Die Vorzeichen des Zusammenbruches <span class="pagenumber">[238]</span>

5 Nach einer Phase weitgehender Stagnation während der Jahre 1871 – 1882 und einem anschließenden, fast fünfjährigen Abschwung stieg die Gesamtproduktion von Industrie und Handwerk im Deutschen Reich seit 1886 massiv an; bis 1914 wuchs sie um mehr als das Dreifache. Dabei verdoppelte sich das Nettoinlandsprodukt auf rund 40 Milliarden Mark. Strukturell wandelte sich das Kaiserreich in dieser Phase von einem »Agrarstaat mit starker Industrie zum Industriestaat mit starker agrarischer Basis«. Die steigende Prosperität der deutschen Volkswirtschaft manifestierte sich auch in einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich: So besaß in Preußen 1896 die Oberschicht (10 % der Bevölkerung) 59 % der personellen Vermögenswerte, 1911 waren es bereits 63 %. Trotz des Aufschwungs verbesserte sich der Lebensstandard für die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung im Kaiserreich insgesamt nur leicht und langsam.

Vgl. Bade, Migration (Zitat); Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, bes.S. 547 – 620; Berghahn, Kaiserreich, S. 41 – 53. 

6 Auf dem Wiener Kongress (1814/15) gegründeter Bund aus 37 deutschen Einzelstaaten und vier Freien Reichsstädten (Bremen, Frankfurt am Main, Hamburg, Lübeck). Er trat an die Stelle des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, das seit der Niederlegung der Kaiserkrone durch Kaiser Franz II. am 6. 8. 1806 offiziell nicht mehr existierte. Zweck des Deutschen Bundes war laut der Deutschen Bundesakte vom 8. 6. 1815 die »Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten«. Als oberstes Organ des Bundes fungierte die in Frankfurt am Main tagende Bundesversammlung, ein ständiger Gesandtenkongress unter dem Vorsitz Österreichs. Der Deutsche Bund wurde nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg im Prager Frieden vom 23. 8. 1866 aufgelöst.

Vgl. Huber (Hrsg.), Dokumente, Bd. 1, S. 84 – 90, Zitat S. 85; Müller, Bund, S. 1 – 49; Gruner, Bund, bes.S. 13 – 49, 96 – 108.

7 Eine deutliche Überzeichnung des Renommees, welches das Kaiserreich im politischen Leben der Weimarer Republik genoss. Die tiefe Unzufriedenheit breiter Bevölkerungskreise mit der Republik ging eher selten mit einer nostalgischen Idealisierung der Vorkriegszeit einher. Selbst in der traditionell monarchistisch gesinnten Rechten forderte nach 1918 nur eine Minderheit dezidiert die Rückkehr zur Monarchie. Das galt auch für den deutschen Adel, der am meisten von der politischen Ordnung vor 1918 profitiert hatte. Gerade in seiner jüngeren Generation lösten sich die traditionellen Bindungen zur monarchischen Staatsform rasch auf. Im Vordergrund standen vielmehr der Wunsch und die Hoffnung nach einer großen »Führerpersönlichkeit« mit diktatorischen Vollmachten, die gewissermaßen als »deus ex machina« die vielen Probleme einer geschlagenen und gedemütigten Großmacht lösen sollte.

Vgl. Schreyer, Monarchismus; Malinowski, König, bes.S. 247 – 259; Kap. II/8, Anm. 6.

Und welch ein Aufstieg setzte nun ein.# 1939: Punkt ersetzt durch: Ausrufezeichen

Die Freiheit nach Außen# 1937: Außen ersetzt durch: außen gab das tägliche Brot im Innern. Die Nation wurde reich an Zahl4 und irdischen Gütern.5 Die Ehre des Staates aber und mit ihr die des ganzen Volkes war gehütet und beschirmt durch ein Heer, das am sichtbarsten den Unterschied zum einstigen deutschen# 1937: deutschen ersetzt durch: Deutschen Bunde6 aufzuzeigen vermochte.

So tief ist der Sturz, der das Reich und das deutsche Volk trifft, daß alles wie von# 1944: von ersetzt durch: vom Schwindel erfaßt, zunächst Gefühl und Besinnung verloren zu haben scheint; man kann sich kaum mehr der früheren Höhe erinnern, so traumhaft unwirklich gegenüber dem heutigen Elend erscheint die damalige Größe und Herrlichkeit.7

So ist es denn auch erklärlich, daß man nur zu sehr geblendet wird vom Erhabenen und dabei vergißt, nach den Vorzeichen des ungeheuren Zusammenbruches# 1937: Zusammenbruches ersetzt durch: Zusammenbruchs zu suchen, die doch irgendwie schon vorhanden gewesen sein mußten.

Dies gilt natürlich# 1930: Dies gilt natürlich ersetzt durch: Natürlich gilt das nur für die, denen Deutschland mehr war als ein bloßer# 1930: bloßer ersetzt durch: reiner Aufenthaltsraum zum Geldverdienen und -verzehren [sic!], da ja nur sie den heutigen Zustand als Zusammenbruch zu empfinden vermögen, während er den anderen als# 1926: gestrichen: als die längst ersehnte Erfüllung ihrer bisher ungestillten Wünsche gilt# 1926: gilt ersetzt durch: ist .

Diese# 1930: Diese ersetzt durch: Die Vorzeichen aber waren damals sichtbar vorhanden, wenn auch nur sehr wenige versuchten, aus ihnen eine gewisse Lehre zu ziehen.

Heute nun# 1930: nun ersetzt durch: aber ist dies nötiger denn je.

So wie man zur Heilung einer Krankheit nur zu kommen vermag, wenn der Erreger derselben bekannt ist, so gilt das gleiche auch vom Heilen politischer Schäden. Freilich pflegt man die äußere Form einer Krankheit, ihre in das Auge stechende Erscheinung, leichter zu sehen und zu entdecken als die innere Ursache. Dies ist ja auch# 1937: gestrichen: auch; 1939: wieder eingefügt: auch; 1944: wieder gestrichen: auch der Grund, warum so viele Menschen über die Erkenntnis äußerer Wirkungen überhaupt nie# 1939: nie ersetzt durch: nicht;
1944: nie hinauskommen und deshalb dann auch diese mit der Ursache sogar# 1926: deshalb dann auch diese mit der Ursache sogar ersetzt durch: diese dann sogar mit der Ursache;
1930: sie sogar mit der Ursache verwechseln, ja das Vorhandensein einer solchen am liebsten ganz zu leugnen versuchen. So sehen auch jetzt die meisten unter uns den deutschen Zusammenbruch in erster Linie nur in der allgemeinen wirtschaftlichen Not und den daraus sich er-