Die Auseinandersetzung mit Frankreich <span class="pagenumber">[339]</span>

41 Seit dem 11. Jahrhundert lässt sich von der Herausbildung einer »weitgehend linearen [deutsch-romanischen] Sprachgrenze vom Norden Luxemburgs […] bis zum Waadtland« in der westlichen Schweiz sprechen. Entgegen der Annahme Hitlers – und auch der Ansicht vieler damaliger Sprachhistoriker – sind die Veränderungen, die es seither »an der Linie und Lagerung der Sprachgrenze selbst gegeben hat, […] recht gering geblieben«. Eine kleine Verschiebung der Sprachgrenze nach Osten stellte sich lediglich infolge des Dreißigjährigen Kriegs (1618 – 1648) in Lothringen ein, als dort die enormen Bevölkerungsverluste durch eine »planvolle Ansiedlung von Neusiedlern aus Innerfrankreich« kompensiert wurden. Im Gegenzug ließen sich im 17./18. Jahrhundert in Teilen des Elsass allerdings auch »deutschsprachige Neusiedler« nieder, »besonders deutlich im Bereich von S[ain]te Marieaux-Mines«. Die Frage der deutsch-französischen Sprachgrenze war seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen – ein Symptom sowohl des zeitgenössischen Sprachnationalismus als auch des deutschfranzösischen Erbfeindschaftsdenkens.

Vgl. Haubrichs, Geschichte, Zitate S. 3340 f.; Müller, Westen; Fehr, Germanen, S. 70 – 96; Kap. II/2, Anm. 13; Kap. II/13, Anm. 68.

42 Diese Passage kann als ein Beleg für die Existenz eines »Stufenplans« gelten, an dem sich Hitlers strategisches Handeln im Vorfeld und in der Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs orientieren sollte. Geprägt wurde der Begriff durch Andreas Hillgruber: »Zunächst ging es um die Aufrichtung eines europäischen Kontinentalimperiums auf dem Wege über eine Niederwerfung Frankreichs und – anschließend – die Eroberung des europäischen Rußlands, danach dann in einer weiteren ›Stufe‹ um den Aufbau einer deutschen ›Weltmacht‹-Stellung mit Kolonialbesitz in Afrika, ozeanischen Stützpunkten und starker Seemacht, die in der auf ihn, Hitler, folgenden Generation die Basis für einen Entscheidungskampf zwischen der ›Weltmacht‹ Deutschland und der ›Weltmacht‹ USA abgeben sollte.« Die Textpassage in Mein Kampf legt nahe, dass Hitler schon zu einem bemerkenswert frühen Zeitpunkt gewissermaßen die erste Skizze einer solchen Strategie entwickelte. Es spricht ferner für die These Hillgrubers, wenn Hitler dieses Modell in seinem 1928 verfassten, unveröffentlichten »Zweiten Buch« weiterentwickelte. Hitler entwarf hier das Konzept einer Koalition aus Deutschland, Italien und Großbritannien, zusätzlich verstärkt durch Spanien und Ungarn. Nach einer Auseinandersetzung »durch ein in seine Schranken zurückgewiesenes Frankreich«, so Hitler, könne für Deutschland »die Zeit heranreifen«, um »die Behebung seiner Raumnot in die Wege zu leiten. Sowie aber unser Volk erst einmal dieses große raumpolitische Ziel im Osten erfaßt haben wird, tritt als Folge nicht nur eine Klarheit, sondern auch eine Stabilität der deutschen Außenpolitik ein […].« Am Ende stünde dann die Auseinandersetzung mit den USA: »In ferner Zukunft läßt sich dann vielleicht eine neue Völkervereinigung denken, die, aus Einzelstaaten mit hohem Nationalwert bestehend, dann der drohenden Überwältigung der Welt durch die amerikanische Union entgegentreten könnte.«

Vgl. Hitler, Reden, Bd. II A, Zitat S. 181; Hillgruber, Strategie, Zitat S. 717; Frieser, Blitzkrieg-Legende, S. 10 – 12.

44 Dergleichen Prognosen über die künftige deutsche Bevölkerungsentwicklung waren im frühen 20. Jahrhundert nicht ungewöhnlich, wobei die jeweiligen Voraussagen stark variierten. Das lag nicht zuletzt daran, dass sich die Bevölkerungswissenschaft damals noch nicht zur professionellen Disziplin entwickelt hatte. Von »250 Millionen« Deutschen »um 2000 herum« sprach 1915 auch der Mediziner Adolf Schmidt, der angesichts der globalen Bevölkerungsentwicklung zugleich einen »gewaltige[n] Vernichtungskampf« der Menschen »um die Erhaltung ihrer Existenz« prophezeite. Schmidts Angaben blieben indes bewusst hypothetisch; auch plädierte er – wie viele Eugeniker seiner Zeit – für eine primär »qualitative« statt quantitative Bevölkerungspolitik, da sich »andere Völker […] noch schneller vermehren« würden als das deutsche: »Also lieber weniger Deutsche, aber dafür umso bessere, körperlich und geistig hochentwickelte!« Schon 1913 hatte Max von Gruber, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene, die Zahl von »250 Millionen Deutsche[n]« am »Ende dieses Jahrhunderts« prognostiziert; er betonte jedoch auch die realistischen Grenzen des Bevölkerungswachstums: Der »Geburtenüberschuß, wie er im ersten Jahrfünft dieses Jahrhunderts« Deutschland geprägt hatte, könne »unmöglich in gleicher Höhe durch Jahrhunderte andauern«. Die Zahl von 250 Millionen Deutschen um das Jahr 2000 hielt Gruber gleichwohl für realistisch und unproblematisch – unter der Voraussetzung einer territorialen Expansion des Deutschen Reichs: »[D]ie Anderen müßten uns nur Platz machen.«

Vgl. Gruber, Ursachen, Zitate S. 18; Schmidt, Aufgaben, Zitate S. 307; Mackensen, Ursprünge; Brocke, Förderung; Kap. I/10, Anm. 144.

45 Anspielung auf die Formel »Produktive Pfänder« (»gage productif«), die der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré im Jahr 1922 im Rahmen von Verhandlungen über ein mögliches deutsches Reparationsmoratorium prägte. Poincaré verlangte, den deutschen Bitten dürfe nur dann entsprochen werden, wenn die Alliierten zuvor zur Sicherung ihrer Ansprüche ein »Pfand« erhielten. Er dachte dabei vor allem an eine Besetzung des Ruhrgebiets, wie sie am 11. 1. 1923 erfolgte. Als »produktiv« galt Poincaré dieses »Pfand« insofern, als es »entweder Druck auf Deutschland ausübte und die Deutschen zur Abgeltung ihrer Reparationsverpflichtungen anhielt oder aber indem es die sofortige Ausbeutung der verfügbaren Bodenschätze [...] und damit Sachlieferungen zu Reparationszwecken ermöglichte«. Erwogen hatten die Alliierten diese Option indes schon früher, so 1921 auf den Konferenzen von Paris und London. Bereits im März 1921 besetzten alliierte Truppen wegen deutscher Zahlungsrückstände Duisburg, Düsseldorf und Ruhrort.

Vgl. Schwabe, Einführung, S. 1 – 3; Schwabe, Großbritannien, Zitat S. 55 f.; Krüger, Außenpolitik, S. 124, 199 f., 222, 233, 237; Soutou, Rhein, S. 65; Kolb/ Schumann, Republik, S. 51; Anm. 12 in diesem Kapitel.

Widerstand leisten könne.40 Solange#1937: Solange ersetzt durch: So lange;
1939: Solange der ewige Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich nur in der Form einer deutschen Abwehr gegenüber französischem Angriff ausgetragen wird, wird er niemals entschieden werden, wohl aber wird Deutschland von Jahrhundert zu Jahrhundert eine Position nach der anderen verlieren. Man verfolge das Wandern der deutschen Sprachgrenze vom zwölften Jahrhundert angefangen bis heute41, und man wird wohl schwerlich mehr auf den Erfolg einer Einstellung und Entwicklung bauen, die uns bisher schon soviel Schaden#1937: soviel Schaden ersetzt durch: so viel Schäden gebracht hat.

Erst wenn dies in Deutschland vollständig begriffen sein wird, so#1944: gestrichen: so daß man den Lebenswillen der deutschen Nation nicht mehr in bloß#1944: in bloß ersetzt durch: bloß in passiver Abwehr verkümmern läßt, sondern zu einer endgültigen aktiven Auseinandersetzung mit Frankreich zusammenrafft und in einem#1939: einem ersetzt durch: einen [sic!] letzten Entscheidungskampf mit deutscherseits größten Schlußzielen hineinwirft: erst dann wird man imstande sein, das ewige und an sich so#1944: gestrichen: so unfruchtbare Ringen zwischen uns und Frankreich zum Abschluß zu bringen; allerdings unter der Voraussetzung, daß Deutschland in der Vernichtung Frankreichs wirklich nur ein Mittel sieht, um danach unserem Volke endlich an anderer Stelle die mögliche Ausdehnung geben zu können.42 Heute zählen wir achtzig Millionen Deutsche in Europa!43 Erst dann aber wird jene Außenpolitik als richtig anerkannt werden, wenn nach kaum hundert Jahren zweihundertfünfzig Millionen Deutsche auf diesem Kontinent leben werden44, und zwar nicht zusammengepreßt als Fabrikkulis der anderen Welt, sondern: als Bauern und Arbeiter, die sich durch ihr Schaffen gegenseitig das Leben gewähren.

Im Dezember 1922 schien die Situation zwischen Deutschland und Frankreich wieder zu bedrohlicher Schärfe zugespitzt. Frankreich hatte neue ungeheuere#1937: ungeheuere ersetzt durch: ungeheure Erpressungen im Auge und brauchte dazu Pfänder.45 Der wirtschaftlichen Ausplünderung mußte ein politischer Druck vorangehen, und nur ein gewaltsamer Griff in die Nervenzentrale unseres gesamten deutschen Lebens46 schien den Franzosen als genügend, um unser »widerspenstiges« Volk unter schärferes Joch