Die Forderungen hierzu <span class="pagenumber">[362]</span>

63 In Wirklichkeit schlossen diese beiden Ansätze einander nicht aus. Die NSDAP begann bereits 1922/23 und erneut nach ihrer Neugründung im Februar 1925, immer mehr konkurrierende völkische Gruppen und Parteien zu absorbieren. Entscheidend dabei war, dass sich Hitler bei diesem Prozess auf keinerlei Kompromisse einließ. Eine Zäsur bildete der Übertritt von Ernst Graf zu Reventlow und einiger anderer völkischer Aktivisten aus Norddeutschland zur NSDAP am 10. 2. 1927. Damit begann der Niedergang der Deutschvölkischen Freiheitspartei, der wichtigsten völkischen Konkurrenzpartei, sodass die NSDAP nun auch verstärkt in den Norden ausgreifen konnte. Dies machte sich bei der Reichstagswahl vom 20. 5. 1928 bemerkbar: Die NSDAP blieb mit 2,6 % der Stimmen nur knapp unter dem Ergebnis vom Dezember 1924, als sie in einer völkischen Listenverbindung angetreten war, konnte nun also den Großteil des völkischen Wählerpotenzials alleine auf sich vereinigen.

Entgegen Hitlers Forderung errang die NSDAP ihre ersten Wahlerfolge nicht im Arbeitermilieu, sondern unter Studenten und in ländlichen Gebieten, die gerade nicht als »antinational« zu bezeichnen sind: Bei den Studentenvertretungswahlen 1928/29 erhielten die Nationalsozialisten etwa 12 %, an manchen Universitäten sogar die absolute Mehrheit; bei der Reichstagswahl 1928 stachen Ergebnisse von bis zu 18 % in einigen ländlich geprägten Regionen Schleswig-Holsteins hervor, in denen die NS-Propaganda zuvor intensiv gewirkt hatte. Der Anteil der Arbeiter an der Wählerschaft der NSDAP bewegte sich demgegenüber bei reichsweiten Wahlen bis 1933 zwischen 27 % und 32 % und war damit noch immer unterdurchschnittlich, wenn auch mit beträchtlichen regionalen und milieubedingten Unterschieden.

Vgl. Wulff, Freiheitspartei, S. 150 – 158, 164 f.; Falter/ Hänisch, Anfälligkeit, bes.S. 215 f.; Falter/ Lindenberger/ Schumann, Wahlen, S. 41 – 43, 51; Grüttner, Studenten, S. 21 f., 54; Döring, Arm, S. 84 – 87; Danker/ Schwabe, Schleswig-Holstein, S. 20; Breuer, Völkischen, S. 242 – 244; Kolb/ Schumann, Republik, S. 119; Ullrich, Hitler, Bd. 1, S. 245 f.

64 Die NS-Propaganda wurde bis 1923 nur in einem sehr begrenzten Ausmaß zentral gesteuert. Nachdem Hitler im Sommer 1921 zum unumschränkten Parteiführer aufgestiegen war, bemühte er sich um ein einheitlicheres Auftreten der NSDAP. Dabei musste den Ortsgruppen in einem Rundschreiben sogar die Gestaltung der Parteifahne erläutert werden: »Die Parteiflaggen sind rechteckige Fahnen im Verhältnis von 2:3 mit großer eingenähter weißer Scheibe, in dieser schwarzes Hakenkreuz [sic!]. Ortsgruppen, die noch nicht im Besitz eines Musters sind, erhalten auf Anforderung von der Parteileitung eine Zeichnung.« Hermann Esser wurde zum ersten Propagandaleiter ernannt, gleichzeitig wurden auch ein parteiinterner Nachrichtendienst und ein Parteiarchiv eingerichtet, um zumindest einen Überblick über die Geschehnisse in der Partei zu bekommen. Flugblätter wurden spätestens seit Herbst 1921 von der Parteileitung zentral hergestellt und im Großraum München auch koordiniert verteilt.

Weitgehend unkoordiniert waren hingegen die Inhalte der öffentlichen Versammlungen. Hier vertrat jeder Redner seine eigenen Vorstellungen. Neben Hitler waren vor allem Hermann Esser, Gottfried Feder, Alfred Rosenberg und Anton Drexler, aber auch weniger bekannte Parteimitglieder wie Oskar Körner aktiv. Auch wenn antisemitische und antimarxistische Inhalte bei allen dominierten, blieben die Themen ihrer Reden doch recht heterogen. Hitler entwickelte im Oktober 1922 zwar umfangreiche Pläne zum Ausbau und zur Koordinierung der Propaganda, umgesetzt werden konnte – abgesehen von der Umwandlung des Völkischen Beobachters in eine Tageszeitung – jedoch nur wenig. Nach der Neugründung der NSDAP im Februar 1925 entwickelte sich in der Partei rasch eine Auseinandersetzung um die von Hitler geforderte zentrale Leitung der Propaganda – ein Konflikt, der durch das gegen ihn verhängte Redeverbot verschärft wurde. Die Erfahrungen bei den Wahlkämpfen zur Reichspräsidentenwahl im Frühjahr 1925, in denen Hitler zunächst Ludendorff, dann Hindenburg unterstützt hatte, legten die vorhandenen Defizite offen und ließen Hitler auf seinen zentralistischen Forderungen beharren.

Vgl. StA München, Pol. Dir. 6664: Polizeiprotokoll vom 4. 10. 1921; StA München, Pol. Dir. München 6721; Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 290, 300, 306, 317, 411, Zitat S. 483; Paul, Aufstand, bes.S. 59 – 63; Rösch, NSDAP, S. 114 f., 139 – 141.

65 Zweifellos sah sich Hitler als eine solche Ausnahmeerscheinung. Dieses Bild wurde auch nach außen propagiert. Immer wieder behauptete der Völkische Beobachter, dass sich das Publikum bei Hitlers Reden aus allen Bevölkerungsgruppen zusammensetze, so etwa bei einer Versammlung am 20. 4. 1923: »Das sind nicht Parteimitglieder, Neugierige, die zu einer politischen Versammlung […] ziehen, das ist eine Volksbewegung, die von einem und demselben Gedanken getragen, von demselben Gefühl zu leidenschaftlicher Ekstase aufgepeitscht wird!« Auch Rudolf Heß erklärte in einer frühen Charakterisierung der NSDAP vom August 1920, Hitler fessle »allwöchentlich über 3000 Zuhörer aller Stände zwei Stunden lang«.

Vgl. VB vom 22. /23. 4. 1923, »Adolf Hitlers Ehrentag«; Heß, Briefe, Zitat S. 263. 

Belange ist zur Zeit noch so groß, daß er, nachdem# 1930: nachdem ersetzt durch: sobald der Rausch einzelner# 1930: einzelner ersetzt durch: der Kundgebungen vergangen ist, sofort als hemmend in Erscheinung treten würde.

Endlich ist das Ziel aber eben nicht# 1926: ist das Ziel aber eben nicht ersetzt durch: aber ist es nicht das Ziel , eine Umschichtung im an sich nationalen Lager vorzunehmen, sondern ein Gewinnen des antinationalen.63

Und dieser Gesichtspunkt ist auch ausschließlich# 1933: ausschließlich ersetzt durch: schließlich maßgebend für die taktische Einstellung der gesamten Bewegung.

7. Diese einseitige, aber dadurch klare Stellungnahme hat sich auch in der Propaganda der Bewegung auszudrücken und wird anderseits# 1926: anderseits ersetzt durch: andrerseits;
1937: andererseits;
1939: andrerseits;
1944: anderseits [sic!] selber wieder durch propagandistische Gründe gefordert.64

Soll die Propaganda für die Bewegung wirksam sein, muß sie sich nach einer Seite# 1930: eingefügt: allein wenden, da sie im anderen Fall bei der Verschiedenheit der geistigen Vorbildung der beiden in Frage kommenden Lager entweder von der einen Seite nicht verstanden oder von der anderen als selbstverständlich und damit uninteressant abgelehnt würde.

Selbst die Ausdrucksweise und der Ton im einzelnen kann nicht für zwei so extreme Schichten gleich wirksam passen# 1930: passen ersetzt durch: sein . Verzichtet die Propaganda auf die Urwüchsigkeit der Ausdrucksweise, findet sie nicht den Weg zum Empfinden der breiten Masse. Verwendet sie hingegen in Wort und Gebärde die Derbheit des Gefühls der Masse und seiner Äußerungen,# 1944: eingefügt: so wird sie von der sogenannten Intelligenz als roh und ordinär abgelehnt werden# 1930: gestrichen: werden . Es gibt unter hundert sogenannten Rednern kaum zehn, die in der Lage wären, gleich wirksam heute vor einem Publikum aus Straßenfegern, Schlossern, Kanalräumern usw. zu sprechen, um# 1930: um ersetzt durch: und morgen einen Vortrag mit notwendigerweise gleichem gedanklichen# 1937: gedanklichen ersetzt durch: gedanklichem;
1939: gedanklichen;
1944: gedanklichem Inhalt vor einem Auditorium von Hochschulprofessoren und Studenten zu halten. Es gibt aber unter tausend Rednern vielleicht nur einen einzigen, der es dann# 1930: gestrichen: dann fertigbringt, vor Schlossern und Hochschulprofessoren zugleich in einer Form zu sprechen, die beiden Teilen in ihrem Auffassungsvermögen nicht nur entspricht, sondern beide Teile auch gleich wirksam befriedigt# 1930: befriedigt ersetzt durch: beeinflußt oder gar zum rauschenden Sturm des Beifalls mitreißt.65 Man muß sich aber immer vor Augen halten, daß selbst