Arier und Jude <span class="pagenumber">[317]</span>

81 Die »Jagd nach dem Glück« war im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ein verbreitetes Schlagwort. Neben einem 1868 entstandenen Gemälde von Rudolf Henneberg trägt diesen Titel auch eine 1888 uraufgeführte Operette Franz von Suppés. Ferner erschienen um 1900 mehrere Romane mit dem Titel Die Jagd nach dem Glück. Bereits der englische Philosoph John Locke, der als »Vater des Liberalismus« gilt, hatte in seinem Essay Concerning Human Understanding (1690) geschrieben, »the highest perfection of intellectual nature, lies in a careful and constant pursuit of true and solid happiness«. Ein anderer englischer Philosoph und Zeitgenosse Lockes, der das Prinzip »pursuit of happiness« (»Streben nach Glück« bzw. »Jagd nach Glück«) verfocht, war Richard Cumberland. Inspiriert davon, fand die Formulierung »pursuit of happiness« 1776 als unveräußerliches Bürgerrecht Eingang in die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika. Aber nicht nur im angelsächsischen Sprachraum, auch in anderen Ländern forderten Philosophen der Aufklärung das Recht auf individuelles Glück, etwa in der Schweiz Jean-Jacques Burlamaqui und in Frankreich Julien Offray de La Mettrie.

Vgl. Locke, Essay, Zitat S. 266; Cumberland, Treatise, S. 523 f.; La Mettrie, Glück, S. 23; Zuckert, Republic, S. 73 – 85; McMahon, Pursuit, S. 314 – 333.

82 Die Verwendung der Begriffe »Arier« und »arisch« als Antithesen zu »Jude« und »jüdisch« wurde bereits von Zeitgenossen Hitlers zurückgewiesen. 1922 schrieb der Anthropologe Felix von Luschan: »Besonders verfehlt ist schließlich die in den letzten Jahren in Mode gekommene Anwendung des Wortes ›arisch‹ im Gegensatze zu ›jüdisch‹; wir werden bald sehen, daß die heutigen Juden somatisch [körperlich] sehr vielmehr [sic!] zu den alten Vorderasiaten als zu den Semiten gehören und daß sie in diesem Sinne die allernächsten Verwandten der Armenier sind, also ausgesucht gerade derjenigen Leute, die eine im engsten Sinne des Wortes arische Sprache reden.«

Im Gegensatz dazu galt antisemitischen Autoren die arische »Schöpferrasse« als Gegenpol zu den Juden: Der Journalist Édouard Drumont, einer der geistigen Väter des modernen Antisemitismus in Frankreich, schrieb 1886 in seinem Bestseller La France Juive (Das verjudete Frankreich): »Der Semit besitzt keine schöpferische Gabe; der Arier ist erfinderisch; vom Semitenthum geht nicht die geringste Entdeckung aus. Der Semit beutet die Erfindung des Ariers aus, organisiert und verwerthet sie, natürlich zu seinem Vortheil.« Ähnlich behauptete Adolf Wahrmund in Das Gesetz des Nomadentums und die heutige Judenherrschaft (1887), der Jude »erfindet nicht und arbeitet nicht«. Alfred Rosenberg meinte 1920 über jüdische Forscher: »Bei allem Wissen fehlte die geniale Intuition, die Schöpferkraft.« »Keine einzige schöpferische wissenschaftliche Idee«, so Rosenberg weiter, »ist einem jüdischen Kopfe entsprungen, nirgends hat er neue Wege gewiesen.« Mit ähnlichem Duktus verstieg sich Hitler in einer Rede auf einer NSDAP-Versammlung in Schleiz am 18. 1. 1927 zur Behauptung: »Unter Tausenden von Erfindern haben Sie nicht einen einzigen Juden, nicht einen einzigen.« Von Gegenargumenten, etwa Verweisen auf die unzähligen jüdischen Leistungen in Wissenschaft, Kunst und Kultur und auf die große Zahl jüdischer Nobelpreisträger, ließen sich Antisemiten nicht überzeugen. Hans F. K. Günther räumte zwar ein, dass es geistig bedeutende Juden gegeben habe; diese hätten aber »fast alle einen stärkeren Beisatz nordischen Blutes gehabt« und seien »Grenzfälle innerhalb des Judentums«.

Vgl. Hitler, Reden, Bd. II/1, Dok. 69, Zitat S. 134; Drumont, Frankreich, Bd. 1, Zitat S. 7; Rosenberg, Spur, Zitate S. 137 f. (Herv. i. Orig.); Hauser, Geschichte, S. 499; Luschan, Völker, Zitat S. 54; Günther, Rassenkunde (1923), Zitate S. 486; Bein, Antisemitismus, S. 350 f.; Denk, Konstruktion, S. 27, 45.

83 Der Glaube an die Auserwähltheit des jüdischen Volkes begründet sich im Alten Testament. So heißt es etwa im 2.  Buch Mose, Gott habe zu Mose gesprochen: »Wenn ihr nun auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, so sollt ihr unter allen Völkern mein Eigentum sein; denn mein ist die ganze Erde! Ihr sollt mir ein priesterliches Königtum sein und ein heiliges Volk!« Auch im Buch Jesaja wird dem Volk Israel prophezeit, dass Gott es »erkoren« habe. Dass dieser Glaube auch um die Jahrhundertwende noch eine gewisse Rolle spielte, zeigt das Beispiel des deutsch-jüdischen Historikers Heinrich Graetz, der in seiner Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart (1853 – 1875) die These von der »Einzigartigkeit« des Judentums vertrat – womit er ungewollt zu einem Kronzeugen für Antisemiten wurde, die sich immer wieder auf seine Aussage beriefen. Auch in der zionistischen Literatur wurde der Gedanke der jüdischen Auserwähltheit betont, um die Rückkehr der Juden in das »Heilige Land« zu legitimieren. So schrieb Bernhard Cohn, ein Mitbegründer der zionistischen Bewegung Berlins, im Jahr 1899: »Denn wir haben es garnicht nöthig, wie ein Aschenputtel abseits zu stehen in der Versammlung der Völker. Wir sind die Auserwählten: stolz dürfen wir das Haupt tragen und den Anspruch auf besondere Verehrung erheben.« Andere Zionisten wie Max Brod äußerten sich hingegen reflektierter und bescheidener: »Sie [die Juden] waren nur berufen, wenn nicht als die ersten so frühzeitig und in sehr gefährdeter Umgebung, für den Monotheismus Zeugnis zu geben. Unsere Umgebung ist aufs Neue gefährdet. Die Baalim [Schrecken] heißen heute: Rassentheorie, Imperialismus, materialistische Geschichtsauffassung usw. Unsere Berufung, an besonders gefährdeter Stelle auszuharren, scheint also fortzudauern. Dies und nur dies deutet die vielumstrittene Formel von unserer ›Auserwähltheit‹ an.« Völkische Autoren verwiesen immer wieder verächtlich auf den jüdischen Auserwähltheitsglauben und behaupteten, die Juden würden aus ihrer »Auserwähltheit« einen Weltherrschaftsanspruch ableiten, den sie mit einer weltumspannenden Verschwörung durchzusetzen versuchten. Im Gegenzug wollten sie einen eigenen Auserwähltheitsglauben etablieren, nämlich jenen an den göttlichen »Arier«. Bereits 1939 bemerkte der französische Autor Roger Morvilliers in seiner Untersuchung zu Hitlers Mein Kampf: »Uns scheint es ganz so, als wäre das neue auserwählte Volk, das eine göttliche Mission zu erfüllen hat, bestrebt, den Platz des alten auserwählten Volks einzunehmen. Daher müssen alle Konkurrenten beseitigt werden.« Von den Nationalsozialisten wurde die auf die Juden bezogene Bezeichnung »auserwähltes Volk« während der Shoa in zynischer Weise verwendet. SS-Gruppenführer Karl Wolff, Himmlers Adjutant, schickte am 13. 8. 1942 ein Telegramm an den Staatssekretär, Albert Ganzenmüller, in dem es um die Deportation der Juden aus dem Warschauer Ghetto ging. In diesem Schreiben heißt es: »Mit besonderer Freude habe ich von Ihrer Mitteilung Kenntnis genommen, daß nun schon seit vierzehn Tagen täglich ein Zug mit je 5000 Angehörigen des auserwählten Volkes nach Treblinka fährt und wir doch auf diese Weise in die Lage versetzt sind, diese Bevölkerungsbewegung in einem beschleunigten Tempo durchzuführen.«

Vgl. Cohn, Zeitfragen, Zitat S. 22 (Herv. i. Orig.); Eckart, Zwiesprache, S. 22; Meister, Schuldbuch (^3/41919), S. 160; Gorsleben, Überwindung, S. 39; Günther, Rassenkunde (1923), S. 481; Katholische Volksbibel (1925), Zitate S. 51, 541, Brod, Rassentheorie, Zitat S. 33; Morvilliers, Face, Zitat S. 177 f.; Hildebrand, Reichsbahn, Zitat S. 241; Zehnpfennig, Kampf (2000), S. 142 f.; Denk, Konstruktion, S. 40.  Zum Mythos des jüdischen Weltherrschaftsstrebens vgl. Kap. I/2, Anm. 219.

84 Indem Hitler hier »Volk« und »Rasse« gleichsetzte, ignorierte er die seinerzeit selbst unter völkischen Autoren zum Gemeingut gewordene Auffassung, die Juden seien zwar ein Volk, aber keine Rasse. So schrieb Jörg Lanz von Liebenfels, es sei »nicht zulässig«, von einer »jüdischen Rasse« zu sprechen. In Wirklichkeit seien die Juden eine »mediterranmongoloide Mischrasse« – wobei die These, die Juden seien eine »Mischrasse«, vor allem auf den Ethnografen Friedrich Müller zurückging. Eugen Fischer unterschied im Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene (1921) scharf zwischen »Volk« und »Rasse«; die Begriffe hätten »an und für sich nichts miteinander zu tun«. Und auch in Hans F. K. Günthers Rassenkunde des Deutschen Volkes (1922) heißt es: »Die Wissenschaft aber hat festzustellen, daß die Juden nicht eine Rasse […] bilden, sondern ein Volk. Das Judentum nämlich ist rassisch aus mehr einzelnen Rassen gebildet als irgend ein abendländisches Volkstum.« Und Felix von Luschan, einer der schärfsten Kritiker der damals kursierenden Rassenbegriffe, schrieb 1922: »Sowenig als es eine indogermanische oder ›arische‹ Rasse gibt, sowenig gibt es eine jüdische; es gibt auch keinen jüdischen Typus, sondern nur einen ganz allgemein orientalischen, an dem genau wie die Juden auch Griechen und Armenier und in geringerem Maße auch viele andere Vorderasiaten beteiligt sind.«

Befunde und Diskurse wie diese waren Hitler freilich gleichgültig, da sie sich nicht propagandistisch verwerten ließen. Die Vermengung der für ihn zentralen Kampfbegriffe »Rasse« und »Jude« lag dabei ganz in seiner Logik, die Kräfte propagandistisch möglichst auf einen Gegner zu konzentrieren. So entwickelten sich »Jude« und »jüdisch« letztendlich zu Chiffren für alles, was die Nationalsozialisten bekämpften. Laut einer Aufzeichnung des Unternehmers Eduard August Scharrer sagte Hitler bereits im Dezember 1922: »Kampf gegen das Judentum ist eines der Hauptmomente in der Orientierung der Massen der nationalsozialistischen Partei. Dieses Schlagwort kann nicht aufgegeben werden, denn dadurch wird erreicht, daß die Massen in jedem Gegner, der aufgezeigt wird, ihren Todfeind sehen und sich danach einstellen.«

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 452, Zitat S. 775; Lanz-Liebenfels, Einführung (Ostara Nr. 26), Zitat S. 2; Lanz-Liebenfels, Rassen-Psychologie, Bd. 1 (Ostara Nr. 40), Zitat S. 7; Fishberg, Rassenmerkmale, bes.S. 256, 258; Baur/ Fischer/ Lenz, Grundriß (1921), Bd. 1, Zitat S. 118; Luschan, Völker, Zitat S. 166 (Herv. i. Orig.); Günther, Rassenkunde (1923), Zitat S. 435 f. (Herv. i. Orig.); Gerhart, Abriß, S. 3, 5, 7; Efron, Defenders, S. 3; Massin, Virchow, S. 90; Gassert/ Mattern, Library, S. 125; Fuchs, Rasse, S. 149 f.

85 Hitlers Ideologie offenbart hier einen bezeichnenden Denkfehler: Wenn er die Juden als »zäheste« und anpassungsfähigste »Rasse« darstellt, müssten sie – und nicht die »Arier« – eigentlich die Sieger im »Kampf ums Dasein« im Sinn der Evolutionstheorie sein. Schon 1879 schrieb der Gründer der Antisemitenliga Wilhelm Marr, die »Gloire« des Judentums bestehe darin, »dass es 1800 Jahre lang der abendländischen Welt den siegreichsten Widerstand leistete. Alle übrigen Einwanderungen in Deutschland (z. B. die ›französischen Kolonien‹) sind spurlos im Germanenthum aufgegangen. […] Die semitische Race, stärker und zäher, hat sie Alle überlebt. Wahrlich! wäre [sic!] ich Jude, mein höchster Stolz würde mit Befriedigung auf diese Thatsache blicken.« Ferner schrieb Marr in »einer Stimmung der gründlichsten Verbitterung«: »Unser germanisches Element hat sich der [jüdischen] Fremdherrschaft gegenüber als leistungsunfähig, als kulturgeschichtlich machtlos erwiesen.« Deshalb gehöre dem Judentum »die Zukunft und das Leben, dem Germanenthum die Vergangenheit und das Sterben«. Auch aus der Sicht der damaligen Anthropologen hätten die »Arier« im natürlichen »Daseinskampf« unterliegen müssen, hieß es doch im Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene: »Die ererbten Rassenanlagen sind nicht mehr an die moderne Umwelt angepaßt, weil es eben eine ganz andere Umwelt war, in der sie gezüchtet wurden. Ohne besondere Schutzmaßnahmen verfallen daher vielfach gerade die tüchtigsten und schönsten Menschen der Ausschaltung von der Fortpflanzung. Auf diese Formel läßt sich alles Verhängnis der Rasse bringen.«

Vgl. Marr, Sieg, Zitate S. 22, 29, 37 f. (Herv. i. Orig.); Marr, Weg, Zitat S. 3; Baur/ Fischer/ Lenz, Grundriß (1921), Bd. 2, Zitat S. 36.

teilen läßt. Der gleiche Junge, dem bei# 1930: dem bei ersetzt durch: der den Tiraden eines »idealen« Pazifisten speiübel wird# 1930: speiübel wird ersetzt durch: verständnislos und ablehnend gegenübersteht , ist bereit, für das Ideal seines Volkstums das junge Leben hinzuwerfen.

Unbewußt gehorcht hier der Instinkt der Erkenntnis der tieferen# 1930: der tieferen ersetzt durch: in die tiefere;
1944: der tieferen Notwendigkeit der Erhaltung der Art, wenn nötig auf Kosten des einzelnen# 1926: einzelnen ersetzt durch: Einzelnen;
1930: einzelnen , und protestiert gegen die Phantasterei des pazifistischen Schwätzers, der in Wahrheit als wenn auch geschminkter, so doch feiger Egoist wider die Gesetze der Entwicklung verstößt; denn diese ist bedingt durch die Opferwilligkeit des einzelnen# 1926: einzelnen ersetzt durch: Einzelnen;
1930: einzelnen zugunsten der Allgemeinheit und nicht durch krankhafte Vorstellungen feiger Besserwisser und Kritiker der Natur.

Gerade in Zeiten, da nun# 1926: da nun ersetzt durch: in denen die ideale Gesinnung zu verschwinden droht, können wir deshalb auch sofort ein Sinken jener Kraft erkennen, die die Gemeinschaft bildet und so der Kultur die Voraussetzungen schafft. Sowie erst der Egoismus zum Regenten eines Volks# 1933: Volks ersetzt durch: Volkes wird, lösen sich die Bande der Ordnung, und im Jagen nach dem eigenen Glück81 stürzen die Menschen aus dem Himmel erst recht in die Hölle.

Ja selbst die Nachwelt vergißt der# 1937: der ersetzt durch: die;
1939: der;
1944: die Männer, die nur dem eigenen Nutzen dienten, und rühmt die Verzichter# 1930: Verzichter ersetzt durch: Helden, welche auf eigenes Glück als Helden# 1930: als Helden ersetzt durch: verzichteten .

Den gewaltigsten Gegensatz zum Arier bildet der Jude.82 Kaum bei# 1930: Kaum bei ersetzt durch: Bei kaum einem Volke der Welt ist der Selbsterhaltungstrieb stärker entwickelt als beim sogenannten »auserwählten«# 1926: »auserwählten« ersetzt durch: auserwählten .83 Als bester Beweis hierfür darf die einfache Tatsache des Bestehens dieser Rasse allein schon gelten.84 Wo ist das Volk, das in den letzten zweitausend Jahren so wenigen Veränderungen der inneren Veranlagung, des Charakters usw. ausgesetzt gewesen wäre als das jüdische? Welches Volk endlich hat größere Umwälzungen mitgemacht als dieses – und ist dennoch immer als dasselbe aus den gewaltigsten Katastrophen der Menschheit hervorgegangen? Welch ein unendlich zäher Wille aber# 1926: gestrichen: aber zum Leben, zur Erhaltung der Art# 1939: Art ersetzt durch: Arbeit;
1944: Art spricht nicht# 1926: gestrichen: nicht aus diesen Tatsachen!85