Alte und neue Reichsflagge <span class="pagenumber">[138]</span>

78 Nach der Reichsgründung von 1871 fand die Trikolore Schwarz-Weiß-Rot, ursprünglich die Farben des Norddeutschen Bunds, zunächst keine allgemeine Anerkennung als offizielle Reichsfarben; wichtiger blieben die jeweiligen Landesfarben. Bismarck selbst bevorzugte zwar grundsätzlich Schwarz-Weiß-Rot – heraldisch eine Kombination der preußischen Farben und denen der Hansestädte – vor anderen möglichen Farbkombinationen, da sie ihm als politisch unverbraucht galt und keine Partei des Kaiserreichs sie exklusiv für sich in Anspruch nehmen konnte; eine hohe Bedeutung maß er der Flaggenfrage jedoch nicht zu. Dies belegt eine ironische Äußerung aus dem Jahr 1870: »Sonst ist mir das Farbenspiel ganz einerlei. Meinethalben grün und gelb und Tanzvergnügen oder auch die Fahne von Mecklenburg-Strelitz. Nur will der preußische Troupier [der König] nichts von Schwarzrotgelb wissen.« Nach dem Rücktritt Bismarcks änderte sich diese Situation rasch. Wilhelm II., der einer einheitlichen Fahne sehr viel größere Bedeutung zusprach als Bismarck, verordnete am 8. 11. 1892, dass die seit 1867 gültige, schwarz-weiß-rote Flagge der Handelsmarine künftig auch die deutsche Nationalflagge sei.

Vgl. Guben, Schwarz, S. 236 – 245; Hattenhauer, Symbole, S. 41 – 46, Zitat S. 42.

80 Hitler war sich offensichtlich nicht darüber im Klaren, dass mitnichten alle Flaggen der Weimarer Republik in den Farben Schwarz-Rot-Gold gehalten waren. Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. 8. 1919 legte in Artikel 3 fest: »Die Handelsflagge ist schwarz-weiß-rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke.« Die Verordnung über die deutschen Flaggen vom 11. 4. 1921 bestimmte diese Farbgebung zudem zur Dienstflagge aller übrigen Reichsbehörden zur See. Von den Farben Schwarz, Weiß und Rot dominiert war ab 1921 auch die Reichskriegsflagge; am 16. 11. 1920 hatte das Kabinett Fehrenbach (Zentrum, DDP, DVP) einem »Vorschlage des Reichswehrministers entsprechend […] als Reichskriegsflagge die schwarz-weiß-rote Flagge mit dem Eisernen Kreuz und den Farben schwarzrotgold in der oberen linken Ecke einstimmig angenommen.«

Vgl. RGBl. 1919/II, Zitat S. 1383; RGBl. 1921, S. 483 – 485; AdR, Kabinett Fehrenbach, Dok. 113, Zitat S. 285.

81 Gemeint sind hier die Ausrufung der Republik am 9. 11. 1918 und die Unterzeichnung des Waffenstillstands von Compiègne am 11. 11. 1918. Die Assoziation des Kriegsendes mit Begriffen wie »Schande«, »Schmach« sowie »Verbrechen« war in der deutschen Rechten allgegenwärtig und korrespondierte unmittelbar mit der Dolchstoßlegende. Sie war auch fester Bestandteil der NS-Propaganda. So veröffentlichte etwa Joseph Goebbels’ Berliner Gau-Zeitung Der Angriff am 8. 11. 1930 unter dem Titel »Tag der Schande« polemische »Betrachtungen« zum anstehenden Jahrestag der Novemberrevolution, in denen die Politik seit 1918 pauschal als »satanischer Schrittmacher für Deutschlands Versklavung« diffamiert wurde. Dass indes nicht nur radikale Agitatoren in diesen Kategorien dachten, belegt exemplarisch das Tagebuch des Literaturwissenschaftlers Eduard Engel, der schon im Kaiserreich durch seine vielfach neu aufgelegte Schrift Deutsche Stilkunst (1911) und sein nationalistisches Engagement für den Sprachpurismus bekannt geworden war. Am 23. 6. 1919, fünf Tage vor der Unterzeichnung des Versailler Vertrags, notierte Engel in sein Tagebuch: »So werden wir denn in wenigen Tagen oder Stunden den Frieden der Schande und des Verbrechens haben, den drei wertlose Kanzler und ein verbrecherischer, die ruchlose Mehrheit des letzten Reichstags und der Vaterlandsverrat eines Teiles der deutschen Presse seit Jahren über uns heraufbeschworen hatten.« Dieses, den Anschauungen Hitlers durchaus entsprechende Urteil bewahrte Engel indes nicht davor, nach 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft mit Berufsverbot belegt zu werden.

Vgl. Engel, Tagebuch, Heft 52, Zitat S. 2492; Der Angriff vom 8. 11. 1930, »Tag der Schande« (Herv. i. Orig.); Sauter, Engel, S. 75 – 87, 133 – 144, 156 – 158, 201 – 269; Kap. I/10, Anm. 13.

Und diesem Gedanken verdankt die schwarz-weiß-rote#1937: schwarz-weiß-rote ersetzt durch: schwarzweißrote;
1939: schwarz-weiß-rote;
1944: schwarzweißrote Fahne des alten Reiches78 ihre Wiederauferstehung als Flagge unserer sogenannten nationalen bürgerlichen Parteien.79

Daß nun das Symbol eines Zustandes, der vom Marxismus unter wenig rühmlichen Umständen und Begleiterscheinungen überwunden werden konnte, schlecht zum Zeichen taugt, unter welchem dieser gleiche Marxismus wieder vernichtet werden soll, liegt auf der Hand. So heilig und teuer diese alten einzigschönen#1937: einzigschönen ersetzt durch: einzig schönen;
1939: einzigschönen Farben in ihrer jugendfrischen Zusammenstellung jedem anständigen Deutschen sein müssen, der unter ihnen gekämpft und das Opfer von so vielen gesehen hat, so wenig gilt diese Fahne als Symbol für einen Kampf der Zukunft.

Ich habe immer, zum Unterschied von bürgerlichen Politikern, in unserer Bewegung den Standpunkt vertreten, daß es für die deutsche Nation ein wahres Glück sei, die alte Fahne verloren zu haben. Was die Republik unter ihrer Flagge macht, kann uns gleich bleiben#1937: gleich bleiben ersetzt durch: gleichbleiben. Aus tiefstem Herzen aber sollten wir dem Schicksal danken, daß es gnädig genug die ruhmvollste Kriegsflagge aller Zeiten davor bewahrt hat, als Bettuch der schmachvollsten Prostitution verwendet zu werden. Das heutige Reich, das sich und seine Bürger verkauft#1937: verkauft ersetzt durch: verkaufte;
1939: verkauft, dürfte niemals die schwarz-weiß-rote#1937: schwarz-weiß-rote ersetzt durch: schwarzweißrote;
1939: schwarz-weiß-rote;
1944: schwarzweißrote Ehren- und Heldenfahne führen.80

Solange die Novemberschande81 währt, mag sie auch ihre äußere Hülle tragen und nicht auch diese noch einer redlicheren Vergangenheit zu stehlen versuchen. Unsere bürgerlichen Politiker sollten es sich in das Gewissen rufen, daß, wer für diesen#1944: diesen ersetzt durch: den Staat die schwarz-weiß-rote#1937: schwarz-weiß-rote ersetzt durch: schwarzweißrote;
1939: schwarz-weiß-rote;
1944: schwarzweißrote Flagge wünscht82, einen Diebstahl an unserer Vergangenheit begeht. Die einstige Flagge paßte wirklich auch nur für das einstige Reich, genau so, wie Gott sei Lob und Dank die Republik sich die für sie passende wählte.

Das war auch der Grund, weshalb#1944: weshalb ersetzt durch: warum wir Nationalsozialisten im Aufziehen der alten Fahne kein ausdrucksvolles Symbol unserer