Germanische Elemente in Rußland <span class="pagenumber">[316]</span>

58 Hitlers selektive Weltsicht zeigt sich hier besonders deutlich. Er ignoriert nicht nur wesentliche kulturelle Errungenschaften, etwa aus dem byzantinischen und arabischen Kulturkreis, die Europa mitgeprägt hatten, sondern auch den Einfluss, den die griechische und vor allem die römische Antike auf Europa ausübte. Später, am 4. 2. 1942, gab Hitler selbst zu: »In einer Zeit, wo die anderen schon Steinstraßen besaßen, hat unser Land Zeugnisse einer Kultur nicht aufzuweisen.« Für Völkische war die Vorstellung, die Germanen seien überall die Schöpfer der Kultur gewesen, allerdings selbstverständlich. Houston Stewart Chamberlain meinte etwa: »Die Germanen im engeren, deutschen Sinne des Wortes sind die Gestalter der ganzen heutigen Welt, – insofern sie überhaupt Gestalt hat.«

Vgl. Chamberlain, Weltanschauung (1917), Zitat S. 22; Hitler, Monologe, Zitat S. 263.

59 Dieser bekannte und häufig zitierte Satz behielt für Hitler bis zuletzt Gültigkeit, wobei sich der Akzent von »Weltmacht« später auf »Weltherrschaft« verschob. Noch am 7. 5. 1943, nach der Niederlage von Stalingrad und angesichts des absehbaren Scheiterns der Achsenmächte auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz, betonte Hitler in einer Ansprache vor den Reichs- und Gauleitern in Berlin dieses Ziel mit aller Deutlichkeit. Joseph Goebbels hielt dazu in seinem Tagebuch fest: »Der Führer gibt seiner unumstößlichen Gewißheit Ausdruck, daß das Reich einmal ganz Europa beherrschen wird. Wir werden dafür noch sehr viel [sic!] Kämpfe zu bestehen haben, aber sie werden zweifellos zu den herrlichsten Erfolgen führen. Von da ab ist praktisch der Weg zu einer Weltherrschaft vorgezeichnet. Wer Europa besitzt, der wird damit die Führung der Welt an sich reißen.« Dass Hitler auch die Alternative des »Nichtseins« in Betracht zog, verdeutlicht etwa eine Äußerung, die er am 8. 6. 1941 – zwei Wochen vor dem Angriff auf die Sowjetunion – gegenüber Walther Hewel, dem Ständigen Beauftragten des Reichsaußenministers beim Führer, gemacht hatte: »Wenn es schief geht, ist sowieso alles verloren.« Am 27. 1. 1942 betonte Hitler dann gegenüber Heinrich Himmler: »Wenn das deutsche Volk nicht bereit ist, für seine Selbsterhaltung sich einzusetzen, ganz gut: Dann soll es verschwinden!«

Vgl. IfZ-Archiv, ED 100/78: Tagebuch Walther Hewel, 1941, vollständige Abschrift, Zitat Bl. 90 (8. 6. 1941); Hitler, Monologe, Zitat S. 239; Goebbels, Tagebücher, Teil II, Bd. 8, Zitat S. 238; Kap. II/4, Anm. 20.

61 Die Forderung, in Russland neuen Siedlungsraum zu gewinnen, reichte in Deutschland bis in die Zeit des Krimkriegs (1853 – 1856) zurück und hatte in dem antisemitischen Orientalisten Paul de Lagarde einen namhaften Fürsprecher. Ab Ende des 19. Jahrhunderts waren es besonders Anhänger radikaler völkischer Vereinigungen, die eine Abtretung großer russischer Gebiete forderten. Deutschvölkische Ideologen wie Heinrich Claß, Adolf Bartels oder Franz Haiser verwendeten dafür Formulierungen, die sich kaum von entsprechenden Passagen in Mein Kampf unterscheiden. Verfasst wurden sie allerdings bereits vor bzw. während des Ersten Weltkriegs oder in den ersten Jahren nach dem Frieden von Versailles. Einen wesentlichen Impuls hatten solche Vorstellungen durch die weiten Vorstöße deutscher Truppen nach Osten Anfang 1918 erhalten, durch welche die sowjetrussische Regierung zum Abschluss des Friedensvertrags von Brest-Litowsk gezwungen worden war. Die Forderungen von Völkischen, Exilrussen und Militärs vermischten sich dabei mit der Vorstellung eines antibolschewistischen »Kreuzzugs« zu einem militärisch-politisch-rassistischen Konglomerat. Wer Hitler auf diese Ideen brachte, ist umstritten. Eine große Rolle scheinen Alfred Rosenberg und sein deutschbaltisches Umfeld gespielt zu haben. Rosenberg profilierte sich mithilfe von Dietrich Eckart Anfang der 1920er Jahre als Russlandexperte in der völkischen Bewegung.

Vgl. Baur, Revolution, S. 175, 188 f.; Jung, Voraussetzungen, S. 233 – 261; Neitzel, Weltmacht, S. 118 – 126; Piper, Rosenberg, S. 55 – 82; Walkenhorst, Nation, S. 57; Kap. II/6, Anm. 37.

62 Der Niedergang der traditionellen russischen Eliten hatte bereits während des Ersten Weltkriegs begonnen, als das russische Heer derart hohe Verluste an Offizieren erlitt, dass für den Nachwuchs zunehmend auf junge Männer aus der bäuerlichen Schicht zurückgegriffen werden musste. Während der Oktoberrevolution und des Russischen Bürgerkriegs setzte dann der Exodus der russischen Verwaltungs- und Kulturelite ein. Bis 1921 verließen etwa 1,3 Millionen Menschen Russland, darunter viele der »kompetentesten, kreativsten, arbeitsfähigsten und selbständigsten Kräfte«. 1922/23 hielten sich allein in Deutschland etwa 600.000 russische Emigranten auf. Dennoch konnte das bolschewikische Regime die alten Eliten nicht vollständig verdrängen, geschweige denn ersetzen. Hunderttausende »Spezialisten«, die bereits dem Zaren gedient hatten, blieben unter dem neuen Regime zunächst im Staatsdienst, sowohl im Wirtschafts- und Verwaltungsapparat als auch in der Armee. Noch Ende 1920 waren beispielsweise 34 % der militärischen Kommandoposten von Angehörigen der alten Armee besetzt.

Vgl. Schlögel, Berlin, S. 237; Schlögel, Einführung, Zitat S. 12; Altrichter, Staat, S. 183; Figes, Tragödie, S. 636; Volkov, ėmigracija, S. 17 f.

Recht auf Grund und Boden kann zur Pflicht werden, wenn ohne Bodenerweiterung ein großes Volk dem Untergang geweiht erscheint.57 Noch ganz besonders dann, wenn es sich dabei nicht um ein xbeliebiges Negervölkchen handelt, sondern um die germanische Mutter all des Lebens, das der heutigen Welt ihr kulturelles Bild gegeben hat.58 Deutschland wird entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein.59 Zur Weltmacht aber braucht es jene Größe, die ihm in der heutigen Zeit die notwendige Bedeutung und seinen Bürgern das Leben gibt.

* * *

Damit ziehen wir Nationalsozialisten bewußt einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vorkriegszeit. Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten.60 Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft.

Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm untertanen Randstaaten denken.61

Das Schicksal selbst scheint uns hier einen Fingerzeig geben zu wollen. Indem es Rußland dem Bolschewismus überantwortete, raubte es dem russischen Volk#1937: Volk ersetzt durch: Volke jene Intelligenz, die bisher dessen staatlichen Bestand herbeiführte und garantierte.62 Denn die Organisation eines russischen Staatsgebildes war nicht das Ergebnis der staatspolitischen Fähigkeit#1930: Fähigkeit ersetzt durch: Fähigkeiten des Slawentums in Rußland, als#1930: als ersetzt durch: sondern vielmehr nur ein wundervolles Beispiel für die staatenbildende Wirksamkeit des germanischen Elements#1933: Elements ersetzt durch: Elementes;
1939: Elements;
1944: Elementes in einer minderwertigen Rasse. So sind zahlreiche mächtige Reiche der Erde geschaffen worden. Niedere Völker mit germanischen Organisatoren#1939: Organisatoren ersetzt durch: Organisationen;
1944: Organisatoren und Herren als Leiter derselben sind öfter als einmal zu gewaltigen Staatengebilden