Die Psychologie der Propaganda <span class="pagenumber">[190]</span>

27 Hitlers Urteil über die Wirkung der Propaganda unterstellt eine konkrete Messbarkeit, die so nicht gegeben ist. Zwar gingen zeitgenössische Fachleute grundsätzlich davon aus, dass jede Werbung auch Wirkung entfalte, legten sich aber über deren Art und Ausmaß nicht fest. Christoph von Hartungen zitierte 1921 einen Fachmann mit den Worten: »Riesige Summen werden jährlich verausgabt, ohne daß eine lückenlose zahlenmäßige Kontrolle der Aufwendungen möglich wäre. Besäßen wir eine zuverlässige Reklamekontrolle, so hätte der reklametreibende Kaufmann daran einen Maßstab, mit dem er feststellen könnte, ob die für Reklame ausgegebenen Summen im richtigen Verhältnis zum dadurch erzielten Gewinne stehen.« In ähnlichem Sinne äußerte sich 1923 auch Gerhard Schultze Pfaelzer, als er betonte, dass die »Erforschung der Funktionsgesetze des Werbeerfolges« erst »noch in ihren Anfängen« stecke.

Vgl. Hartungen, Psychologie, Zitat S. 76; Schultze Pfaelzer, Propaganda, Zitat S. 162; Kirchner, Flugblattpropaganda (1985), S. 487 – 526; Kirchner, Flugblattpropaganda (1992), S. 381 – 446; Sanders/ Taylor, Propaganda, S. 203 f., 207 f.

28 Der Gedanke, Propaganda wirke erst durch stetige Wiederholung einfacher Behauptungen, verweist einmal mehr auf Gustave Le Bons Psychologie der Massen: »Die Behauptung«, so Le Bon, könne »nur dann wirklichen Einfluß« gewinnen, »wenn sie ständig wiederholt« werde »und zwar möglichst mit denselben Worten«. Indem sie das »Wiederholte […] in den tiefen Regionen des Unbewußten« einlagere, befestige es sich »so sehr in den Köpfen, daß es schließlich als eine bewiesene Wahrheit angenommen« werde. Vielen galt dieser psychologische Mechanismus auch als grundlegende Voraussetzung erfolgreicher Reklame. So konstatierte Viktor Mataja unter Berufung auf ein zeitgenössisches Fachblatt: »Wenn man einem Menschen eine Sache oft genug sagt, so wird er schließlich glauben, dass es auch wahr ist, selbst wenn man ihm keinen genügenden Grund dafür angibt.« Aus dem Wissen um die »Flüchtigkeit der einzelnen Werbehandlung« schloss Mataja zudem auf »die große Überlegenheit der ständig und dauernd betriebenen Reklame gegenüber der nur gelegentlichen und zeitlichen. Wenn über irgendeinen Punkt Übereinstimmung vieler Reklamesachverständiger herrscht, so scheint es dieser zu sein.«

Vgl. Le Bon, Psychologie, Zitat S. 87 f.; Roßbach, Massenseele, S. 4, 16; Mataja, Reklame, Zitate S. 28, 339; Hartungen, Psychologie, S. 107; Tyrell, Trommler, S. 54 – 56.

29 Die bekanntesten deutschen Satirezeitschriften waren damals der Berliner Kladderadatsch, die Hamburger Lustigen Blätter und der Münchner Simplicissimus. Ihrer Konzeption entsprechend folgten sie in der Tat häufig einer spöttischironischen, tendenziell verharmlosenden Darstellung der Kriegsgegner. So stellte etwa der Kladderadatsch am 10. 1. 1915 durch eine Karikatur, die französische Frontsoldaten unter der Überschrift »Frankreichs letztes Aufgebot« als Säuglinge dar – anspielend auf die schwindenden Personalreserven des Kriegsgegners. Auch die übrige deutsche Presse (re-)produzierte oft entsprechende Bilder: »In den Feuilletons der Zeitungen«, so Ernst Toller in seinen Erinnerungen – mit Blick auf die Jahre 1914 – 1918, »sind die Franzosen eine degenerierte Rasse, die Engländer feige Krämerseelen, die Russen Schweine; die Sucht, den Gegner herabzusetzen, zu beschimpfen und zu besudeln, ist so widerwärtig, daß ich in einem Aufsatz, den ich dem ›Kunstwart‹ schicke, mich gegen diese Haltung, die uns herabsetzt, wehre, der Redakteur schickt das Manuskript mit vielen gewundenen Phrasen zurück, man müsse auf die Volksstimmung Rücksicht nehmen. Dabei ist diese Volksstimmung in der Heimat gezüchtet, die Frontsoldaten ›spucken darauf‹.« Unzutreffend ist allerdings Hitlers Behauptung, die Gegenseite habe ganz auf diese Art von Propaganda verzichtet.

Vgl. Toller, Jugend, Zitat S. 50; Weise, Krieg, S. 10 – 27, 121 – 149; Kirchner, Flugblattpropaganda (1992), S. 468 – 533; Douglas, War, S. 27, 38; Stolarow, Karikatur, S. 211 – 213; Kessel, War, S. 86, 88, 94. 

Gerade darin liegt die Kunst der Propaganda, daß sie, die gefühlsmäßige Vorstellungswelt der großen Menge# 1930: Menge ersetzt durch: Masse begreifend, in psychologisch richtiger Form den Weg zur Aufmerksamkeit und weiter zum Herzen der breiten Masse findet. Daß dies von unseren Neunmalklugen nie# 1930: nie ersetzt durch: nicht begriffen wird, beweist nur deren Denkfaulheit oder Einbildung.27

Versteht man aber die Notwendigkeit der Einstellung der Werbekunst der Propaganda auf die breite Masse, so ergibt sich weiter schon daraus folgende Lehre:

Es ist falsch, der Propaganda die Vielseitigkeit etwa des wissenschaftlichen Unterrichts# 1939: Unterrichts ersetzt durch: Unterrichtes;
1944: Unterrichts geben zu wollen.

Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist eine nur sehr beschränkte# 1926: ist eine nur sehr beschränkte ersetzt durch: ist nur eine sehr beschränkte;
1930: ist nur sehr beschränkt , das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergeßlichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig solange# 1937: solange ersetzt durch: so lange zu verwerten, bis auch# 1930: eingefügt: bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich bestimmt# 1930: gestrichen: bestimmt vorzustellen vermag. Sowie man diesen Grundsatz opfert und vielseitig werden will, wird man die Wirkung zum Zerflattern bringen, da die Menge den gebotenen Stoff weder zu verdauen noch zu behalten vermag. Damit aber wird das Ergebnis wieder abgeschwächt und endlich aufgehoben.28

Je größer so die Linie ihrer Darstellung zu sein hat, um so psychologisch richtiger aber# 1926: gestrichen: aber muß die Festlegung# 1926: Festlegung ersetzt durch: Feststellung ihrer Taktik sein.

Es war zum Beispiel grundfalsch, den Gegner lächerlich zu machen, wie dies die österreichische und deutsche Witzblattpropaganda vor allem besorgte. Grundfalsch deshalb, weil das Zusammentreffen in der Wirklichkeit dem Manne vom Gegner sofort eine ganz andere Überzeugung beibringen mußte; etwas, was sich dann auf das fürchterlichste rächte; denn nun fühlte sich der deutsche Soldat unter dem unmittelbaren Eindruck des Widerstandes des Gegners von den Machern seiner bisherigen Aufklärung als# 1930: gestrichen: als getäuscht, und an Stelle einer Stärkung seiner Kampfeslust oder auch nur Festigkeit trat das Gegenteil ein. Der Mann verzagte.29