Band I, Kapitel 2
nein, Gott bewahre, aber indem man in so freundschaftlicher Weise die# 1944: die ersetzt durch: den Finger auf diese Wunden# 1944: Wunden ersetzt durch: Wunde lege, erfülle man ebensosehr die Pflicht, die der Geist des gegenseitigen Bündnisses166 auferlege, wie man umgekehrt auch der journalistischen Wahrheit genüge usw. Und nun bohrte dann dieser Finger in der Wunde nach Herzenslust herum.
Mir schoß in solchen Fällen das Blut in den Kopf.
Das war es, was mich die große Presse schon nach und nach vorsichtiger betrachten ließ.
Daß eine der antisemitischen Zeitungen, das »Deutsche Volksblatt«167, anläßlich einer solchen Angelegenheit sich anständiger verhielt, mußte ich einmal anerkennen.
Was mir aber# 1930: aber ersetzt durch: weiter auf die Nerven ging, war der doch widerliche Kult, den diese# 1930: diese ersetzt durch: die große Presse schon damals mit Frankreich trieb.168 Man mußte sich schon# 1926: schon ersetzt durch: geradezu schämen, Deutscher zu sein, wenn man diese süßlichen Lobeshymnen auf die »große Kulturnation« zu Gesicht bekam. Dieses erbärmliche Französeln ließ mich öfter als einmal eine dieser »Weltzeitungen«169 aus der Hand legen. Ich griff nun überhaupt manchmal nach dem »Volksblatt«, das mir freilich viel kleiner, aber in diesen Dingen etwas reinlicher vorkam. Mit dem scharfen antisemitischen Tone# 1944: Tone ersetzt durch: Ton war ich nicht einverstanden, allein ich las aber# 1926: gestrichen: aber auch hin und wieder Begründungen, die mir einiges Nachdenken verursachten.
Jedenfalls lernte ich aus solchen Anlässen langsam die Bewegung und den Mann# 1930: die Bewegung und den Mann ersetzt durch: den Mann und die Bewegung kennen, die damals Wiens Schicksal bestimmten: Dr. Karl Lueger und die christlich-soziale# 1937: christlich-soziale ersetzt durch: Christlich-Soziale;
1939: Christlich-soziale;
1944: christlich-soziale Partei.170
Als ich nach Wien kam, stand ich beiden feindselig gegenüber.
Der Mann und die Bewegung galten in meinen Augen als »reaktionär«.
Das gewöhnliche Gerechtigkeitsgefühl aber mußte dieses Urteil in eben dem Maße abändern, in dem ich Gelegenheit erhielt, Mann und Werk kennenzulernen; und langsam wuchs die gerechte Beurteilung zur unverhohlenen Bewunderung. Heute sehe ich in dem Manne mehr noch als früher den gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten.171