Notwendigkeit der Verständigung <span class="pagenumber">[212]</span>

79 Eine weitere Begründung für

die auf‌fällige Vorsicht, mit der Hitler während seiner gesamten Herrschaft gegenüber den Kirchen taktierte. Das galt gerade auch für die Zeit des Zweiten Weltkriegs, in der sich Hitler mit Blick auf die psychischen Belastungen der deutschen Gesellschaft keine offene Auseinandersetzung mit den Kirchen leisten wollte. Erst nach dem Krieg wollte er, wie er intern durchblicken ließ, seine »letzte Lebensaufgabe«, das »Kirchenproblem«, klären. Wie ernst es ihm damit war, belegt schon die Vulgarität seiner Terminologie, mit der er auch verbal wieder auf die ideologische Unbedingtheit seiner politischen Anfänge zurückfiel. Pfarrer bezeichnete er im Februar 1942 als »schwarze Minderwertigkeit«, als »Dreckwanze« und »Krebsschaden«. Im August 1942 sprach er von der Kirche als einem »Reptil«, das sich immer wieder erhebe, »wenn die Staatsgewalt schwach wird. Deshalb muß man es zertreten.«

Vgl. Rißmann, Gott, S. 77 – 89, Zitate S. 89.

81 Anspielung auf den »Kulturkampf«, die Auseinandersetzung zwischen Staat und moderner Kultur auf der einen und katholischer Kirche auf der anderen Seite, die in Deutschland nach 1871 aufgebrochen war. Die tiefer liegenden Ursachen dieser Auseinandersetzung waren die Kirchenkritik, wie sie Aufklärung, Naturwissenschaften und Liberalismus seit dem 18. und 19. Jahrhundert immer schärfer formulierten sowie das päpstliche Unfehlbarkeitsdogma. Otto von Bismarck versuchte als Reichskanzler wie als preußischer Ministerpräsident die Einflussnahme der katholischen Kirche auf Politik und Gesellschaft durch eine Reihe von Anordnungen und Gesetzen zu brechen – auf Reichsebene durch den »Kanzelparagraphen« (Verbot öffentlicher politischer Stellungnahmen durch Geistliche), das Jesuitengesetz (Verbot der Niederlassungen von Jesuiten im Deutschen Reich) und die Einführung der Zivilehe; in Preußen durch das Schulaufsichtsgesetz, die Maigesetze von 1873 (staatliche Kontrolle der Ausbildung und Einstellung von Geistlichen), den Entzug der staatlichen Zuwendungen an die Kirche sowie die Auflösung aller geistlichen Orden. Der Grundsatzkonflikt, der seit 1871 eskalierte, wurde ab 1878/79 zurückgefahren und bis 1887 diplomatisch beigelegt. Obwohl Bismarck einen Teil der antiklerikalen Gesetze zurücknahm, blieb in Deutschland die Trennung von Staat und Kirche bestehen. Das Ziel der Gründung einer unabhängigen deutschen Nationalkirche aber wurde nicht erreicht.

Vgl. Gall, Bismarck (1980), S. 469 – 492, Zitat S. 487; Becker, Kulturkampf (1981); Anderson, Windthorst, S. 130 – 209; Becker, Bismarck; Clark/ Kaiser (Hrsg.), Kulturkampf; Becker, Kulturkampf (2009); Kap. II/5, Anm. 15.

ebenso unberechtigten wie unzulässigen, ja unanständigen Versuch, sich in Dinge einzumischen, die den Betreffenden nichts angehen. Derartige Versuche werden auch dann nicht entschuldigt, wenn sie mit dem höheren Recht der Interessen der nationalen Gemeinschaft begründet werden, da heute religiöse Gefühle immer noch tiefer sitzen als alle nationalen und politischen Zweckmäßigkeiten.77 Und dies wird auch gar nicht anders dadurch, daß man nun die beiden Konfessionen in einen gegenseitigen erbitterten Krieg#1944: Krieg ersetzt durch: Kampf hineintreibt, sondern vermöchte nur anders zu werden, indem man durch beiderseitige Verträglichkeit der Nation eine Zukunft schenkt#1929: schenkt ersetzt durch: schenkte, die in ihrer Größe allmählich auch auf diesem Gebiete#1937: Gebiete ersetzt durch: Gebiet versöhnend wirken wird#1929: wird ersetzt durch: würde.

Ich stehe nicht an zu erklären, daß ich in den Männern, die heute die völkische Bewegung in die Krise religiöser Streitigkeiten hineinziehen, schlimmere Feinde meines Volkes sehe als im nächstbesten international eingestellten Kommunisten.78 Denn diesen zu bekehren, ist die nationalsozialistische Bewegung berufen. Wer aber diese aus ihren eigenen Reihen heraus von ihrer wirklichen Mission entfernt, handelt am verwerflichsten. Er ist, ob bewußt oder unbewußt spielt gar keine Rolle, ein Streiter für jüdische Interessen. Denn jüdisches Interesse ist es heute, die völkische Bewegung in dem Augenblick in einem religiösen Kampf verbluten zu lassen, in dem sie beginnt für den Juden eine Gefahr zu werden. Und ich betone ausdrücklich das Wort verbluten lassen#1937: verbluten lassen ersetzt durch: »verbluten zu lassen«;
1939: verbluten lassen; denn nur ein geschichtlich ganz ungebildeter Mann kann sich vorstellen, mit dieser Bewegung heute eine Frage lösen zu können, an der Jahrhunderte und große Staatsmänner zerschellt sind.79

Im übrigen sprechen die Tatsachen für sich. Die Herren, die vor drei Jahren#1930: vor drei Jahren ersetzt durch: im Jahre 1924 plötzlich entdeckten, daß die oberste Mission der völkischen Bewegung der Kampf gegen den »Ultramontanismus« sei, haben nicht den Ultramontanismus zerbrochen, aber die völkische Bewegung zerrissen.80 Ich muß mich auch verwahren dagegen#1944: verwahren dagegen ersetzt durch: dagegen verwahren, daß in den Reihen der völkischen Bewegung irgendein unreifer Kopf vermeint, das zu können, was selbst ein Bismarck nicht konnte.81 Es wird immer die oberste Pflicht der Leitung der nationalsozialistischen Bewegung sein, gegen jeden Versuch, die nationalsozialistische