Band II, Kapitel 1
Masse weder aus Philosophen noch aus Heiligen besteht, wird eine solche ganz allgemeine religiöse Idee dem einzelnen meist nur die Freigabe seines individuellen Denkens und Handelns bedeuten, ohne indes zu jener Wirksamkeit zu führen, welche der religiösen inneren Sehnsucht in dem Augenblick erwächst, da sich aus der rein metaphysischen unbegrenzten Gedankenwelt ein klar umgrenzter Glaube formt. Sicherlich ist dieser nicht der Zweck an sich, sondern nur ein Mittel zum Zweck; doch ist er das unumgänglich notwendige Mittel, um den Zweck überhaupt erreichen zu können. Dieser Zweck aber ist nicht nur ein ideeller, sondern im letzten Grunde genommen auch ein eminent praktischer. Wie man sich überhaupt darüber klar werden#1937: klar werden ersetzt durch: klarwerden;
1939: klar werden;
1944: klarwerden muß, daß die höchsten Ideale immer einer tiefsten Lebensnotwendigkeit entsprechen, genau so wie der Adel der erhabensten Schönheit im letzten Grunde auch nur im logisch Zweckmäßigsten liegt.
Indem der Glaube mithilft, den Menschen über das Niveau eines tierischen Dahinlebens zu erheben, trägt er in Wahrheit zur Festigung und Sicherung seiner Existenz bei. Man nehme der heutigen Menschheit die durch ihre Erziehung gestützten religiös-glaubensmäßigen, in ihrer#1937: ihrer ersetzt durch: der;
1939: ihrer praktischen Bedeutung aber sittlich-moralischen Grundsätze durch Ausscheidung dieser religiösen Erziehung und ohne dieselbe durch Gleichwertiges zu ersetzen, und man wird das Ergebnis in einer schweren Erschütterung der Fundamente ihres Daseins vor sich haben.27 Man darf also wohl feststellen, daß nicht nur der Mensch lebt, um höheren Idealen zu dienen, sondern daß diese höheren Ideale umgekehrt auch die Voraussetzung zu seinem Dasein als Mensch geben. So schließt sich der Kreis.
Natürlich liegen auch schon in der allgemeinen Bezeichnung »religiös« einzelne grundsätzliche Gedanken oder Überzeugungen, zum Beispiel die der Unzerstörbarkeit der Seele, der Ewigkeit ihres Daseins, der Existenz eines höheren Wesens usw. Allein alle diese Gedanken, und mögen sie für den einzelnen noch so überzeugend sein, unterliegen solange#1937: solange ersetzt durch: so lange der kritischen Prüfung dieses einzelnen und damit solange einer schwankenden Bejahung oder Verneinung, bis eben nicht die gefühlsmäßige Ahnung oder Erkenntnis die gesetzmäßige Kraft apodiktischen Glaubens annimmt. Dieser vor allem ist