Band II, Kapitel 6
letzte ihn begreifen muß; fühlt er – zweitens –, daß sie ihm nicht zu folgen vermögen, so wird er so vorsichtig und langsam seine Gedanken aufbauen, bis selbst der Schwächste unter allen nicht mehr zurückbleibt, und er wird – drittens –, sowie er ahnt, daß sie von der Richtigkeit des Vorgebrachten nicht überzeugt zu sein scheinen, dieses so oft und in immer wieder neuen Beispielen wiederholen58, ihre Einwände, die er unausgesprochen spürt, selbst vorbringen und so lange widerlegen und zersplittern, bis endlich selbst#1944: gestrichen: selbst die letzte Gruppe einer Opposition schon durch ihre Haltung und ihr Mienenspiel ihn die Kapitulation vor seiner Beweisführung erkennen läßt.
Dabei handelt es sich nicht selten bei den Menschen um die Überwindung von Voreingenommenheiten, die nicht in ihrem Verstand begründet, sondern meist unbewußt, nur durch das Gefühl gestützt sind.59 Diese Schranke instinktiver Abneigung, gefühlsmäßigen Hasses, voreingenommener Ablehnung zu überwinden, ist tausendmal schwieriger als die Richtigstellung einer fehlerhaften oder irrigen wissenschaftlichen Meinung. Falsche Begriffe und schlechtes Wissen können durch Belehrung beseitigt werden, Widerstände des Gefühls niemals. Einzig ein Appell an diese geheimnisvollen Kräfte selbst kann hier wirken; und das kann kaum je der Schriftsteller, sondern fast einzig nur der Redner.
Den schlagendsten Beweis dafür liefert die Tatsache, daß trotz einer oft sehr geschickt aufgemachten bürgerlichen Presse, die in unerhörten Millionenauflagen unser Volk überschwemmt60, diese Presse die breite Masse nicht hindern konnte, der schärfste Feind gerade dieser bürgerlichen Welt zu werden.61 Die ganze Zeitungsflut und alle Bücher, die vom Intellektualismus Jahr für Jahr produziert werden, gleiten an den Millionen der unteren Schichten ab wie Wasser vom geölten Leder.62 Dies kann nur zweierlei beweisen: entweder die Unrichtigkeit des Inhalts dieser gesamten Schreiberleistung unserer bürgerlichen Welt oder die Unmöglichkeit, nur durch Schrifttum an das Herz der breiten Masse zu gelangen. Allerdings besonders dann, wenn dieses Schrifttum selbst so wenig psychologisch eingestellt ist, wie dies hier der Fall ist.
Man erwidere nur nicht (wie dies eine große deutschnationale Zei-