Bildung des Charakters <span class="pagenumber">[49]</span>

109 Hitlers Äußerungen über die gesellschaftliche Stellung der Frau fallen in Mein Kampf auf‌fällig knapp aus. In einem Brief vom 10. 7. 1924 vermerkte Rudolf Heß, dass Hitler ursprünglich ausführlichere Stellungnahmen beabsichtigt habe. Der Brief gewährt einen Einblick in das damalige Frauenbild Hitlers. Demzufolge war Hitler »der Ansicht, daß die Frau in der politischen Volksvertretung nichts zu suchen habe. Politik sei Männersache, besonders die Politik, die bis zu den letzten Folgerungen gehe, d. h. die unter Umständen dazu führe, daß die Männerwelt ihr Blut hingebe. Er verbitte sich, daß Frauen, die selbst nicht die Folgen ihrer Politik am eigenen Leibe, mit dem eigenen Blut zu tragen hätten, bestimmten, wann er sich einzusetzen habe!« Hitler, so Heß, habe jedoch »für eine Vertretung der Frau in der Ständekammer und in […] sozialpolitischen Körperschaften« sowie in all jenen Bereichen plädiert, »wo über Erziehungsfragen, sanitäre Fragen usw. entschieden werde«.

Vgl. Heß, Briefe, Zitat S. 345 f. (Herv. i. Orig.). Zu Hitlers Frauenbild vgl. auch Kap. I/2, Anm. 114; Kap. I/10, Anm. 120.

110 Im Dritten Reich dauerte es bis 1941, ehe neue Richtlinien für die Leibeserziehung der Mädchen in Schulen veröffentlicht wurden. Entsprechend Hitlers Forderung wurde darin als »Aufgabe« der Leibeserziehung bestimmt, die Vorbereitung der Mädchen auf ihre »künftige Bestimmung als Mutter und Erzieherin der Kinder« vorzubereiten. Dass sich die Mädchenerziehung dieser Hauptfunktion zuzuwenden habe, entsprach einem antiemanzipatorischen und antiegalitären, bürgerlichen Basiskonsens des 19. Jahrhunderts. So hatte etwa der Philosoph Eduard von Hartmann bereits 1886 in der Schrift Moderne Probleme postuliert, dass »die Erziehung und geistige Ausbildung beider Geschlechter stets eine verschiedene bleiben« müsse, da das »weibliche Gehirn und Nervensystem« von »anstrengende[r] geistige[r] Arbeit« geschädigt werde. »Die Mädchen«, so Hartmann, könnten »nicht früh genug lernen«, dass sie ihrem »einzige[n] unmittelbare[n] Beruf« dienen müssten, »dem Vaterlande möglichst viel möglichst tüchtige und wohlerzogene neue Bürger zuzuführen, um es im Kampf ums Dasein der Nationen konkurrenzfähig und siegreich zu erhalten«. Rassenideologisch zugespitzt bestimmte diese Vorstellung auch das Frauenbild der völkischen Bewegung, das – ebenso wie die spätere nationalsozialistische Familienpolitik – vom Ideal der Geburtenmaximierung »rassisch hochwertiger« Kinder durchdrungen war.

Vgl. Hartmann, Probleme, Zitate S. 40, 58; Richtlinien für die Leibeserziehung der Mädchen in Schulen, Zitate S. 8; Planert, Antifeminismus, bes.S. 33 – 117; Puschner, Diskurse, bes.S. 54 – 68; Kap. I/2, Anm. 114.

111 Die seit Ende des 19. Jahrhunderts verbreitete Vorstellung des »geborenen Verbrechers« geht vor allem auf die kriminalbiologischen Theorien des italienischen Arztes Cesare Lombroso zurück. Dieser vertrat in seiner 1876 erschienenen Studie L’uomo delinquente (dt.: Der verbrecherische Mensch) die These, dass es vererbbare, körperliche und psychische Merkmale gebe, durch die »geborene Verbrecher« vom Rest der Gesellschaft abweichen würden und identifizierbar seien. Lombrosos Thesen riefen in ganz Europa kontroverse Diskussionen über die Ursachen kriminellen Verhaltens hervor. Kritiker bemängelten hauptsächlich die Nichtberücksichtigung sozialer und kultureller Faktoren, nur wenige stritten jedoch die Möglichkeit geborener Verbrecher grundsätzlich ab. Nach 1933 erlebte die Kriminalbiologie ihren wissenschaftlichen und institutionellen Durchbruch. Bei Zwangssterilisationen sowie bei der Einweisung von Kriminellen und »Gemeinschaftsfremden« in Konzentrationslager lieferte sie häufig Entscheidungsgrundlagen.

Vgl. Galassi, Kriminologie, bes.S. 139 – 190; Simon, Kriminalbiologie, bes.S. 161 – 208.

112 Die Forderung nach größerer Verschwiegenheit in allen militärischen Angelegenheiten war bei allen kriegführenden Mächten im Ersten Weltkrieg verbreitet. Exemplarisch zeigt dies ein 1916 verteiltes, mit »Schweigen ist das Gebot der Stunde« überschriebenes Flugblatt, das die deutsche Bevölkerung auf die »große und ernste Gefahr« umfassender »Erkundungstätigkeit[en]« feindlicher Agenten hinwies und forderte: »Jeder schweige über alles, was mit unseren Rüstungen und Kampfesvorbereitungen zusammenhängt«. Wie die 1939 angestoßene Propagandakampagne Feind hört mit! belegt, wurde der Verschwiegenheit und Wachsamkeit der deutschen Bevölkerung gegenüber ausländischen Spionageversuchen auch im Zweiten Weltkrieg hohe Bedeutung zugemessen. Am 11. 1. 1940 erließ Hitler schließlich einen allgemeinen Geheimhaltungsbefehl, welcher festschrieb, »keine Dienststelle« und »kein Offizier« dürfe von »geheimzuhaltenden Sachen« früher und umfangreicher in Kenntnis gesetzt werden als »unbedingt erforderlich«.

Vgl. DHM Berlin, Do 72/484; Moll (Hrsg.), »Führer-Erlasse«, Dok. 17.

113 Hitler ließ sich bei der Klassifikation von »Verschwiegenheit« als Erziehungsziel vermutlich von dem Münchner Geografieprofessor Karl Haushofer inspirieren, der schon in den frühen 1920er Jahren als Freund und Mentor von Rudolf Heß mit der NS-Bewegung in Berührung gekommen war. Haushofer betrachtete Verschwiegenheit als eine der wichtigsten soldatischen Tugenden und wesentliche Voraussetzung für die Erlangung von »Wehrhaftigkeit«. In einem vom Hochschulring Deutscher Art veranstalteten Vortrag betonte Haushofer am 5. 7. 1924: »Schweigen lernen, das ist geradezu die Vorhalle der Wehrhaftigkeit, der Wehrfähigkeit eines Volkes«. Das »Wort über die Tat« sei »nicht frei«, sondern »stumm – bis die Tat getan ist! Und beim rechten Manne dann erst recht«. Insgesamt blieb der Einfluss Haushofers auf das Denken Hitlers jedoch gering.

Vgl. Haushofer, Wehrhaftigkeit, Zitat S. 6; Plöckinger, Geschichte, S. 143 – 146.

Analog der Erziehung des Knaben kann der völkische Staat auch die Erziehung des Mädchens von den gleichen Gesichtspunkten aus leiten.109 Auch dort ist das Hauptgewicht vor allem auf die körperliche Ausbildung zu legen, erst dann auf die Förderung der seelischen und zuletzt der geistigen Werte. Das Ziel der weiblichen Erziehung hat unverrückbar die kommende Mutter zu sein.110

* * *

Erst in zweiter Linie hat der völkische Staat die Bildung des Charakters in jeder Weise zu fördern.

Sicherlich sind die wesentlichen Charaktereigenschaften im einzelnen Menschen grundsätzlich vorgebildet: der egoistisch Veranlagte ist und bleibt dies einmal für immer, genau so wie der Idealist im Grunde seines Wesens stets Idealist sein wird. Allein zwischen den restlos ausgeprägten Charakteren stehen doch Millionen von verschwommen#1937: verschwommen ersetzt durch: verschwommenen;
1939: verschwommen und unklar erscheinenden. Der geborene Verbrecher wird Verbrecher sein und bleiben; aber zahlreiche Menschen, bei denen bloß eine gewisse Hinneigung zum Verbrecherischen vorhanden ist, können durch richtige Erziehung noch zu wertvollen Gliedern der Volksgemeinschaft werden; während umgekehrt durch schlechte Erziehung aus schwankenden Charakteren wirklich schlechte Elemente erwachsen können.111

Wie oft wurde im Kriege#1937: Kriege ersetzt durch: Krieg;
1939: Kriege Klage darüber geführt, daß unser Volk so wenig schweigen könne!112 Wie schwer war es dadurch, selbst wichtige Geheimnisse der Kenntnis der Feinde zu entziehen! Allein man stelle sich doch die Frage: Was hat vor dem Kriege die deutsche Erziehung dafür getan, den Einzelnen zur Verschwiegenheit zu bilden? Wurde nicht leider schon in der Schule der kleine Angeber manchesmal#1937: manchesmal ersetzt durch: manchmal;
1939: manches Mal seinen verschwiegeneren Mitgefährten gegenüber vorgezogen? Wurde und wird nicht Angeberei als rühmliche »Offenheit« und Verschwiegenheit als schmähliche Verstocktheit angesehen? Hat man sich überhaupt bemüht, Verschwiegenheit als männlich#1939: männlich ersetzt durch: männliche;
1944: männlich wertvolle Tugend hinzustellen? Nein, denn in den Augen unserer heutigen Schulerziehung sind das Lappalien.113 Allein diese Lappalien kosten dem#1944: dem ersetzt durch: den
1937: 90 ersetzt durch: neunzig;
1944: 90 Staat ungezählte Millionen Gerichtskosten, denn 90#%#1930: % ersetzt durch: Prozent