Die Erziehung der Jugend <span class="pagenumber">[268]</span>

133 Diese Behauptung war bereits vor der Gründung des deutschen Kaiserreichs verbreitet. 1860 begründete etwa der Pädagoge Otto Schraube in einem Aufsatz über Die Sorge für die Gesundheit in den Schulen die Notwendigkeit des Turnunterrichts unter anderem damit, dass dieser »vor gefahrvoller Einseitigkeit und der bei ausschliesslicher Kultur des Geistes leicht eintretenden Nervenüberreizung« schütze, welche »oft den Geschlechtstrieb vor der Zeit« wecke. Die Vorstellung, körperliche Betätigung hemme den jugendlichen Sexualtrieb, grassierte auch noch in den frühen 1920er Jahren und war kein Spezifikum konservativer Autoren. Eine ähnliche Deutung findet sich bei dem Sexualforscher Magnus Hirschfeld, der nach 1918 Opfer einer antisemitischen Hetzkampagne wurde und dessen Berliner Institut für Sexualwissenschaft die Nationalsozialisten 1933 zerstörten. Zum Thema Onanie führte Hirschfeld aus, dass »Körperübungen, in erster Linie Wandern, dann Turnen, […] gute athletische und sportliche Betätigung« und überhaupt »körperliche Strapazen« geeignet seien, »den Geschlechtstrieb zu dämpfen«. Hirschfeld gab jedoch zu bedenken, dass »körperliche Leistungen« zur »Abfuhr sexueller Spannkräfte […] nur eine relative, keine absolute Heilkraft« besäßen.

Vgl. Schraube, Sorge, Zitat S. 270; Hirschfeld, Sexualpathologie, Bd. 1, Zitat S. 167 (Herv. i. Orig.); Herrn, Traum; Nieden, Antisemitismus; Wiesner, Sturm; Herrn, Institut.

136 Der Vorwurf, das moderne Theater führe zu einer »Vergiftung der Seelen«, findet sich schon wortwörtlich in dem Pamphlet Wenn ich der Kaiser wärʼ (1912) von Heinrich Claß. Wie Hitler beschuldigte auch Claß »die« Juden, den Niedergang des Theaters herbeigeführt zu haben und forderte eine autoritärere Kunst- und Kulturpolitik. Um die Theater vom »Einfluß des Judentums« abzuschirmen, müssten sie dem »freien Spiel der Kräfte« entzogen und unter staatliche Kontrolle gestellt werden. In der frühen Weimarer Republik war es dann zuvorderst der radikal antisemitische DVSTB, der gegen das moderne Theater agitierte. Gerade sexuell aufgeladene Stücke, allen voran Arthur Schnitzlers Reigen, wurden bezichtigt, durch »abgrundtiefe Lasterhaftigkeiten […] deutsches Seelengut planmäßig [zu] verwüste[n]«. Hintergrund der nach 1918 deutlich verschärften völkischen Agitation gegen das Theater war auch die Aufhebung der im Kaiserreich praktizierten Vorzensur. Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. 8. 1919 garantierte allen Staatsbürgern das Recht auf freie Meinungsäußerung in »Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise«, wodurch zugleich die staatliche Bevormundung der Kunst beendet wurde. Von dieser Regel blieb jedoch das Kino ausgenommen, da Filme weniger als Ausdruck von Kunst denn als Form der Unterhaltung betrachtet wurden.

Vgl. Frymann, Kaiser, Zitat S. 116; RGBl. 1922/I, Zitat S. 586; Lohalm, Radikalismus, S. 155 – 160, Zitat S. 156; Anm. 165 in diesem Kapitel.

137 Dem von Hitler geforderten Jugendschutz wurde etwa im Lichtspielgesetz vom 12. 5. 1920 Rechnung getragen, das die rechtlichen Grundlagen staatlicher Filmzensur und eine amtliche Genehmigungspflicht aller öffentlichen Filmvorführungen fixierte. Insgesamt wurden von den Prüfstellen in München und Berlin zwar nur wenige Filme verboten (1920 waren es etwa 20 der 1.174 geprüften Filme), regelmäßig wurde Jugendlichen unter 18 Jahren jedoch der Zutritt zu Kinosälen verwehrt. Kindern unter sechs Jahren war der Kinobesuch seit 1920 grundsätzlich verboten, 1929 wurde das Mindestalter auf zehn Jahre erhöht. Im Dritten Reich wurden diese Maßregeln teilweise beibehalten, teilweise noch deutlich verschärft: Das Lichtspielgesetz vom 16. 2. 1934 bestimmte die Einsetzung eines »Reichsfilmdramaturgen«, der im Auftrag des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda Drehbücher vor Produktionsbeginn zu prüfen hatte. Ziel war es hier freilich, die deutsche Filmproduktion für die Interessen und ideologischen Ziele des NS-Regimes zu instrumentalisieren: Erlaubt und gefördert wurden nur »staatspolitisch wertvolle« und »volksbildende« Filme, welche die »lebenswichtigen Interessen des Staates« nicht »gefährden« und das »nationalsozialistische, religiöse, sittliche oder künstlerische Empfinden« nicht verletzen durften.

Vgl. RGBl. 1920, S. 953 – 958; RGBl. 1934/I, S. 95 – 99; Petersen, Zensur, S. 50 – 55; Püschel, Film; Püschel, Filme; Kaiser, Rundfunk; Büttner, Weimar, S. 261, 302. 

138 Plakatreklame auf Anschlagsäulen war schon im Kaiserreich ein zentrales Werbemedium. Vorreiter war hier Berlin, wo 1855 die erste Litfaßsäule aufgestellt wurde. Bis 1913 wuchs deren Zahl allein in der Reichshauptstadt auf über 1.400, sodass Anschlagsäulen bereits vor dem Ersten Weltkrieg das »wilde« Plakatieren weitgehend verdrängten. Kritiker dieser Entwicklung warnten vor der »Gefahr der Überspannung und Überreizung« der Bürger, so 1902 der Nationalökonom Heinrich Waentig. Auch das geringe inhaltliche und künstlerische Niveau vieler Plakate stieß auf Kritik. 1908 beklagte Werner Sombart, dass das »kunterbunte Durcheinander von Farbenklexen« in der Reklame »jeden ästhetischen Genuß« von vornherein ausschließe. Insgesamt sei die Reklame eine »Erscheinung der modernen ›Kultur‹, an der aber auch beim besten Willen nichts als Widerwärtiges gefunden werden« könne. In der Tradition dieser harschen Ablehnung bewegt sich hier auch Hitler. Möglicherweise hatte er dabei die expressionistischen Werbeplakate vor Augen, die während der Revolution 1918/19 für kurze Zeit Verbreitung fanden und mit Übertreibungen, Verzerrungen und starken Kontrasten arbeiteten. Dieser Stil setzte sich während der Weimarer Republik jedoch letztlich nicht durch.

Vgl. Sombart, Reklame, Zitate S. 284 f.; Rademacher, Blick; Lamberty, Reklame, bes.S. 39 – 43, 59 – 64, 230 – 233, Zitat S. 62; Faulstich, Medienwandel, S. 145 – 166; Ilgen/ Schindelbeck, Anfang, S. 14 – 34, 77 – 110; Knop, Werbewesen, S. 176 – 180; Kap. I/6, Anm. 22.

setzen. In körperlichen Gebrechen liegt nicht selten der erste Grund zur persönlichen Feigheit.

Die übermäßige Betonung des rein geistigen Unterrichtes und die Vernachlässigung der körperlichen Ausbildung fördern aber auch in viel zu früher Jugend die Entstehung sexueller Vorstellungen. Der Junge, der in Sport und Turnen zu einer eisernen Abhärtung gebracht wird, unterliegt dem Bedürfnis sinnlicher Befriedigungen weniger als der ausschließlich mit geistiger Kost gefütterte Stubenhocker.133 Eine vernünftige Erziehung aber hat# 1937: aber hat ersetzt durch: hat aber;
1939: aber hat dies zu berücksichtigen. Sie darf ferner nicht aus dem Auge verlieren, daß die Erwartungen des gesunden jungen Mannes von der Frau andere sein werden als die eines vorzeitig verdorbenen Schwächlings.

So muß die ganze Erziehung darauf eingestellt werden, die freie Zeit des Jungen zu einer nützlichen Ertüchtigung seines Körpers zu verwenden. Er hat kein Recht, in diesen Jahren müßig herumzulungern, Straßen und Kinos unsicher zu machen, sondern soll nach seinem sonstigen Tageswerk# 1937: Tagewerk ersetzt durch: Tageswerk den jungen Leib stählen und hart machen, auf daß ihn dereinst auch das Leben nicht zu weich finden möge.134 Dies anzubahnen und auch durchzuführen, zu lenken und zu leiten ist die Aufgabe der Erziehung der Jugend, und# 1930: Erziehung der Jugend, und ersetzt durch: Jugenderziehung und nicht das ausschließliche Einpumpen sogenannter Weisheit. Sie hat auch mit der Vorstellung aufzuräumen, als ob die Behandlung seines Körpers jedes einzelnen Sache selber wäre. Es gibt keine Freiheit, zu sündigen# 1930: gestrichen: zu sündigen auf Kosten der Nachwelt und damit der Rasse# 1930: eingefügt: zu sündigen .

Gleichlaufend mit der Erziehung des Körpers hat der Kampf gegen die Vergiftung der Seele einzusetzen. Unser gesamtes öffentliches Leben gleicht heute einem Treibhaus sexueller Vorstellungen und Reize. Man betrachte doch den Speisezettel unserer Kinos135, Varietés und Theater136, und man kann wohl kaum leugnen, daß dies nicht die richtige Kost, vor allem für die Jugend, ist.137 In Auslagen und an Anschlagesäulen# 1930: Anschlagesäulen ersetzt durch: Anschlagsäulen wird mit den niedrigsten Mitteln gearbeitet, um die Aufmerksamkeit der Menge auf sich zu ziehen.138 Daß dies für die Jugend zu außerordentlich schweren Schädigungen führen muß, ist wohl jedem, der nicht die Fähigkeit, sich in ihre Seele hineinzudenken, verloren hat, verständlich. Diese sinnlich schwüle Atmosphäre