Aufbau der Bewegung <span class="pagenumber">[243]</span>

70 Aufgrund ihres Wachstums musste die NSDAP ihre Geschäftsstelle am 7. 11. 1921 in die Corneliusstraße 12 verlegen. Laut Mietvertrag zwischen der NSDAP/NSDAV und Friedrich Grau vom 20. 10. 1921 handelte es sich bei dem Parteilokal um die »als Gastwirtschaft eingerichteten Räumlichkeiten des Hauses Corneliusstraße 12, bestehend aus Gastlokal, Nebenzimmer, Küche, Schenke und Kloset[t] sowie einem Kellerabteil«; der jährliche Mietpreis betrug 20.000 Mark. Bereits im November 1922 gab die NSDAP bekannt, »die Hauptgeschäftsstelle der Partei in München« sei »wegen Geschäftsüberlastung« für die Öffentlichkeit nur noch nachmittags geöffnet. Bis zu ihrem Verbot am 9. 11. 1923 blieb dort das Hauptquartier der NSDAP. Hitler verschweigt hier übrigens den Büroraum, den die NSDAP am 1. 9. 1923 zusätzlich zum Büro in der Corneliusstraße bei Major a. D. Alfred Ferber in der Steinsdorfstraße 14/0 anmietete. Wie die Polizei vermutete, diente das Büro »besonderen Zwecken«, wahrscheinlich zur Vorbereitung des Putsches im November 1923: Im Mietvertrag war ein »Parteiverkehr« ausdrücklich ausgeschlossen; außerdem wurde zeitgleich, am 1. 9. 1923, der Deutsche Kampfbund gegründet. Hitler dürfte Ferber aus seiner Zeit als Soldat gekannt haben; in der Zeit vom 1. 12. 1916 bis 1. 3. 1917 war Hitler aufgrund einer Verwundung dem Ersatzbataillon des 2. Infanterie-Regiments in München zugeteilt. Ferber war seitdem 8. 10. 1916 ebenfalls Angehöriger dieses Bataillons und wurde dort am 25. 11. 1916 zum Major befördert.

Vgl. BayHStA, Kriegsarchiv, OP 572; StA München, Polizeidirektion München 6721: Mietvertrag zwischen dem NSDAV e. V. und Friedrich Grau vom 20. 10. 1921 (Abschrift) sowie Unterlagen zum Büro der NSDAP in der Steindorfstraße 14/0; VB vom 11. 11. 1922, »Aus der Bewegung«; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 306, 317; Dresler (Hrsg.), Dokumente, S. 89, 126; Weyerer, München, S. 35 f., 97 ff.; München. »Hauptstadt der Bewegung«, S. 352; Joachimsthaler, Weg, S. 209 – 211; Plöckinger, Soldaten, S. 28 f.

72 Vorgänger des Völkischen Beobachters war der Münchener Beobachter, ein antipreußisch und antisemitisch ausgerichtetes Regionalblatt. Gegründet am 2. 1. 1887, dürfte seine Auflagenhöhe 2.000 Exemplare kaum überschritten haben. Im März 1900 übernahm der Münchner Redakteur Franz Eher Blatt und Verlag, den er am 6. 12. 1901 unter der Bezeichnung Franz Eher Verlag handelsgerichtlich eintragen ließ. Eher betonte damals die »Unparteilichkeit« der Redaktion, faktisch aber vertrat das kleine Blatt völkische Positionen. Seit Juli/August 1918, nach Ehers Tod, führte Adam Alfred Rudolf Glauer alias Rudolf von Sebottendorf als Vorsitzender der nationalistisch-antisemitischen Thule-Gesellschaft den Verlag, der dann am 30. 9. 1919 in eine GmbH umgewandelt wurde, um einen drohenden Konkurs zu verhindern. Seit dem 9. 8. 1919 erschien das skandalumwitterte Blatt mit einem Teil seiner Auflage, seit dem 3. 1. 1920 dann insgesamt als Völkischer Beobachter. Mit einer Auflage von etwa 11.000 Exemplaren war es damals das einflussreichste Organ der völkischen Szene Münchens. Auf Drängen von Dietrich Eckart erwarb die NSDAP am 17. 12. 1920 für 120.000 Mark den finanziell maroden Verlag. Die Quellen dieses Gelds sind ungeklärt; 60.000 Mark hatte die NSDAP vermutlich über General Franz Ritter von Epp erhalten. Eine Bürgschaft in unbekannter Höhe übernahm Hitlers früher Mentor, Dietrich Eckart. Einziger Gesellschafter war nun der Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Verein e. V., dessen Geschäftsführer damals noch Anton Drexler war, ab dem 29. 7. 1921 dann Hitler selbst. Am 16. 11. 1921 gab Hitler vor dem Registergericht München an, dass er in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des NSDAV e. V. sämtliche Anteile des Verlags besitze.

Vgl. IfZ-Archiv, ED 579: Gutachten über die gegenwärtige rechtliche Situation des Eher-Verlages und seiner Beteiligungen, 1920 – 1950, vom 1. 3. 1949; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 412; Dresler, Geschichte, S. 21 – 79; Dresler, Beobachter; Sidman, Auflagen-Kurve; Hoser, Hintergründe, Bd. 1, S. 120 – 126; Asmuss, Republik, S. 39 – 43; Tavernaro, Verlag, S. 18 – 36; Kap. II/15, Anm. 113.

75 Verleumdungsprozesse und Verbote, auf die Hitler vermutlich hier anspielt, stellten die Zeitung immer wieder vor große finanzielle Probleme, so etwa im Sommer 1921. Damals wurde der Völkische Beobachter für insgesamt sieben Wochen verboten, »da sich die Schriftleitung trotz vorheriger Warnung unter Androhung des Erscheinungsverbotes nicht dazu herbeilassen konnte, die ausfällige Hetze im Blatte einzudämmen«. Ein weiteres Problem war der häufige Wechsel auf dem Posten des Chefredakteurs, den beim Völkischen Beobachter zwischen Mai 1919 und November 1923 insgesamt neun Personen innehatten.

Vgl. StA München, Polizeidirektion München 6708: Polizeidirektion München, Bericht vom 23. 9. 1921; Hale, Presse, S. 25 – 31; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 411; Hoser, Tagespresse, Bd. 1, S. 120 – 126, 1091.

77 Die organisatorische Heterogenität und Kleinräumigkeit sowie weltanschauliche Enge des rechtsradikal-völkischen Spektrums fand ihre Entsprechung in einer Presselandschaft, die zwar aus einer relativ großen Zahl an Periodika bestand, deren Leserkreis aber meist eng begrenzt blieb. Zuweilen definierten sich Organisationen über die Lesergemeinde einer bestimmten Zeitschrift. Einen Eindruck über diese Presselandschaft vermittelt eine zeitgenössische Druckschrift, die eigentlich über die Struktur der »jüdischen Presse« informieren wollte. Ihr Verfasser, Theodor Fritsch, gab darin aber auch einen Überblick über die völkischen Blätter. Sein Verfahren war denkbar einfach; er teilte die deutsche Presselandschaft schlicht in zwei Gruppen: auf der einen Seite die angeblich »Jüdischen, judenfreundlichen und unvölkischen« Zeitungen und Zeitschriften, auf der anderen Seite die »Deutschen und deutschvölkischen Tageszeitungen« sowie die »Völkischen und nationalen Zeitschriften«. Bei den Tageszeitungen, die Fritsch als »ausgesprochen deutsch-völkisch und judengegnerisch« charakterisierte, sind insgesamt 27 Blätter aufgeführt, vom Berliner Blatt bis zur Zwickauer Zeitung. Bei den »politischen Zeitschriften« werden sogar 61 genannt, beginnend mit den Alldeutschen Blättern bis hin zu Der Weihwart. Bei den »Zeitschriften für Literatur, Kunst, Erziehung u. a. « sind es schließlich 49 Blätter, beginnend mit dem Akademikus bis zu Wir Schlesier!. Allerdings waren völkische Positionen mitunter auch in eher nationalkonservativen Blättern zu finden, wie sie etwa in hoher Auflage der Scherl-Verlag publizierte.

Vgl. Fritsch, Zeitungs-Polyp, S. 10 – 24; Mohler, Revolution, S. 285 – 307; Holzbach, System, S. 290 – 293.

erfolgte also nicht, um die großen Gelder zu deponieren, die wir damals etwa besessen hätten. Im Gegenteil, es war alles unendlich ärmlich, und ich habe oft von meinen kleinen Ersparnissen zugesetzt.69

Eineinhalb Jahre später war die Geschäftsstelle zu klein und es erfolgte der Umzug in das neue Lokal an der Corneliusstraße.70 Wieder war es eine Wirtschaft, in die wir zogen, allein wir besaßen nun nicht mehr bloß einen Raum, sondern bereits drei Räume und einen großen Schalterraum dazu. Damals kam uns das schon als viel vor. Hier blieben wir bis zum#1944: gestrichen: zum November 1923.71

Im Dezember 1920 erfolgte die Erwerbung des »Völkischen Beobachters«.72 Dieser, der schon seinem Namen entsprechend im allgemeinen für völkische Belange eintrat, sollte nun zum Organ der N.S.D.A.P. umgestaltet#1933: umgestaltet ersetzt durch: umgestellt werden. Er erschien erst wöchentlich zweimal73, wurde anfangs#1944: anfangs ersetzt durch: Anfang 1923 Tageszeitung und erhielt Ende August 1923 sein später bekanntes großes Format.74

Ich habe damals als vollständiger Neuling auf dem Gebiete des Zeitungswesens auch manches schlimme Lehrgeld bezahlen müssen.75

An sich mußte einem die Tatsache, daß gegenüber der ungeheuren jüdischen Presse76 kaum eine einzige wirklich bedeutende völkische Zeitung bestand, zu denken geben.77 Es lag dies, wie ich dann in der Praxis unzählige Male selber feststellen konnte, zu einem sehr großen Teil an der wenig geschäftstüchtigen Aufmachung der sogenannten völkischen Unternehmungen überhaupt. Sie wurden viel zu sehr nach dem Gesichtspunkt#1937: Gesichtspunkt ersetzt durch: Gesichtspunkte;
1939: Gesichtspunkt geführt, daß Gesinnung vor die Leistung zu treten hätte. Ein ganz falscher Standpunkt, insofern die Gesinnung ja nichts Äußerliches sein darf, sondern geradezu ihren schönsten Ausdruck in der Leistung findet. Wer für sein Volk wirklich Wertvolles schafft, bekundet damit eine ebenso wertvolle Gesinnung, während ein anderer, der bloß Gesinnung heuchelt, ohne in Wirklichkeit seinem Volke nützliche Dienste zu verrichten, ein Schädling jeder wirklichen Gesinnung ist. Er belastet auch die Gemeinschaft#1937: eingefügt: mit; 1939: wieder gestrichen: mit; 1944: wieder eingefügt: mit seiner Gesinnung.

Auch der »Völkische Beobachter« war, wie schon der Name sagt, ein sogenanntes »völkisches« Organ mit all den Vorzügen und noch mehr Fehlern und Schwächen, die den völkischen Einrichtungen