsmann zu dienen«. Allerdings war es im Selbstverständnis vieler Freikorps oft weniger die Republik, in deren Dienst sie sich stellten, als vielmehr die Nation. Die Position dieser Gruppe lässt sich mit Begriffen wie nationalkonservativ, soldatisch oder rechtsradikal beschreiben; erinnert sei etwa an Verbände wie die Marine-Brigade Ehrhardt, das Freikorps Lützow oder das Freikorps Oberland. Daneben gab es auch Freikorps-Angehörige, für die wirtschaftliche Motive den Ausschlag gaben oder für die Kampf und Krieg in ihrer anarchischen Irrationalität Grund genug für den Einsatz waren. So betonte etwa das Generalkommando des badischen XIV. Armeekorps am 2. 6. 1919, es bestehe kein Zweifel, »dass der überwiegende Teil der Offiziere und Mannschaften den Dienst in den Freiwilligenverbänden lediglich als eine reine Versorgungsfrage betrachten [sic!]. Aus idealen Beweggründen geht wohl nur ein verschwindend kleiner Teil mit, während die grosse Mehrheit auch jeder anderen Regierung dienen würde, sofern sie die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Leute befriedigt.«

Vgl. Hürten (Bearb.), Revolution, Dok. 30, Zitat S. 110 f.; Koch, Bürgerkrieg; Sprenger, Landsknechte, S. 104 – 126, 198 – 207, Zitat S. 206; Keller, Wehrmacht, bes.S. 117 – 124, Zitat S. 122.

49 Zum Vorwurf, alle Revolutionen seien das Werk von Juden,

vgl. Kap. I/2, Anm. 219; Kap. II/7, Anm. 74.

Wie anschlussfähig in der deutschen Gesellschaft die Verbindung antibolschewistischer und antisemitischer Ideologeme war, belegt eine Tagebuchaufzeichnung von Thomas Mann über ein Gespräch, das er am 2. 5. 1919, noch während der Kämpfe zwischen den Truppen der Münchner Räterepublik und ihren »weißen« Gegnern, mit seiner Frau Katia führte: »Wir sprachen auch von dem Typus des russischen Juden, des Führers der Weltbewegung, dieser sprengstoffhaften Mischung aus jüdischem Intellektual-Radikalismus und slawischer Christus-Schwärmerei. Eine Welt, die noch Selbsterhaltungsinstinkt besitzt, muß mit aller aufbietbaren Energie und standrechtlichen Kürze gegen diesen Menschenschlag vorgehen.« Bereits am 7. 11. 1918 hatte Mann notiert: »Das ist die Revolution! Es handelt sich ausschließlich um Juden.«

Vgl. Mann, Tagebücher 1918 – 1921, Zitate S. 63, 223; Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 196.

53 Die Gesellschaft des Russischen Reichs des 19. und frühen 20. Jahrhunderts war in ihren Strukturen von extremen Kontrasten geprägt. 1897 gehörten 1,5 % der Bevölkerung zum Adel, 0,5 % zum Klerus, 11,1 % waren Städter und 77,1 % Bauern. Hinzu kamen ethnische, religiöse und regionale Unterschiede – noch 1913 lebten nur 18 % der Bevölkerung in einer Stadt. Die Heterogenität der russischen Gesellschaft zwischen Stadt und Land manifestierte sich nicht zuletzt in einer sehr unterschiedlich ausgeprägten Lese- und Schreibfähigkeit. Ihren Niederschlag fanden diese gesellschaftlichen und mentalen Distanzen auch im Begriff der »Intelligenzija«, den der Literat Pjotr Dmitrijewitsch Boborykin in den 1860er Jahren prägte. Dahinter stand die Vorstellung einer sehr schmalen Bildungselite, die sich gewissermaßen als »Vordenker«, als geistiges wie auch moralisches Zentrum der Gesellschaft verstand. Hitlers rassistische Erklärung dieser Dichotomie wird bereits durch den weiteren Verlauf der russischsowjetischen Geschichte widerlegt; durch den politisch-gesellschaftlichen Wandel begann sich der Bildungsstand in der Sowjetunion zunehmend den europäischen Verhältnissen anzupassen. Hatte die Alphabetisierungsquote in Russland 1917 rund 40 % betragen, stieg sie bereits bis 1926 auf 80,9 % (Stadt) und 50,6 % (Land).

Vgl. Pipes (Hrsg.), Intelligentsia; Guroff/ Starr, Abbau; Hildermeier, Geschichte (1998), S. 303 – 309, 544 f.; Kassow, Students, S. 13 – 47; Figes, Tanz, S. 105, 244 – 252, 490 – 506, 523 – 527; Kappeler, Rußland, S. 255 – 266; Hildermeier, Geschichte (2013), S. 1257 – 1260, 1267 f.; Kap. II/4, Anm. 29. Zum Topos der Kulturlosigkeit östlicher Völker vgl. Kap. I/10. Anm. 159; Kap. II/2, Anm. 17.

allein Maßgebliche der Revolution: gegen das Recht auf Diebstahl und zuchtlose Herrschaft einer aus den Mauern der Zuchthäuser ausgebrochenen und von ihren Ketten befreiten Horde von Dieben und Plünderern, kurz schlechtem Gesindel.

Die Volksbeauftragten mochten rufen soviel sie wollten, es kam niemand aus ihren Reihen, und nur der Ruf#1929: Ruf ersetzt durch: Gegenruf;
1930: Gegen-Ruf;
1937: Gegenruf;
1939: Gegen-Ruf;
1944: Gegenruf »Verräter« gab ihnen die Auf‌fassung jener Träger ihrer Popularität kund.45

Damals fanden sich zum ersten Male zahlreiche junge Deutsche bereit, im Dienste der »Ruhe und Ordnung«, wie sie meinten, noch einmal den Soldatenrock zuzuknöpfen, Karabiner und Gewehr über die Schulter zu nehmen, um mit angezogenem Stahlhelm den Destrukteuren der Heimat entgegenzutreten.46 Als freiwillige Soldaten schlossen sie sich in freie Korps zusammen und begannen, während sie die Revolution grimmig haßten, dieselbe Revolution zu beschützen und dadurch praktisch zu festigen.47

Im besten Glauben handelten sie so.48

Der wirkliche Organisator der Revolution und ihr tatsächlicher Drahtzieher, der internationale Jude49, hatte damals die Situation richtig abgeschätzt. Das deutsche Volk war noch nicht reif, um in den bolschewistischen Blutsumpf50 hineingezerrt werden zu können, wie dies in Rußland gelang.51 Es lag dies zum großen Teil an der rassisch immer noch größeren Einheit zwischen deutscher Intelligenz und deutschem Handarbeiter. Weiter in der großen Durchdringung selbst breitester Volksschichten mit Bildungselementen, wie dies ähnlich nur in den anderen westeuropäischen Staaten der Fall ist, in Rußland jedoch vollkommen fehlte.52 Dort war schon die Intelligenz selbst größtenteils nichtrussischer Nationalität oder wenigstens nichtslawischen Rassecharakters. Die dünne intellektuelle Oberschicht des damaligen Rußland#1929: Rußland ersetzt durch: Rußlands konnte jederzeit abgehoben werden infolge des vollkommenen Fehlens verbindender Zwischenbestandteile zur Masse des großen Volkes. Das geistige und auch das moralische Niveau dieser letzteren aber war dort entsetzlich tief.53

Sowie es in Rußland gelang, den ungebildeten, nicht lesen- und nicht schreibenkönnenden#1937: nicht lesen- und nicht schreibenkönnenden ersetzt durch: nicht lesen und nicht schreiben könnenden;
1939: nicht lesen- und nicht schreibenkönnenden Haufen#1933: eingefügt: in der breiten Masse gegen die mit ihm