Das Schicksal des Arbeiters <span class="pagenumber">[25]</span>

50 Vor der Einführung staatlicher Arbeitslosenunterstützung bemühten sich die Gewerkschaften um eine materielle Unterstützung ihrer erwerbslos gewordenen Mitglieder. Auch dokumentierten sie das Ausmaß der Arbeitslosigkeit, das von Arbeitgeberseite oft pauschal geleugnet wurde. Ansonsten blieb den Arbeitslosen zunächst nur die Armenfürsorge der Kommunen. Als Deutschland und Österreich nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg eine Massenarbeitslosigkeit drohte, wurden sozialpolitische Maßnahmen jedoch unausweichlich. In Österreich wurde 1920 eine Arbeitslosenversicherung eingeführt, die sich auf eine staatliche Finanzierung stützte, aber den Kreis der Leistungsberechtigten deutlich begrenzte. In Deutschland scheiterte hingegen ein erster, etwa zeitgleich eingebrachter Entwurf – nicht zuletzt am Widerstand des Reichsministeriums der Finanzen. Durch die 1927 eingeführte Arbeitslosenversicherung wurde dann jedoch auch in Deutschland ein Rechtsanspruch auf Arbeitslosenunterstützung verankert. Die neugegründete Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung war zudem für die Statistik des nationalen Arbeitsmarkts zuständig. Die Rücklagen, die seit 1927 durch die paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erhobenen Versicherungsbeiträge gebildet wurden, sollten durch die Weltwirtschaftskrise ab 1929 allerdings rasch aufgebraucht werden.

Vgl. Führer, Arbeitslosigkeit, bes.S. 114 – 118, 144 – 154; Lewek, Arbeitslosigkeit, bes.S. 162 – 180; Schmuhl, Arbeitsmarktpolitik, S. 1 – 210; Büttner, Weimar, S. 372 – 374. 

51 In seinen Schilderungen dürfte Hitler eigene wie fremde Erfahrungen verarbeitet haben. Hanisch und Kubizek zufolge besuchte Hitler im Winter die öffentlichen Wärmestuben, wo er auch vom Leben der anderen Besucher erfuhr. Mit seiner Kritik stand Hitler freilich nicht allein. Der angeblich menschenvernichtende Charakter der Metropolen wurden in zahllosen zeitgenössischen Schriften beschworen. 1906 beklagte auch der später in Auschwitz ermordete jüdische Journalist Alfred Deutsch-German die Korrumpierung des Menschen durch die Metropole: »Die traurigen Wahrzeichen der Großstadt: frühe Verderbtheit, ein unendlicher Sumpf, Ekel und Grauen.« Ein ähnliches Bild zeichnete Felix Salten in seiner Schrift Wurstelprater (1911), in der die Stadt als menschenverschlingendes Ungeheuer erscheint: »Unzählige werden in der Stadt drinnen niedergetreten, zerstampft, vernichtet, verschwinden spurlos, und niemand weiß von ihnen.«

Vgl. Deutsch-German, Mädel, Zitat S. 45; Salten, Wurstelprater, Zitat S. 81; Hanisch, Buddy, S. 240; Kubizek, Hitler, S. 209; Maderthaner, Lebenswelten, S. 498; Anm. 54 in diesem Kapitel; Kap. I/10, Anm. 180.

54 Auch in diesem Fall ist Hitlers Kritik individueller Ausdruck eines sehr viel umfassenderen gesellschaftlichen Unbehagens. Der von rasanter Industrialisierung und Urbanisierung gekennzeichnete sozioökonomische Strukturwandel des Deutschen Reichs war seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert Ziel heftiger Kritik. Ein 1896 veröffentlichter Aufruf des Ausschusses für Wohlfahrtspflege auf dem Lande diagnostizierte die Landflucht und das Wachstum der Städte als einen »immer sichtbarer werdende[n] Krankheitsprozeß«; dieser sei nicht nur wirtschaftlich problematisch, er drohe »auch unsere sittliche und nationale Kraft mehr und mehr zu schwächen«. Auch der Geograf Friedrich Ratzel warnte vor einer Übervölkerung der Städte, deren Raumnot lebensfeindlich und entsittlichend sei. Der Münchner Geopolitiker Karl Haushofer sah in der Verstädterung einen »Volksbodenverlust«. Der städtische Ballungsraum war für ihn Signum eines »kulturellen ›völkischen‹ Niedergangs«; Metropolen stünden für Verderbnis und Entfremdung. Gerade Wien mit seiner multikulturellen Bevölkerung war diesen Kritikern ein Dorn im Auge. Auch die von Hitler hier aufgegriffene Behauptung, dass die Großstädte stets auf den Zuzug einer gesunden Landbevölkerung angewiesen seien, die bald jedoch selbst zum Opfer der schlechten urbanen Lebens- und Arbeitsverhältnisse würde, war fester Bestandteil dieses großstadtkritischen Diskurses.

Vgl. Bergmann, Agrarromantik; Sieferle/ Zimmermann, Stadt; Hamann, Wien, S. 219 – 222; Kost, Großstadtfeindlichkeit, Zitat S. 174; Stöcker, Agrarideologie, Zitat S. 93; Kap. I/10, Anm. 180.

erhält Arbeitslosenunterstützung aus den Kassen seiner Gewerkschaft und schlägt sich durch so gut als eben möglich.50 Allein, wenn der letzte eigene Heller und Pfennig verbraucht ist, die Kasse infolge der langen Dauer der Arbeitslosigkeit die Unterstützung auch einstellt, kommt die große Not. Nun lungert er hungernd herum, versetzt und verkauft oft noch das Letzte, kommt so in seiner Kleidung immer mehr herunter und sinkt damit auch äußerlich in eine Umgebung herab, die ihn nun zum körperlichen Unglück noch seelisch vergiftet. Wird er dann noch obdachlos, und ist dies (wie es oft der Fall zu sein pflegt) im Winter, so wird der Jammer schon sehr groß. Endlich findet er wieder irgendeine Arbeit. Allein das Spiel wiederholt sich. Ein zweites Mal trifft es ihn ähnlich, ein drittes Mal vielleicht noch schwerer, so daß er das ewig Unsichere nach und nach gleichgültiger ertragen lernt. Endlich wird die Wiederholung zur Gewohnheit.51

So lockert sich der sonst fleißige Mensch in seiner ganzen Lebensauffassung, um allmählich zum Instrument jener heranzureifen, die sich seiner nur# 1944: nur ersetzt durch: nun bedienen um niedriger Vorteile willen. Er war so oft ohne eigenes Verschulden arbeitslos, daß es nun auf einmal mehr oder weniger auch nicht ankommt, selbst wenn es sich dabei nicht mehr um das Erkämpfen wirtschaftlicher Rechte, sondern um das Vernichten staatlicher, gesellschaftlicher oder allgemein kultureller Werte handelt. Er wird, wenn schon nicht streiklustig, so doch# 1944: eingefügt: schon streikgleichgültig sein.52

Diesen Prozeß konnte ich an tausend Beispielen mit offenen Augen verfolgen. Je länger ich das Spiel sah, um so mehr wuchs meine Abneigung gegen die Millionenstadt53, die die Menschen erst gierig an sich zog, um sie dann so grausam zu zerreiben.

Wenn sie kamen, zählten sie noch immer zu ihrem Volke; wenn sie blieben, gingen sie ihm verloren.54

Auch ich war so vom Leben in der Weltstadt herumgeworfen worden und konnte also am eigenen Leibe die Wirkungen# 1937: Wirkungen ersetzt durch: Wirkung;
1939: Wirkungen dieses Schicksals erproben und seelisch durchkosten. Ich sah da# 1944: gestrichen: da noch eines: der schnelle Wechsel von Arbeit zur Nichtarbeit und umgekehrt sowie die dadurch bedingte ewige Schwankung des Ein- und Auskom-