Das Überwuchern der Schlechten <span class="pagenumber">[167]</span>

31 Wilhelm II. erließ am 31. 7. 1914 die Verordnung, betreffend die Erklärung des Kriegszustandes, am 4. 8. befürwortete dann der Reichstag einstimmig 17 Kriegsgesetze zu den Themen Kriegsfinanzierung, Kriegswirtschaft und Sozialfürsorge. Von diesen Gesetzen waren das Kriegskredit- und das Ermächtigungsgesetz am folgenreichsten. Wurde mit dem ersten ein Kriegskredit von fünf Milliarden Mark bewilligt, so ermöglichte das zweite eine vereinfachte Form der Rechtsetzung durch die Exekutive: Der Bundesrat erhielt nun legislative Kompetenzen und konnte Notverordnungen erlassen. Neben dieser kommissarischen Zivildiktatur etablierte sich im Deutschen Reich eine Militärdiktatur. Durch die Erklärung des Kriegszustands erhielten insgesamt 57 Militärbefehlshaber (die am 8. 12. 1916 einem Obermilitärbefehlshaber unterstellt wurden) die Vollziehende Gewalt; sie besaßen in ihrem jeweiligen Kommandobereich Weisungsrecht gegenüber zivilen Behörden bis hin zu den Ministern der Bundesstaaten und konnten auch in die Grundrechte der Bürger eingreifen. Im Einzelnen bedeutete dies Verhängung von Schutzhaft und von Aufenthaltsbeschränkungen, Brief- und Pressezensur, Verkehrsbeschränkungen, Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung, Entziehung des gesetzlichen Richters und Einsetzung außerordentlicher Kriegsgerichte sowie Beschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung, der Vereins- und der Versammlungsfreiheit.

Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 22 – 73.

36 Die Stimmung unter den deutschen Frontsoldaten war weder so statisch, wie Hitler suggeriert, noch lässt sie sich auf die von ihm genannten politischen Positionen festlegen. Vielmehr war sie das Produkt einer »Ablösung von Erwartungen durch Erfahrungen«, die sich im dramatischen letzten Jahr des Ersten Weltkriegs in rascher Folge vollzog. 1917 dominierten Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht unter den deutschen Soldaten, dennoch trafen die Streiks vom Januar 1918 an der Front meist auf wenig Verständnis. Nach dem Frieden von Brest-Litowsk vom 3. 3. 1918 und dem Beginn der deutschen Großoffensive im Westen am 21. 3. schossen die Erwartungen auf einen Sieg, dem endlich der Friede folgen werde, nochmals gewaltig in die Höhe, insbesondere an der Front. Umso größer war die Ernüchterung infolge der militärischen Rückschläge in der Zeit von April bis August 1918. Von nun an herrschten zunehmend Erschöpfung, Fatalismus und auch Verweigerung. »Frieden um jeden Preis«, werde nun »stürmisch verlangt«, lautete das Fazit der Postüberwachungsstelle der 5. Armee am 17. 10. 1918. Der Wunsch nach Frieden, der Wunsch »nichts weiter als die Flinte ins Korn zu schmeißen« – so eine Stimme vom Oktober 1918 –, wurde so übermächtig, dass die weit überwiegende Mehrheit der deutschen Frontsoldaten nun bereit war, die Niederlage zu akzeptieren. Nachdem das deutsche Heer allein durch die Frühjahrsoffensive 1918 insgesamt rund eine Million Mann und zwischen Juli und November 1918 weitere 760.000 Mann verloren hatte, nahm die Kriegsmüdigkeit solche Ausmaße an, dass sich noch vor dem Waffenstillstand vermutlich bis zu einer Million Soldaten dem Dienst an der Front auf irgendeine Weise entzogen – sei es durch Verwundung, Desertion, Kriegsgefangenschaft oder durch den Dienst in der Etappe. Es war, wie später festgestellt wurde, ein riesiger verdeckter Militärstreik – »die politische Antwort auf die Überspannung aller Kräfte der Nation im Dienste einer Militärpolitik mit illusionären außen- und innenpolitischen Zielsetzungen«.

Vgl. Vincent, Politics, S. 60 – 76; Deist, Zusammenbruch; Hobohm, Heeresmißstände; Deist, Militärstreik, Zitat S. 118, 122; Bessel, Heimkehr; Ziemann, Erwartung, Zitate S. 176, 180; Ullrich, Revolutionierung; Kap. I/7, Anm. 49.

37 Der Rucksack galt in der antisemitischen Emblematik als Erkennungszeichen des wandernden (Ost-)Juden, bzw. des jüdischen Händlers. So schrieb Alfred Rosenberg im Jahr 1932: »Es ist kein Zufall, wenn der Träger des Ehregedankens ein schlanker, hoher, helläugiger, kraftvoller Mensch ist, die Nachkommen des Vaters Jakob aber krumme, plattfüßige, schwarze, krauslockige Gestalten. Es ist kein Zufall, wenn die Pallas Athene und der Apoll mit ihrem kriegerischedlen Sinn nur so dargestellt werden konnten, wie die Frauen des Parthenon-Giebels, das Haupt des Zeus zeigen, während die vorderasiatischen Spione im Thersites des Homer sich ebenso verkörpert finden wie auf den späteren Vasenmalereien als rucksacktragende orientalische Händler.« Dieses Stereotyp erscheint auch in dem von Hitler gebrauchten Begriff des »Rucksackspartakisten«.

Vgl. Rosenberg, Wesensgefüge, Zitat S. 13; Heid, Ostjude, S. 244; Haibl, Zerrbild, S. 234 – 246; Anm. 207 in diesem Kapitel.

Heldentum fast restlos aufgeopfert; das Extrem der#1939: der ersetzt durch: des Schlechten, unterstützt durch unsinnigste Gesetze einerseits30 und durch die Nichtanwendung der Kriegsartikel anderseits#1929: anderseits ersetzt durch: andrerseits;
1937: andererseits;
1939: andrerseits;
1944: andererseits31, ist leider ebenso restlos erhalten geblieben.32

Dieser wohlkonservierte Abschaum unseres Volkskörpers hat dann die Revolution gemacht, und er konnte sie nur machen, weil das Extrem bester Elemente ihm nicht mehr gegenüberstand: – es war nicht mehr am Leben.33

Damit aber war die deutsche Revolution von vornherein nur eine bedingt populäre Sache. Nicht das deutsche Volk an sich hat diese Kainstat34 verbrochen, sondern das lichtscheue Gesindel seiner Deserteure, Zuhälter usw.35

Der Mann#1944: eingefügt: an der Front, er begrüßte das Ende des blutigen Ringens, war glücklich, die Heimat wieder betreten zu können, Weib und Kind wieder sehen#1937: wieder sehen ersetzt durch: wiedersehen;
1939: wieder sehen zu dürfen. Allein mit der Revolution selbst hatte er innerlich nichts zu tun; er liebte sie nicht und noch viel weniger liebte er ihre Erreger und Organisatoren. In den viereinhalb Jahren schwersten Kampfes hatte er die Parteihyänen vergessen und ihr ganzer Hader war ihm fremd geworden.36

Nur bei einem kleinen Teil des deutschen Volkes war die Revolution wirklich populär gewesen#1944: gewesen ersetzt durch: geworden: nämlich bei jener Klasse ihrer Helfer, die den Rucksack als das#1944: gestrichen: das Erkennungszeichen aller Ehrenbürger dieses neuen Staates gewählt hatten.37 Sie liebten die#1930: gestrichen: die Revolution#1944: Revolution ersetzt durch: Revolutionen nicht um ihrer selbst willen, wie so manche irrtümlich heute noch glauben, sondern wegen ihrer Folgen.

Allein auf die Popularität bei diesen marxistischen Freibeutern ließ sich wahrlich nur schwer eine Autorität dauernd stützen. Und doch brauchte gerade die junge Republik Autorität um jeden Preis, wollte sie nicht nach einem kurzen Chaos von einer sich aus den letzten Elementen der guten Seite unseres Volkes zusammenschließenden Vergeltungsmacht plötzlich wieder verschlungen werden.38

Sie fürchteten damals nichts mehr, jene Träger des Umsturzes, als im Strudel ihrer eigenen Wirrnis selber jeden Boden zu verlieren, um#1929: verlieren, um ersetzt durch: verlieren und plötzlich von einer ehernen Faust, wie sie in solchen Zeitläuften öfter als einmal aus dem Leben der Völker herauswächst,