Sieben Jahre bis 1813 – Sieben Jahre bis Locarno <span class="pagenumber">[334]</span>

8 Anspielung auf die vernichtende Niederlage Preußens gegen Frankreich in der Schlacht von Jena und Auerstedt am 14. 10. 1806, die anschließenden Preußischen Reformen sowie den Eintritt Preußens in die antinapoleonische Koalition auf Seiten Russlands im Februar 1813. Die Preußischen Reformen galten der staatlichen Exekutive, der Verwaltung, dem Rechtswesen, dem feudalen Grundbesitzsystem, dem Bildungswesen sowie dem Militär. Auf Basis einer tief greifenden Heeresreform konnte Preußen 1813 ein »gewaltiges Kontingent von 228.000 Infanteristen, 31.000 Kavalleristen und 13.000 Artilleristen« gegen Frankreich ins Feld führen. Zur Kampfbereitschaft eines Teils der preußischen Bevölkerung trug maßgeblich die rigide Ausbeutung bei, mit der Frankreich die Versorgung seiner Armee bei ihrem Marsch auf Moskau sichergestellt hatte. Hinzu kam die Unzufriedenheit im preußischen Offizierskorps über das Zaudern König Friedrich Wilhelms III., gegen Frankreich in den Krieg zu ziehen. Die Protagonisten der Preußischen Heeresreform würdigte Hitler schon früh in seinen Reden und versuchte, sie gegen die Spitzenpolitiker der Republik auszuspielen, ohne freilich die gänzlich unterschiedliche politische Situation der Jahre 1806 und 1918 zu reflektieren. In einer NSDAP-Versammlung vom 20. 7. 1921 führte er nach einem Bericht der Münchner Neuesten Nachrichten aus, dass es »der Geist [Gerhard von] Scharnhorsts, [August Neidhardt von] Gneisenaus, usw.« und »nicht ein solcher von [Walter] Simons oder [Walther] Rathenau« gewesen sei, der »vor mehr als hundert Jahren Deutschland aus der tiefsten Erniedrigung herausgeführt« habe; »wenn solcher Geist nicht wiederkomme, werde Deutschland den Tag der Freiheit nicht mehr erblicken.«

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 264, Zitat S. 444; Nipperdey, Geschichte 1800 – 1866, bes.S. 33 – 69; Clark, Preußen, S. 333 – 447, Zitat S. 423; Kap. II/5, Anm. 26.

9 Gemeint sind die Schiedsabkommen und -verträge zwischen Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Italien, Polen und der Tschechoslowakei, die auf der Konferenz von Locarno (5. – 16. 10. 1925) gschlossen wurden. Kernstück war der sogenannte Rheinpakt, in dem Deutschland, Frankreich und Belgien die Unverletzlichkeit ihrer im Versailler Vertrag fixierten gemeinsamen Grenzen bestätigten; Großbritannien und Italien übernahmen hierfür die Garantie. Die Möglichkeit einer friedlichen Revision seiner Ostgrenze hielt sich Deutschland dagegen explizit offen. Zugleich wurde auf der Konferenz der Beitritt Deutschlands zum Völkerbund vereinbart, der am 10. 9. 1926 vollzogen wurde. Erst durch diesen großen Erfolg der Verständigungspolitik Gustav Stresemanns, der Deutschlands internationale Isolierung endgültig beendete, traten die am 1. 12. 1925 unterzeichneten Vereinbarungen von Locarno völkerrechtlich in Kraft. Die deutsche Rechte nahm den Vertrag von Locarno zum Anlass einer aggressiven Agitation gegen die angeblich volksverräterische Reichsregierung. Im Völkischen Beobachter erschien eine ganze Reihe polemischer Artikel, ebenso in Ernst Graf zu Reventlows Zeitung Der Reichswart. Auch Hitler hob seit 1925 in seinen Aufsätzen und Reden geradezu gebetsmühlenartig die angebliche »Schande« von Locarno hervor, die Deutschland »mit der moralischen Verachtung der ganzen anständigen Welt« belastet habe. Damit stellte er die Wahrheit freilich auf den Kopf: Stresemann und sein französischer Amtskollege Aristide Briand wurden 1926 für ihre führende Rolle beim Abschluss der Locarno-Verträge mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seit dem Herbst 1930 verlor »Locarno« für Hitler als Thema seiner Propaganda dann zunehmend an Bedeutung.

Vgl. RGBl. 1925/II, S. 975 – 1009; Hitler, Reden, Bd. II/1, Dok. 190, Zitat S. 536; Der Reichswart vom 17. 10. 1925, »Mißerfolg zu Locarno – ein Lichtblick für Deutschlands Zukunft!«; vom 24. 10. 1925, »Das ›Vertragswerk‹«; Krüger, Außenpolitik, S. 269 – 372; Tuomainen, Propaganda; Cohrs, Peace, S. 27 – 31; Krüger, Locarno; Büttner, Weimar, S. 357 – 363; Kap. I/10, Anm. 79; Kap. II/13, Anm. 1, 160.

11 Hitler meint hier zunächst die militärischen Bestimmungen in Teil V des Versailler Vertrags. Sie setzten eine Beschränkung des deutschen Heeres auf 100.000 Mann sowie der Reichsmarine auf 15.000 Mann fest und regelten detailliert die Höchstzahl der erlaubten Geschütze, Gewehre, Maschinengewehre, Minenwerfer und Handfeuerwaffen samt Munition. Hinzu trat das Verbot aller modernen Waffensysteme, insbesondere Luftwaffe, U-Boote, Tanks, Panzerwagen und chemische Waffen. Darüber hinaus wurden die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und sämtliche Waffenimporte nach Deutschland verboten. Um die Einhaltung der Bestimmungen zu überwachen, wurde eine Interalliierte Militär-Kontrollkommission eingerichtet. Die Frage der Entwaffnungsbestimmungen und ihrer Umsetzung blieb über Jahre ein zentrales Thema der Außenpolitik, das gerade auch während der Entstehungszeit von Mein Kampf stark diskutiert wurde. Besonderes Aufsehen erregte die alliierte »Entwaffnungsnote« vom 4. 6. 1925, die zahlreiche Verstöße der Deutschen gegen die Entwaffnungsbestimmungen bilanzierte und entsprechend weitere Abrüstungsleistungen verlangte; erst nach Erfüllung dieser Forderungen sollte die Räumung der Kölner Besatzungszone erfolgen, die ursprünglich auf den 10. 1. 1925 datiert worden war.

Vgl. RGBl. 1919/II, S. 919 – 971; Salewski, Entwaffnung, bes.S. 15 – 39, 77 – 172, 300 – 325; Kap. I/12, Anm. 16.

12 Anspielung auf die Reparationsforderungen der Entente nach dem Ersten Weltkrieg. Der Versailler Vertrag verlangte zwar bereits bis zum 1. 5. 1921 eine Zahlung von 20 Milliarden Goldmark, setzte jedoch nicht die Gesamtsumme der von Deutschland zu leistenden Zahlungen fest. In den Jahren 1920 – 1922 kam es zu mehreren internationalen Konferenzen, auf denen über Höhe und Konditionen der deutschen Reparationen beraten wurde. Von besonderer Bedeutung war die Konferenz von Spa (5. – 16. 7. 1920), in der sich die Alliierten – erstmals unter deutscher Beteiligung – auf einen Schlüssel zur Verteilung der Reparationen einigten, ferner die am 1. 3. 1921 begonnene Londoner Konferenz, die nach heftigen Kontroversen mit der Festlegung der deutschen Kriegsschuld auf 132 Milliarden Goldmark (in Geld- und Sachwerten) endete, abzuleisten in einem Fixbetrag von jährlich zwei Milliarden plus 26 % des Werts der deutschen Exporte, was etwa einer weiteren Milliarde entsprach. Das Dawes-Abkommen vom August 1924 regelte dann eine Reduktion der Annuitäten bis 1927/28 auf 1 – 1,75 Milliarden Reichsmark, anschließend sollte Deutschland 2,5 Milliarden pro Jahr zahlen. Vom 11. 2. – 7. 6. 1929 wurde in einer Pariser Konferenz die Reparationsfrage neu beraten. Ergebnis war der »Young-Plan«, der jährliche Zahlungen von durchschnittlich zwei Milliarden Reichsmark bis zum Jahr 1966 festlegte; danach sollten die deutschen Leistungen noch bis 1988 die Rückzahlungen der interalliierten Schulden abdecken. Doch wurde diese Langzeitregelung, deren Annahme die deutsche Rechte durch ein Volksbegehren vergeblich zu verhindern suchte, infolge der Weltwirtschaftskrise rasch Makulatur. Bereits zum 6. 7. 1931 erhielt Deutschland auf Initiative des amerikanischen Präsidenten Herbert C. Hoover ein einjähriges Moratorium. Die Konferenz von Lausanne (16. 6. – 9. 7. 1932) bedeutete dann faktisch das Ende der deutschen Reparationen, da sich die Verhandlungsführer auf eine abschließende Zahlung von drei Milliarden Goldmark einigten, die letztlich jedoch nicht mehr geleistet wurde.

Vgl. Krüger, Außenpolitik, bes.S. 103 – 111, 122 – 132, 229 – 247, 443 – 453, 476 – 495, 539 – 545; Heyde, Ende; Büttner, Weimar, bes.S. 125 f., 153 – 158, 350 – 357, 390 f.; Kolb/ Schumann, Republik, bes.S. 31 f., 43 – 46, 137 f.; Kap. I/10, Anm. 50; Kap. II/7, Anm. 109.

tung unseres Volkes überprüft, enthüllt er sich als höchst raffinierte, eisigkalte Logik im Dienste des jüdischen Welteroberungsgedankens und -kampfes.7

So erscheint es auch begreiflich, daß dieselbe Zeitspanne, die 1806 bis 1813 genügt hatte, um das gänzlich zusammengebrochene Preußen mit neuer Lebensenergie und Kampfentschlossenheit zu erfüllen8, heute nicht nur ungenützt verstrichen ist, sondern im Gegenteil zu einer immer größeren Schwächung unseres Staates geführt hat.

Sieben Jahre nach dem November 1918 wurde der Vertrag von Locarno9 unterzeichnet!

Der Hergang war dabei der oben schon angedeutete: Sowie man einmal den schandbaren Waffenstillstand unterschrieben hatte, brachte man weder die Tatkraft noch den Mut auf, den sich später immer wiederholenden Unterdrückungsmaßnahmen der Gegner nun plötzlich Widerstand entgegenzusetzen. Diese aber waren zu klug, auf einmal zuviel zu fordern. Sie beschränkten ihre Erpressungen stets auf jenen Umfang, der ihrer eigenen Meinung nach – und der unserer deutschen Führung – augenblicklich noch so weit erträglich sein würde, daß eine Explosion der Volksstimmung dadurch nicht befürchtet zu werden brauchte. Je mehr aber an solchen einzelnen Diktaten unterschrieben und hinuntergewürgt worden waren#1937: waren ersetzt durch: war;
1939: waren;
1944: war, um so weniger schien es gerechtfertigt, wegen einer einzelnen weiteren Erpressung oder verlangten Entwürdigung nun plötzlich das zu tun, was man wegen so vielen anderen#1937: vielen anderen ersetzt durch: vieler anderer nicht tat: Widerstand zu leisten. Dies ist eben jener »Gifttropfen«, von dem Clausewitz spricht: die zuerst begangene Charakterlosigkeit, die sich selbst immer weiter steigern muß und die allmählich als schlimmstes Erbe jeden künftigen Entschluß belastet.10 Sie kann zum furchtbaren Bleigewicht werden, das ein Volk dann kaum mehr abzuschütteln vermag, sondern endgültig hinunterzieht#1937: endgültig hinunterzieht ersetzt durch: von dem es endgültig hinuntergezogen wird in das Dasein einer Sklavenrasse.

So wechselten auch in Deutschland Entwaffnungs- und Versklavungsedikte, politische Wehrlosmachung11 und wirtschaftliche Ausplünderung12 miteinander ab, um endlich moralisch jenen Geist zu erzeugen, der im Dawesgutachten13 ein Glück und im Vertrag von Locarno einen Erfolg zu sehen vermag. Man kann dann freilich, von