Erziehungsgrundsätze des völkischen Staats <span class="pagenumber">[42]</span>

79 Mit seiner klaren Akzentuierung der körperlichen Erziehung vor der Charakterbildung befand sich Hitler im Widerspruch zu nahezu allen pädagogischen Traditionen der Neuzeit. Selbst sein Parteigenosse Gottfried Feder gewichtete die sittlich-charakterliche Erziehung höher als die körperliche. Eine »Uebertreibung der Leibesübung« schien Feder für die »Entwicklung des Volkes zu höherer Kultur […] eher abträglich«. Die »Sportfanatiker«, die »nur mehr den Fußball-Matsch [sic!] vom nächsten Sonntag im Kopf« hätten, seien »für den völkischen Gedanken einer Kultur- und Schicksalsgemeinschaft verloren«. Gleichwohl lassen sich durchaus Vorläufer zu Hitlers Denken festmachen. 1917 stellte etwa der Erlanger Professor für Klassische Philologie und Gymnasialpädagogik Otto Stählin, der sich 1914 als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte, die »körperliche Erziehung« an die »erste Stelle« der »deutschen Erziehungsaufgaben«. »Gesundheit, Kraft und Widerstandsfähigkeit des Körpers«, so Stählin vor dem Hintergrund seiner eigenen Kriegserfahrung, seien die unentbehrliche »Grundlage und Voraussetzung für alles andere«.

Vgl. Stählin, Erziehungsaufgaben, Zitat S. 59; Feder, Staat (1924), S. 188.

81 Ein Erlass des Reichserziehungsministers zur »Schülerauslese« an höheren Schulen vom 27. 3. 1935 suchte diesen Grundsatz zu verwirklichen. Demnach sollten »Jugendliche mit schweren Leiden, […] deren Behebung nicht zu erwarten« sei, ebenso wie »Träger von Erbkrankheiten« prinzipiell von der höheren Schule ausgeschlossen bleiben. Zugleich bestimmte der Erlass, dass ein »dauerndes Versagen bei den Leibesübungen«, das sich »vor allem in Mangel an Willen zu körperlicher Härte und Einsatzbereitschaft« zeige, den Verweis von der Schule zur Folge haben müsse. Geistige Leistungen wurden als Zugangskriterium für höhere Schulen hingegen relativiert: Bei »mangelhafte[n] geistige[n] Leistungen« der Schüler seien deren »körperliche und charakterliche Fähigkeiten voll mitzuwerten«. Besaß der Schüler »hervorragende Führereigenschaften«, sollte »besonders wohlwollend […] verfahren« werden. »Gute rein verstandesmäßige Leistungen« durften hingegen »nicht als Ausgleich charakterlicher Mängel angesehen werden«.

Vgl. Fricke-Finkelnburg (Hrsg.), Nationalsozialismus, Zitate S. 93 – 96.

der Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. Hier aber wieder an der Spitze die Entwicklung des Charakters, besonders die Förderung der Willens- und Entschlußkraft, verbunden mit der Erziehung zur Verantwortungsfreudigkeit, und erst als Letztes#1937: Letztes ersetzt durch: letztes die wissenschaftliche Schulung.79

Der völkische Staat muß dabei von der Voraussetzung ausgehen, daß ein zwar wissenschaftlich wenig gebildeter, aber körperlich gesunder Mensch mit gutem, festem Charakter, erfüllt von Entschlußfreudigkeit und Willenskraft, für die Volksgemeinschaft80 wertvoller ist als ein geistreicher Schwächling.81 Ein Volk von Gelehrten wird, wenn diese dabei körperlich degenerierte, willensschwache und feige Pazifisten sind, den Himmel nicht erobern, ja nicht einmal auf dieser Erde sich das Dasein zu sichern vermögen. Im schweren Schicksalskampf unterliegt selten#1944: eingefügt: der, der am wenigsten weiß, sondern immer derjenige, der aus seinem Wissen die schwächsten Konsequenzen zieht und sie am kläglichsten in die Tat umsetzt. Endlich muß auch hier eine bestimmte Harmonie vorhanden sein. Ein verfaulter Körper wird durch einen strahlenden Geist nicht im geringsten ästhetischer gemacht, ja, es ließe sich höchste Geistesbildung gar nicht rechtfertigen, wenn ihre Träger gleichzeitig körperlich verkommene und verkrüppelte, im Charakter willensschwache, schwankende und feige Subjekte wären. Was das griechische Schönheitsideal unsterblich sein läßt, ist die wundervolle Verbindung herrlichster körperlicher Schönheit mit strahlendem Geist und edelster Seele.

Wenn der Moltkesche Ausspruch: »Glück hat auf die Dauer doch nur der Tüchtige«82 Geltung besitzt, so sicherlich für das Verhältnis von Körper und Geist: Auch der Geist wird, wenn er gesund ist, in der Regel und auf die Dauer nur in gesundem [sic!] Körper wohnen.

Die körperliche Ertüchtigung ist daher im völkischen Staat nicht eine Sache des einzelnen, auch nicht eine Angelegenheit, die in erster Linie die Eltern angeht und die erst in zweiter oder dritter die All-