Die große Lüge <span class="pagenumber">[240]</span>

10 Äußerungen dieser Art waren im Ersten Weltkrieg in der Tat zu lesen und zu hören, blieben jedoch ein linksradikales Randphänomen. In einem Flugblatt vom Mai 1915 erklärte Karl Liebknecht im Namen der Gruppe Internationale: »Der Hauptfeind des deutschen Volkes steht in Deutschland: der deutsche Imperialismus, die deutsche Kriegspartei, die deutsche Geheimdiplomatie. Diesen Feind im eigenen Lande gilt’s für das deutsche Volk zu bekämpfen, […] zusammenwirkend mit dem Proletariat der anderen Länder, dessen Kampf gegen seine heimischen Imperialisten geht. Wir wissen uns eins mit dem deutschen Volk – nichts gemein haben wir mit den deutschen Tirpitzen und Falkenhayns, mit der deutschen Regierung der politischen Unterdrückung, der sozialen Knechtung. Nichts für diese, alles für das deutsche Volk. Alles für das internationale Proletariat, um des deutschen Proletariats, um der getretenen Menschheit willen!« Vorstellungen dieser Art waren in der SPD jedoch – anders als von völkischen Autoren nach 1918 immer wieder behauptet und hier auch von Hitler impliziert – keineswegs mehrheitsfähig. Demonstrativ wurde Liebknecht im Januar 1916 aus der SPD-Reichstagsfraktion ausgeschlossen. Hitlers Ausführungen sind auch ein Reflex auf Publikationen nach 1918, in denen der USPD und KPD nahestehende Autoren stolz vom eigenen Anteil an der revolutionären Beendigung des Kriegs berichteten. Für große Empörung in der Weimarer Rechten sorgte etwa Emil Barths autobiografische Schrift Aus der Werkstatt der deutschen Revolution (1919).

Vgl. Cartarius (Hrsg.), Deutschland, Zitat S. 130 (Herv. i. Orig.); Sammet, Deutschland, S. 193 – 198; Kuhn, Arbeiterbewegung, S. 132; Büttner, Weimar, S. 74 f.

11 Ein antisemitischer Topos, der schon während Hitlers Wiener Jahre verbreitet war. So polemisierte das Alldeutsche Tagblatt am 20. 6. 1908 unter dem Titel »Jüdische Frechheit in der Hofoper« gegen Anhänger des Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler. Nachdem 1906 skandalträchtige, enthüllende Artikel gegen das persönliche Umfeld Wilhelms II. veröffentlicht worden waren, klagte auch dieser in einem Brief an Houston Stewart Chamberlain vom 23. 12. 1907: »Ein trauter Freundeskreis, der auf einmal gesprengt wird durch jüdische Frechheit, Verleumdung und Lüge.« Nach dem Ersten Weltkrieg sahen sich jüdische Autoren oft mit diesem Vorwurf konfrontiert. So schrieb der Völkische Kurier am 21. 7. 1924, unmittelbar nach der Haftentlassung Ernst Tollers: »Der üble Rätejude Toller […] hatte schon zu der Zeit, als er noch hinter den Festungsmauern saß, die jüdische Frechheit, die Welt auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen.« Auch der Völkische Beobachter benutzte häufig diese Wendung. Der Topos wurde jedoch auch parodiert. In Heinrich Manns Roman Der Untertan (1918) echauffiert sich die Hauptfigur Diederich Heßling während einer Aufführung von Wagners Lohengrin etwa über »jüdische Frechheit«, als die Figur Ortrud im 2. Aufzug den Vortritt vor der Hauptfigur Elsa von Brabant verlangt.

Vgl. Chamberlain, Briefe, Bd. 2, Zitat S. 226; Mann, Untertan, Zitat S. 364; VB vom 17. 1. 1920, »Unterm Scheinwerfer«; VB vom 16. 10. 1923, »Jüdische Unverschämtheit«; Frühwald/ Spalek, Toller, Zitat S. 162; Huber, Text, S. 96 f.; Hamann, Wien, S. 92 – 94; Boehncke, Botschaft, S. 202; Anm. 263 in diesem Kapitel.

ausgehe? Haben diese denn# 1930: diese denn ersetzt durch: sie nicht im Gegenteil auf das ernsteste versichert, daß höchstens der »Großkapitalist« ein Interesse an der siegreichen Beendigung des ungeheuren Völkerringens haben könne, niemals aber das deutsche Volk an sich oder gar der deutsche Arbeiter? Ja, erklärten denn diese Weltversöhnungsapostel nicht gerade im Gegenteil, daß durch die deutsche Niederlage nur der »Militarismus« vernichtet, das deutsche Volk aber seine herrlichste Auferstehung feiern würde? Pries man denn# 1926: eingefügt: nicht in diesen Kreisen nicht# 1926: gestrichen: nicht die Güte der Entente und schob man dort nicht die Schuld des ganzen blutigen Ringens auf Deutschland? Hätte man denn# 1926: gestrichen: denn;
1930: eingefügt: es aber dies# 1930: gestrichen: dies zu tun vermocht ohne die Erklärung, daß auch die militärische Niederlage für die Nation ohne besondere Folgen sein würde? War denn nicht die ganze Revolution mit der Phrase verbrämt, daß durch sie der Sieg der deutschen Fahne verhindert würde, dadurch aber das deutsche Volk seiner inneren und auch äußeren Freiheit erst recht entgegengehen werde?10

War dies# 1926: eingefügt: etwa;
1944: wieder gestrichen: etwa nicht etwa# 1926: gestrichen: etwa;
1944: wieder eingefügt: etwa so, ihr elenden und verlogenen Burschen?

Es gehört schon eine wahrhaft jüdische Frechheit11 dazu, nun der militärischen Niederlage die Schuld am Zusammenbruche# 1930: Zusammenbruche ersetzt durch: Zusammenbruch beizumessen, während das Zentralorgan aller Landesverräter, der Berliner »Vorwärts«, doch schrieb, daß das deutsche Volk dieses Mal seine Fahne nicht mehr siegreich nach Hause bringen dürfe!12

Und jetzt soll dies# 1930: dies ersetzt durch: es der Grund unseres Zusammenbruches# 1944: Zusammenbruches ersetzt durch: Zusammenbruchs sein?

Es wäre natürlich ganz wertlos, mit solchen vergeßlichen Lügnern streiten zu wollen, und ich würde deshalb auch gar keine Worte darüber verlieren, wenn nicht dieser Unsinn leider auch von so vielen völlig gedankenlosen Menschen nachgeplappert würde, ohne daß gerade Bosheit oder bewußte Unwahrhaftigkeit dazu die Veranlassung gäbe# 1930: gäbe ersetzt durch: gäben . Weiter aber# 1926: aber ersetzt durch: auch sollen diese Erörterungen für unsere Kämpfer der Aufklärung Hilfsmittel bieten, die ohnehin sehr nötig sind in einer Zeit, da einem das gesprochene Wort oft schon im Munde verdreht zu werden pflegt.

So ist zu der Behauptung, der verlorene Krieg trage die Schuld am deutschen Zusammenbruche, folgendes zu sagen: