Die Folge der Halbheit<span class="Fussnoten_im_Text" id="fm-Fn35Chap6-volI-p185"><a href="#Fn35Chap6-volI-p185" onclick="scrollBody(140)">35 </a></span><span class="pagenumber">[192]</span>

36 Dieses zunächst befremdlich wirkende Beispiel war in der deutschen Werbeliteratur stark verbreitet und wurde während des Ersten Weltkriegs auch von deutschen Feldzeitungen aufgegriffen. Am 21. 7. 1918 ironisierte die Liller Kriegszeitung: »›Wilsons Seife ist die beste‹ werden wir lesen, wenn wir fruehmorgens aus dem Unterstand krabbeln, wenn wir unsere Heimatzeitung kriegen, wenn wir auf der Latrine sitzen. ›Wilsons Seife ist die beste.‹ Wenn wir das dreihundertmal gelesen haben, so werden wir’s wohl glauben muessen, und wir sind dann so dumm und kaufen uns die Ideale von Wilson, die keine fuenf Pfennige wert sind, um die Freiheit und das Glueck unseres Vaterlandes.«

Vgl. Liller Kriegszeitung vom 21. 7. 1918, »Wilsons Seife ist die beste«; Mataja, Reklame, S. 30 f., 39, 106.

37 Auch dieser Passus erinnert an Gerhard Schultze Pfaelzers Propaganda, Agitation, Reklame (1923). Demnach durfte »die Werbepartei ihre Fehler nicht selbst öffentlich diskutieren«, da dem Gegner andernfalls »die Möglichkeit einer Ausnutzung eigener Mißgriffe« erleichtert werde. Schultze Pfaelzer beklagte zudem die »verhängnisvolle Neigung« der Deutschen, »mit der Kritik bei sich selbst zu beginnen« und dadurch sowohl die eigene Propaganda »zu lähmen« als auch »Wasser auf die fremden Propagandamühlen« zu gießen. Diese Stellungnahme lässt sich auch als Kritik an jenen Autoren verstehen, welche die OHL mit dem Argument verteidigten, sie habe eine abwägende Propaganda betrieben, um, so Walter Nicolai, »den Ruf der deutschen Kriegführung nicht mit Schimpflichem [zu] belasten«. Auch liege es »nicht in der deutschen Art, gemein zu sein«. Zum Verhältnis von Wahrheit und Propaganda hatte sich 1922 auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Ferdinand Tönnies, kritisch geäußert. Er bezeichnete es als das Wesensmerkmal von Propaganda, dass in ihr die »objektive Wahrheit« »vor der bewußten Verfolgung des Zieles, vor der agitatorischen Absicht« zurücktrete. Propaganda verstand Tönnies als die »Agitation der öffentlichen Meinung in großem Stil, die also einen Gedanken ohne Rücksicht auf seine Wahrheit und Richtigkeit auszubreiten bestimmt ist«. Andere Fachleute gingen hingegen davon aus, dass Propaganda und Reklame trotz aller Übertreibungen einen wahren Kern besitzen müsse, um Wirkung zu erzielen.

Vgl. Roßbach, Massenseele, S. 18; Mataja, Reklame, S. 82 – 85, 489 f., 521; Nicolai, Nachrichtendienst, Zitat S. 160; Tönnies, Kritik, Zitate S. 79 (Herv. i. Orig.); Schultze Pfaelzer, Propaganda, Zitat S. 161; Reuter, Karikaturen, S. 69; Selig, Cossmann, S. 164; Kap. II/11, Anm. 22.

38 Genau unter diesem Gedanken stand später die Vorbereitung des deutschen Angriffs auf Polen. Am 22. 8. 1939 kündigte Hitler der deutschen militärischen Führung an, er werde »propagandistisch Anlaß zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig, ob glaubhaft«. Zu diesem Zweck inszenierte der Sicherheitsdienst der SS unmittelbar vor dem deutschen Einmarsch in Polen angebliche Grenzverletzungen durch polnische Einheiten, von denen ein vorgeblicher Überfall auf den Sender Gleiwitz am 31. 8. 1939 propagandistisch besonders intensiv ausgeschlachtet wurde. Wenige Tage später bestritt die NS-Propaganda zudem die irrtümliche Versenkung des britischen Passagierschiffs »Athenia« durch ein deutsches U-Boot und flüchtete sich in die Behauptung, das Schiff sei auf Anordnung der britischen Admiralität versenkt worden, um so die neutralen Staaten auf ihre Seite zu ziehen und die USA zum Kriegseintritt zu veranlassen. Dahinter stand die Absicht, ein propagandistisches Fiasko, wie es das Deutsche Reich 1915 durch die Versenkung des Passagierschiffs »Lusitania« erlebt hatte, unter allen Umständen zu vermeiden.

Vgl. Domarus, Hitler, Bd. 3, Zitat S. 1237 f.; Runzheimer, Überfall; Runzheimer, Grenzzwischenfälle; Blair, U-Boot-Krieg, Bd. 1, S. 98 – 101; Anm. 19 in diesem Kapitel.

39 Während des Ersten Weltkriegs dominierte in Deutschland die Vorstellung, einen legitimen Verteidigungskrieg zu führen – eine Ansicht, die auch die Mehrheit der SPD-Reichstagsfraktion in den Kriegsjahren zur Bewilligung der Kriegskredite bewegte. Entsprechend heftig reagierte die deutsche Öffentlichkeit nach Kriegsende auf Artikel 231 des Versailler Vertrags, der Deutschland und seine Verbündeten »als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich« machte, »die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten« hätten. Diese einseitige, die komplexe Situation des Kriegsausbruchs stark simplifizierende Schuldzuweisung wurde in Deutschland in allen politischen Lagern als krasse Ungerechtigkeit empfunden, zumal sich die alliierten Reparationsforderungen auf sie stützten. Entsprechend viele politische Gruppen verband das Interesse, die These der deutschen Alleinschuld zu widerlegen. Hitlers Polemik kann daher nicht überraschen, wobei er mit seiner einseitigen Schuldzuweisung an die Alliierten freilich genau denselben Fehler begeht, den er den Siegermächten vorwirft.

Der deutsche Anteil am Ausbruch des Ersten Weltkriegs lag zunächst in der »Zusicherung deutscher Unterstützung für Österreich-Ungarn Anfang Juli [1914], die ohne Konditionen formuliert wurde und daher auch den Angriffs- und nicht nur den Verteidigungsfall abdeckte«. Dieser Schritt eröffnete der Habsburgermonarchie den Handlungsspielraum für ihre Offensive gegen Serbien, welche wiederum das hohe Risiko eines Eingreifens von Russland in sich barg. Hinzu kam, dass die deutsche Seite in der Operationsplanung gegen Frankreich eine Verletzung der belgischen Neutralität in Kauf nahm und so den Kriegseintritt Großbritanniens provozierte. Die französische Führung wiederum sah im Bündnis mit Russland die Möglichkeit, ihre revisionistischen Ziele gegenüber Deutschland, vor allem die Rückgewinnung Elsass-Lothringens, zu verwirklichen.

Vgl. RGBl. 1919/II, Zitat S. 985; Reventlow, Deutschland, S. 181 f.; Heinemann, Niederlage; Dreyer/ Lembcke, Diskussion, S. 31 – 229; Ullrich, Großmacht, S. 250 – 263; Clark, Schlafwandler, bes.S. 715 – 718; Münkler, Krieg, S. 62 – 106; Leonhard, Büchse, S. 84 – 127, bes.S. 116 – 120, Zitat S. 116; Kap. I/5, Anm. 22, 34; Kap. I/10, Anm. 229; Kap. II/6, Anm. 6.

von ihr bearbeiteten# 1939: bearbeiteten ersetzt durch: verarbeiteten;
1944: bearbeiteten Frage. Auf diesem Gebiet wurde in einer Weise gesündigt, und zwar gleich zu Beginn des Krieges von oben herunter, daß man wohl das Recht erhielt, zu zweifeln, ob soviel Unsinn wirklich nur reiner Dummheit zugeschrieben werden konnte.

Was würde man zum Beispiel über ein Plakat sagen, das eine neue Seife anpreisen soll, dabei jedoch auch andere Seifen als »gut« bezeichnet?36

Man würde darüber doch# 1926: doch ersetzt durch: nur den Kopf schütteln.

Genau so verhält es sich aber auch mit politischer Reklame.

Die Aufgabe der Propaganda ist z.B.# 1944: z. B. ersetzt durch: zum Beispiel nicht ein Abwägen der verschiedenen Rechte, als vielmehr# 1930: als vielmehr ersetzt durch: sondern das ausschließliche Betonen des einen eben durch sie zu vertretenden. Sie hat nicht objektiv auch die Wahrheit, soweit sie den anderen günstig ist, zu erforschen, um sie dann der Masse in doktrinärer Aufrichtigkeit vorzusetzen, als vielmehr# 1930: als vielmehr ersetzt durch: sondern ununterbrochen der eigenen zu dienen.37

Es war grundfalsch, die Schuld am Kriege von dem Standpunkte# 1944: Standpunkte ersetzt durch: Standpunkt aus zu erörtern, daß nicht nur Deutschland allein verantwortlich gemacht werden könnte für den Ausbruch dieser Katastrophe, sondern es wäre richtig gewesen, diese Schuld restlos dem Gegner aufzubürden, selbst wenn dies wirklich nicht so dem wahren Hergange# 1939: Hergange ersetzt durch: Hergang;
1944: Hergange entsprochen hätte38, wie es doch nun tatsächlich der Fall war.39

Was aber war nun# 1930: gestrichen: nun die Folge dieser Halbheit?

Die breite Masse eines Volkes besteht nicht aus Diplomaten oder auch nur Staatsrechtslehrern, ja nicht einmal aus lauter vernünftigen# 1930: vernünftigen ersetzt durch: vernünftig Urteilsfähigen, sondern aus ebenso schwankenden wie zu Zweifel und Unsicherheit geneigten Menschenkindern. Sowie durch die eigene Propaganda erst einmal nur der Schimmer eines Rechtes auch auf der anderen Seite zugegeben wird, ist der Grund zum Zweifel an dem eigenen Recht auch# 1926: Recht auch ersetzt durch: Rechte;
1939: Recht;
1944: Rechte schon gelegt. Die Masse ist nicht in der Lage, nun zu unterscheiden, wo das fremde Unrecht endet und das eigene beginnt. Sie wird in einem solchen Falle unsicher und mißtrauisch, besonders dann, wenn der Gegner eben nicht den gleichen Unsinn macht, sondern seinerseits alle und jede Schuld dem Feinde aufbürdet. Was ist da erklärlicher, als daß endlich das eigene Volk der feindlichen Propaganda, die geschlossener, einheitlicher vorgeht,