Künftige Wirtschaftskammern <span class="pagenumber">[254]</span>

22 Aufgrund der seit 1931 zunehmenden Bedeutung der NSBO musste die Führung der NSDAP schließlich zu den Themen »Streik« und »Finanzielle Unterstützung für Streikende« offiziell Stellung nehmen. In einem Rundschreiben vom 31. 7. 1932 erklärte sie: »Der politische Kampf der N.S.B.O. in den Betrieben bringt es mit sich, daß wir bei wirtschaftlichen Kämpfen (Streiks, Aussperrungen, Maßregelungen usw.) unseren Mitgliedern Unterstützungen (Barbeträge und Lebensmittel) gewähren müssen. Das entspricht nicht nur der politischen Linie der N.S.B.O., die wirtschaftlich gerechtfertigte Streiks anerkennt und durchführt, sondern auch dem einfachen sozialen Gerechtigkeitsgefühl, unseren Arbeitskameraden in ihrer Not, so weit wie wir überhaupt können, zu helfen.« Tatsächlich unterstützte die NSBO seit April 1932 zahlreiche Streiks. Für Aufsehen sorgte die Zusammenarbeit zwischen NSBO und Kommunisten während des Streiks der Berliner Verkehrsgesellschaft Anfang November 1932. Hierbei kam es allerdings auch zu Konflikten mit der SA, die sich als Streikbrecher betätigte.

Vgl. StA München, Pol. Dir. München 6850: Rundschreiben der Reichsorganisationsleitung der NSDAP, Haupt-Abteilung IV (Betriebszellen) vom 31. 7. 1932 (Zitat, Herv. i. Orig.); Turner, Einstellung, 110; Frese, Betriebspolitik, S. 33 – 35; Paul, Aufstand, S. 106; Röhl, Tage.

24 In jungkonservativen Kreisen wurde ähnlich argumentiert. Ihr führendes Organ, Das Gewissen, hielt im April 1919 fest: »Ein Staat, der nicht klar und deutlich den Streik als wirtschaftliches Kampfmittel verwirft, verdient nicht, als ein im sozialen Geiste geführter angesehen zu werden. […] Im sozialen Staat aber gibt es nur ein oberstes Gesetz, das allgemeine Wohl. Dieses zu schützen, muß alle Macht beim Staate, dem Ausdruck des Gemeinwillens, liegen. Einer erhöhten Freiheit der Persönlichkeit als Einzelwesen muß notwendig eine erhöhte Gebundenheit als Staatswesen entsprechen.« Wenig später wurde in mehreren Artikeln vehement ein Streikverbot gefordert. Nach den Erfahrungen des gescheiterten Kapp-Putschs wiesen die Völkischen noch vehementer »jeden politischen Streik oder sogar Generalstreik auf das entschiedenste zurück, doch nicht nur, weil er politisch ist, sondern weil er zum Verbrechen am deutschen Volke wird.« Im Gegensatz zum faschistischen Italien war in Deutschland während des Dritten Reichs der Streik nicht ausdrücklich verboten. Allerdings legten die Gerichte eine im Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. 1. 1934 enthaltene Bestimmung zur Wahrung des »Arbeitsfriedens« entsprechend aus. Darüber hinaus standen dem Regime genügend Repressionsmittel zur Verfügung, um Ausstände zu unterbinden, sodass das Reichsamt für Statistik seit April 1933 dazu keine Zahlen mehr veröffentlichte. Die Gestapo berichtete allerdings für die Jahre 1936 – 1938 von 356 Streiks in Deutschland.

Vgl. Das Gewissen vom 9. 4. 1919, »Streikberechtigung?« (Zitat); vom 8. 7. 1919, »Streikverbot!«; Deutscher Sozialist vom 27. 8. 1920, »Gewerkschaften und Wiederaufbau«; RGBl. 1934/I, S. 45 – 56; Herbert, Mystery, S. 29; Kittner, Arbeitskampf, S. 531.

die Existenz der Gesamtheit behindern. Denn die Leistungsfähigkeit des einzelnen steht stets in ursächlichem Zusammenhange#1939: Zusammenhange ersetzt durch: Zusammenhang;
1944: Zusammenhange mit der allgemeinen rechtlichen und sozialen Stellung, die er im Wirtschaftsprozeß einnimmt und der nur daraus allein resultierenden Erkenntnis über die Notwendigkeit des Gedeihens dieses Prozesses zu seinem eigenen Vorteil.22

Der nationalsozialistische Arbeitnehmer muß wissen, daß die Blüte der nationalen Wirtschaft sein eigenes materielles Glück bedeutet.

Der nationalsozialistische Arbeitgeber muß wissen, daß das Glück und die Zufriedenheit seiner Arbeitnehmer die Voraussetzung für die Existenz und Entwicklung seiner eigenen wirtschaftlichen Größe ist.

Nationalsozialistische Arbeitnehmer und nationalsozialistische#1944: nationalsozialistische ersetzt durch: nationalsozialistischer Arbeitgeber sind beide Beauftragte und Sachwalter der gesamten Volksgemeinschaft. Das hohe Maß persönlicher Freiheit, das ihnen in ihrem Wirken dabei zugebilligt wird, ist durch die Tatsache zu erklären, daß erfahrungsgemäß die Leistungsfähigkeit des einzelnen durch weitgehende Freiheitsgewährung mehr gesteigert wird als durch Zwang von oben, und soll#1929: soll ersetzt durch: es weiter verhindern#1929: verhindern ersetzt durch: geeignet ist zu verhindern, daß der natürliche Ausleseprozeß, der den Tüchtigsten, Fähigsten#1929: Tüchtigsten, Fähigsten ersetzt durch: Tüchtigsten;
1930: Tüchtigsten, Fähigsten und Fleißigsten befördern soll, etwa unterbunden wird.23

Für die nationalsozialistische Gewerkschaft ist deshalb der Streik ein Mittel, das nur so lange angewendet werden darf und wohl auch muß, als nicht ein nationalsozialistischer völkischer Staat besteht.24 Dieser freilich soll an Stelle des Massenkampfes der beiden großen Gruppen – Arbeitgeber- und Arbeitnehmertum – (der in seinen Folgen als Produktionsverminderung stets die Volksgemeinschaft insgesamt schädigt!) die Rechtssorge und den Rechtsschutz aller übernehmen. Den Wirtschaftskammern selbst wird die Verpflichtung zur Inbetriebhaltung der nationalen Wirtschaft und zur Beseitigung von#1937: eingefügt: den diese [sic!] schädigenden Mängeln und Fehlern obliegen. Was heute durch die Kämpfe von Millionen ausgefochten wird, muß