Band I, Kapitel 2
Auch in der Schule fand sich# 1944: sich ersetzt durch: ich keine Veranlassung, die bei mir zu einer Veränderung dieses übernommenen Bildes hätte führen können.
In der Realschule lernte ich wohl einen jüdischen Knaben kennen, der von uns allen mit Vorsicht behandelt wurde, jedoch nur, weil wir ihm in bezug auf seine Schweigsamkeit, durch verschiedene Erfahrungen gewitzigt147, nicht sonderlich vertrauten; irgendein Gedanke kam mir dabei so wenig# 1937: so wenig ersetzt durch: sowenig;
1939: so wenig wie den anderen.148
Erst in meinem vierzehnten bis fünfzehnten Jahre stieß ich öfters auf das Wort Jude, zum Teil im Zusammenhange# 1939: Zusammenhange ersetzt durch: Zusammenhang;
1944: Zusammenhange mit politischen Gesprächen. Ich empfand dagegen eine leichte Abneigung und konnte mich eines unangenehmen Gefühls nicht erwehren, das mich immer beschlich, wenn konfessionelle Stänkereien vor mir ausgetragen wurden.
Als etwas anderes sah ich aber damals die Frage nicht an.
Linz besaß nur sehr wenig Juden.149 Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich ihr Äußeres europäisiert und war menschlich geworden150; ja ich hielt sie sogar für Deutsche. Der Unsinn dieser Einbildung war mir wenig klar, weil ich das einzige Unterscheidungsmerkmal ja nur in der fremden Konfession erblickte.151 Daß sie deshalb verfolgt worden waren (wie ich glaubte)# 1926: waren (wie ich glaubte) ersetzt durch: waren, wie ich glaubte , ließ manchmal meine Abneigung gegenüber ungünstigen Äußerungen über sie fast zum Abscheu werden.
Vom Vorhandensein einer planmäßigen Judengegnerschaft ahnte ich überhaupt noch nichts.
So kam ich nach Wien.
Befangen von der Fülle der Eindrücke auf architektonischem Gebiete, niedergedrückt von der Schwere des eigenen Loses, besaß ich in der ersten Zeit keinen Blick für die innere Schichtung des Volkes in der Riesenstadt. Trotzdem Wien in diesen Jahren schon nahe an die zweihunderttausend Juden unter seinen zwei Millionen Menschen zählte, sah ich diese nicht.152 Mein Auge und mein Sinn waren dem Einstürmen so vieler Werte und Gedanken in den ersten Wochen noch nicht gewachsen. Erst als allmählich die Ruhe wiederkehrte und sich das aufgeregte Bild zu klären begann, sah ich mich in meiner neuen Welt gründlicher um und stieß nun auch auf die Judenfrage.