Kampf gegen das »Zentrum« <span class="pagenumber">[213]</span>

82 Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung beider christlichen Konfessionen hütete sich Hitler vor einem Konflikt mit den Kirchen. Im Gegensatz zu einer ganzen Reihe völkischer Ideologen, welche die Christianisierung der germanischen Stämme gewissermaßen als »Sündenfall« der deutschen Geschichte verstanden, versuchte Hitler durch mitunter abenteuerliche Konstruktionen, den klaren Widerspruch zwischen seiner Weltanschauung und der Botschaft der christlichen Religion zu kaschieren. So propagierte er in einer Rede am 8. 12. 1922 die Idee eines »positiven« Christentums, welches »nicht das Christentum« sei, das »verlangt, daß man sich nach dem ersten Hieb noch andere auf den Schädel hauen lasse«. Am 18. 12. 1926 behauptete er öffentlich: »Die Lehre Christi sei für Jahrtausende grundlegend gewesen für den Kampf gegen den Juden als Feind der Menschheit. Das Werk, welche Christus angefangen habe, aber nicht beenden konnte, werde er (Hitler) zu Ende führen. Der Nationalsozialismus sei nichts anderes als eine praktische Befolgung der Lehre Christi.« Andere Protagonisten der NS-Ideologie machten hingegen aus ihrer klaren Feindschaft gegenüber dem Christentum kein Geheimnis. Das galt – anders als von Hitler behauptet – auch schon für die Zeit »bis zum Herbst 1923«. So war Alfred Rosenberg, der sich bereits 1919 für eine staatlich gelenkte Unterdrückung der katholischen Kirche ausgesprochen hatte und dessen 1930 erschienene Schrift Der Mythus des 20. Jahrhunderts vom Vatikan indiziert werden sollte, seit Februar 1923 Chefredakteur des Völkischen Beobachters. Dass diese Zeitung einen Monat nach Rosenbergs Amtsantritt schrieb, das Christentum sei aus dem »verfaulenden römischen Weltreiche« hervorgegangen und »eine Religion des Duldens, Leidens und Ertragens«, ist sicherlich kein Zufall. Julius Streicher, seit Oktober 1922 Ortsgruppenleiter der NSDAP in Nürnberg, witterte im Christentum und insbesondere in der katholischen Kirche das Werk jüdischer Verschwörung. Ferner bestanden seit Frühjahr 1923 Kontakte zwischen Hitler und Artur Dinter, der schon bald zu einem der prononciertesten Vertreter eines »artgemäßen Glaubens« werden sollte. Charakteristisch für die Phase im Vorfeld des Hitler-Putschs war schließlich auch Hitlers enge Kooperation mit Erich Ludendorff. Schon damals befand sich dieser »in völliger Abhängigkeit« von den Vorstellungen seiner späteren Frau, Mathilde von Kemnitz, »die in unermüdlichen Kampf gegen das verjudete Christentum beider Konfessionen eine neue deutsche ›Gottschau‹ zu begründen versuchte«.

Vgl. VB vom 30. 3. 1923, »Deutscher Karfreitag«; Rosenberg, Mythus; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 437, Zitat S. 756; Hitler, Reden, Bd. II/1, Dok. 59, Zitat S. 106; Lenman, Streicher, bes.. S. 133; Scholder, Kirchen, Bd. 1, S. 110 – 123, Zitat S. 114; Rißmann, Gott; Hastings, Movement; Steigmann-Gall, Reich; Piper, Rosenberg, S. 29 – 96; Hastings, Catholicism; Tomberg, Christentum.

83 Im Grunde handelt es sich auch bei dieser Passage aus Mein Kampf um eine Darstellung der Geschichte, wie Hitler sie gerne gehabt hätte. In einem programmatischen Artikel anlässlich der Wiedergründung der NSDAP betonte Hitler am 26. 2. 1925 noch einmal, »daß in der neu erweckten Nat.SDAP die Angehörigen beider Konfessionen friedlich nebeneinander zu leben vermögen, um im gemeinsamen Kampfe gegen die Macht zu stehen, die der Todfeind jedes wahrhaftigen Christentums ist«. Genau diesen Eindruck einer religiösen Toleranz versucht Hitler an dieser Stelle auf die Geschichte der NSDAP zurück zu projizieren. Angesichts des quasi religiösen Absolutheitsanspruchs, den die NS-Ideologie gegenüber ihren Anhängern vertrat, waren solche Zugeständnisse rein taktischer Natur.

Vgl. Hitler, Reden, Bd. I, Dok. 1, Zitat, S. 3. Zur vermeintlichen Toleranz Hitlers gegenüber der christlichen Religion vgl. Kap. I/10, Anm. 210; Kap. II/1, Anm. 27; Kap. II/14, Anm. 51.

85 Die politischen Gegner der Völkischen ließen es sich natürlich nicht entgehen, deren törichte antichristliche Provokationen aufzugreifen. So konnte sich der sozialdemokratische Vorwärts am 1. 3. 1924 in seiner Kritik an Ludendorff auf Konkurrenzblätter wie die katholische Germania und die nationalkonservative Kreuzzeitung berufen. Am 18. 3. 1924 berichtete der Vorwärts über die Auseinandersetzungen zwischen Ludendorff und dem Kardinal Michael von Faulhaber während des Hitler-Prozesses. Auch die Münchener Post beschäftigte sich mit dem Streit im völkischen Lager und kommentierte am 31. 3. 1926 genüsslich: »Ludendorff lässt in seinem Wochenblättchen die ›Arbeiterpartei‹ heftig angreifen. Adolf sei heute ›Vorkämpfer für vatikanische Weltpolitik‹. Er sei, ein gerissener Zerstörer der deutschen Volksgemeinschaft, der erfolgreichste Spaltpilz in der völkischen Bewegung‹. Antisemit ist der Braunauer allerdings schon lange nicht mehr, seit er ›das Genie‹ des Paralytikers Mussolini […] in den Himmel hebt. Sollte er’s aber wirklich mit den Schwarzen halten? Der ›völkische‹ Antrag im Landtag auf Einschränkung der unsittlichen Tanzerei könnte so gedeutet werden. […]. Aber das mit der Schwarzen Politik Adolfs kann trotzdem nicht stimmen. Sonst würde doch der Bayerische Kurier, das leitende klerikale ›Pressepapier‹ […] nicht entrüstet aufmerksam machen, daß Adolf heute schon wieder so kräftig auf die bayerische ›Staatsautorität‹ spucken darf, daß er in der letzten Streicher-Versammlung ›entgegen dem Redeverbot‹ selber das Wort ergriffen habe.«

Vgl. Vorwärts vom 1. 3. 1924, »Ludendorff der ›Rührende‹. Selbst die ›Kreuzzeitung‹ gibt ihn preis. Vernehmung des Hauptmanns Röhm«; vom 18. 3. 1924, »Ludendorffs politische Träume. Gegen Faulhaber und die Katholiken – Ludendorffs Diktaturgelüste im Kriege. Hitlers Marsch auf Berlin«; Münchener Post vom 21. 1. 1925, »Das ›vaterländische‹ Durcheinander«; vom 31. 3. 1926, »Völkische ›Enthüllungen‹« (Zitat).

86 Anspielung auf die Konfessionskriege zwischen Protestanten und Katholiken im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts, die im Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) ihren Höhepunkt fanden. Vordergründig ein Konflikt um die religiöse sowie politische Hegemonie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, entwickelte sich der Dreißigjährige Krieg zu einer internationalen Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in Mitteleuropa. Diese tief greifende Zäsur sollte Deutschland dauerhaft schwächen: Der Westfälische Friede machte die Eidgenossenschaft und die Niederlande vom Reich unabhängig und sicherte Großmächten wie Frankreich und Schweden territoriale »Einfallstore« im Reich. Angesichts der politischen Schwäche des Reichs konnte sich hier eine Kolonialpolitik nicht entwickeln. Sieht man einmal ab von der Zeit Karls V., in der sich die Herrschaft über das Heilige Römische Reich und über das Königreich Spanien mit seinen Kolonien in einer Hand vereinigte, so traten deutsche Länder im Vergleich zu ihren europäischen Nachbarn bis zum Ende des 19. Jahrhunderts so gut wie nicht als Kolonialmächte in Erscheinung. Die wenigen Initiativen blieben kurze Episoden – so etwa die Welser-Kolonie in Venezuela (1528 – 1545), die Kolonie »Neukurland«, die das Herzogtum Kurland auf Tobago in der Karibik und an der westafrikanischen Küste umfasste (1654 – 1659, 1660 – 1693), der Versuch der Brandenburgisch-Africanischen Compagnie, in Westafrika eine kurbrandenburgische Kolonie aufzubauen (1683 – 1717), und schließlich die Versuche der Ostindischen Kompanie und der Triester Handelskompanie, im Auftrag Österreichs während des 18. Jahrhunderts Stützpunkte in Ostafrika und Südasien einzurichten.

Vgl. Anderson, Couronians; Randa, Österreich; Walter, Traum; Heyden, Adler; Schmidt, Krieg; Hartmann/ Schuller (Hrsg.), Krieg. Zur Deutung des Dreißigjährigen Kriegs aus völkischer Sicht vgl. Kap. II/2, Anm. 37.

Bewegung in den Dienst solcher Kämpfe zu stellen, schärfstens Front zu machen und die Propagandisten einer solchen Absicht augenblicklich aus den Reihen der Bewegung zu entfernen. Tatsächlich war dies#1930: dies ersetzt durch: es auch bis zum#1930: gestrichen: zum Herbst 1923 restlos gelungen.82 Es konnte in den Reihen unserer Bewegung der gläubigste Protestant neben dem gläubigsten Katholiken sitzen, ohne je in den geringsten Gewissenskonflikt mit seiner religiösen Überzeugung geraten zu müssen.83 Der gemeinsame gewaltige Kampf, den die beiden gegen den Zerstörer der arischen Menschheit führten, hatte sie im Gegenteil gelehrt, sich gegenseitig zu achten und zu schätzen. Und dabei hat gerade in diesen Jahren die Bewegung den schärfsten Kampf gegen das Zentrum ausgefochten, allerdings nie aus religiösen, sondern ausschließlich aus national-, rasse- und wirtschaftspolitischen Gründen.84 Der Erfolg sprach damals genau so für uns, wie er heute gegen die Besserwisser zeugt.

Es ist in den letzten Jahren manchmal so weit gekommen, daß völkische Kreise in der gottverlassenen Blindheit ihrer konfessionellen Auseinandersetzungen den Wahnsinn ihres Handelns nicht einmal daraus erkannten, daß atheistische Marxistenzeitungen nach Bedarf plötzlich Anwälte religiöser Glaubensgemeinschaften wurden, um durch Hin- und Hertragen#1937: Hin- und Hertragen ersetzt durch: Hinundhertragen;
1939: Hin- und Hertragen;
1944: Hinundhertragen von manchmal wirklich zu dummen Äußerungen die eine oder die andere Seite zu belasten und das Feuer dadurch zum äußersten zu schüren.85

Gerade bei einem Volk#1944: Volk ersetzt durch: Volke;
1944: Volk aber, das, wie das deutsche, in seiner Geschichte schon so oft bewiesen hat, daß es imstande ist, für Phantome Kriege bis zum Weißbluten zu führen, wird jeder solche Kampfruf todgefährlich sein. Immer wurde dadurch unser Volk von den wirklich realen Fragen seines Daseins abgelenkt. Während wir in religiösen Streitigkeiten uns verzehrten, wurde die andere Welt verteilt.86 Und während die völkische Bewegung überlegt, ob die ultramontane Gefahr größer ist als die jüdische oder umgekehrt, zerstört der Jude die rassischen Grundlagen unseres Daseins und vernichtet dadurch unser Volk für immer.87 Ich kann, was diese Art von »völkischen« Kämpfern betrifft, der nationalsozialistischen Bewegung und damit auch dem deutschen Volke aus aufrichtigstem Herzen