Sozialrevolutionäre Partei <span class="pagenumber">[220]</span>

17 Wenn Hitler in einer Rede vor Wirtschaftsführern in Essen am 18. 6. 1926 verkündete, die Wirtschaft »ruhe entweder auf einem kraftvollen Staat oder sie werde bestimmt von Interessen außerhalb des Staates«, so lässt sich aus solchen Bemerkungen kein Desinteresse für wirtschaftliche Fragen ableiten. Vielmehr brachten sie eine dichotomische Vorstellung zum Ausdruck, die schon die deutsche Kriegspropaganda geprägt hatte – englische »Händler« gegen deutsche »Helden«. In einer längeren zeitlichen Perspektive wurzeln Hitlers Vorstellungen in der »Romantischen Schule« der Nationalökonomie um Adam Müller von Nitterdorf sowie der jüngeren »Historischen Schule« um Georg Friedrich Knapp. Müller von Nitterdorf vertrat ein staatswirtschaftliches Konzept, für Knapp und seine Anhänger war wiederum das Geld eine Schöpfung der staatlichen Rechtsordnung und somit von ihr abhängig. Der Wiener Nationalökonom Othmar Spann entwickelte aus Müllers Lehren schließlich seine »universalistische« Volkswirtschaftslehre. Mit dieser begründete er auch seine ständestaatlichen Vorstellungen, die wiederum den maßgeblichen »Wirtschaftsexperten« der NSDAP Gottfried Feder stark beeinflussten.

Vgl. IfZ-Archiv, ED 874/7: Gottfried Feder, Tagebucheinträge vom August 1925; BayHStA, NL Buttmann, 83: Tagebucheintrag vom 7. 2. 1927; BayHStA, MInn 81578: Bericht des Bayerischen Innenministerium vom 31. 1. 1929; Hitler, Reden, Bd. I, Dok. 157, Zitat S. 479; Kerschagl, Entwicklung, S. 267 f.; Turner, Einstellung, S. 90 f.; Barkai, Wirtschaftssystem, S. 62 f., 68 f., 77 f.; Krohn, Geldtheorien, S. 7 – 24; Senft, Tyrannei, S. 35, 37, 41 f.; Kolb, Geschichte, S. 100, 109 f., 114 f.; Janssen, Nationalökonomie, S. 97; Kap. I/4, Anm. 117.

18 Ähnlich hatte Hitler schon früher argumentiert. In seiner Denkschrift zum Ausbau der NSDAP vom Oktober 1922 schrieb er, dass die »Wirtschaft laut geschichtlicher Erfahrung immer eine secundäre [sic!] Erscheinung im Völkerleben ist, gebunden an die primäre Voraussetzung des Staatsgedankens und Staatserhaltungstriebs einer Nation.« Am 24. 4. 1923 äußerte er auf einer NSDAP-Versammlung in München: »Das Kapital ist nicht die Herrin des Staates, sondern sein Diener.« Solche Formulierungen wurden auch von anderen Nationalsozialisten immer wieder verwendet. Gottfried Feder meinte 1923, in einem nationalsozialistischen Staat dürften die Geldinstitute nicht mehr »die Beherrscher der Volkswirtschaft sein, sondern ihre Diener«. Gregor Straßer forderte am 24. 11. 1925 im Reichstag die »Nationalisierung der Wirtschaft« und damit die »Notwendigkeit des restlosen Sieges des Staates, dessen Diener [sic!] die Wirtschaft zu sein hat«. Die »dienende« Rolle der Wirtschaft und das »Primat der Politik« blieben auch für Hitlers späteres Denken und Handeln bestimmend. Wirtschaftliche Autarkie, realisiert durch eine von Deutschland beherrschte Großraumwirtschaft, war nach 1933 eines der zentralen Ziele der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Kriegspolitik, wie etwa seine Denkschrift zum Vierjahresplan von 1936 und seine Geheimansprache vom 5. 11. 1937 belegen.

Vgl. Jäckel/ Kuhn (Hrsg.), Hitler, Dok. 519, Zitat S. 913; Verhandlungen des Reichstags 1918 – 1942, III. Wahlperiode 1924, Bd. 388, Zitate S. 4560 f.; Feder, Staat (1923), Zitat S. 20 (Herv. i. Orig.); Muchow, Nationalsozialismus, S. 113; Treue, Denkschrift, S. 206; Wendt, Großdeutschland, S. 186 – 202; Barkai, Wirtschaftssystem, S. 26, 143, 177; Teichert, Autarkie, S. 206 f.; Tyrell (Hrsg.), Führer, Dok. 14, Zitat S. 47; Abelshauser, Kriegswirtschaft, S. 518 f.; Scherner, Logik, S. 298 f.; Ambrosius, Kriegswirtschaft, S. 334 – 343; Tooze, Ökonomie, S. 261 – 265.

19 Die Unterscheidung zwischen einem arischen »schaffenden« und einem jüdischen »raffenden« Kapital entsprach gängigen antisemitischen Klischees, die einen Gegensatz zwischen Industrie und Landwirtschaft einerseits sowie Banken und Börsen andererseits konstruierten. Diese Dichotomie radikalisierte sich zu einer Deutung, die »dem« Arier einen »schaffenden« und »dem« Juden einen »raffenden« Charakter unterstellte. Damit konnten nicht nur rassistische, sondern auch antikapitalistische Affekte bedient werden, ohne dabei auf linke oder antinationale Argumente zurückgreifen zu müssen.

Vgl. VB vom 16. 10. 1919, »Kultur und Judentum«; Schrönghamer-Heimdal, Judas, S. 31; Feder, Manifest, S. 9; Jung, Sozialismus (1919), S. 73; Fritsch (Hrsg.), Handbuch, S. 27; Corswant, Not, S. 12; Feder, Staat (1923), S. 21, 48; Zehnpfennig, Kampf (2000), S. 154; Zehnpfennig, Kampf (2011), S. 148 f.; Plöckinger, Soldaten, S. 259 – 262; Kap. I/10, Anm. 48. 

20 Gottfried Feder (1883 – 1941) war einer von mehreren national-konservativen Referenten bei diesen Kursen. Als Organisator war zunächst der Historiker und Journalist Fritz Gerlich vorgesehen, der bis Ende der 1920er Jahre in leitender Funktion bei den Münchner Neuesten Nachrichten tätig war. Gerlich sagte jedoch aus Zeitgründen ab. Daraufhin engagierte Hauptmann Karl Mayr als Ersatz den völkischen Publizisten Karl Graf von Bothmer, der vor allem Autoren aus dem Umfeld der Süddeutschen Monatshefte zu den Kursen hinzuzog, darunter auch Feders Schwager, den nationalkonservativen Historiker Karl Alexander von Müller. Feders Vortrag über die »Brechung der Zinsknechtschaft« fand am 15. 7. 1919 statt.

Vgl. IfZ-Archiv, ED 874/1: Gottfried Feder, Tagebucheintrag vom 15. 7. 1919; Plöckinger, Hörer, S. 24 – 29.

21 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das »Börsen- und Finanzkapital« ein zentraler Bezugspunkt der antisemitischen Agitation. Rudolf John Gorsleben etwa schrieb 1919: »Der Krieg hat Siegern und Besiegten die Augen geöffnet über die letzten und tiefsten Zusammenhänge, die schließlich zu dem unsäglichen Brudermord geführt haben. Allein das jüdische Leihkapital der ganzen Welt, die goldene Internationale, triumphiert über Sieger und Besiegte, und ihm sind Sieg oder Niederlage gleich, solange ihm beide Teile verschuldet sind und den ewigen Zins, diese fürchterliche Geißel der Menschheit, zahlen müssen.« Nach Feders Vorstellung sollte der Staat ein Kreditmonopol erhalten, um so die »Zinsknechtschaft« durch die Banken zu beenden. Mit der Ausgabe von unverzinslichen Staatskassenscheinen sollten der Bedarf an Zahlungsmitteln gedeckt und inflationäre Entwicklungen mithilfe ihrer Deckung durch Sachwerte verhindert werden. Gottfried Feder stand mit seinen Vorschlägen in der Tradition der »geldreformerischen« Strömungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, vor allem jener aus Österreich, die stark antisemitisch geprägt waren. Feder selbst bezeichnete den Wiener Ingenieur Wenzel Schober als einen seiner »klarblickenden« Vorläufer. Nach dem Ersten Weltkrieg entfalteten Ansätze, die in einer Reform oder gar Abschaffung der Geldwirtschaft die Lösung der drängenden wirtschaftlichen, sozialen und finanzpolitischen Probleme sahen, beträchtliche Wirkung.

Vgl. Die Republik vom 31. 8. 1919, »Dr. Fr. Endres und die Juden« sowie »Leserbrief« (Zitat); Finanz- und Geldsachen vom 25. 9. 1922, »Völkisches Geldwesen«; Feder, Staat (1923), S. 71; Senft, Volksgeld, S. 14 – 17; Senft, Tyrannei, S. 39 f.; Geyer, Welt, S. 300 – 306; Plöckinger, Soldaten, S. 266 – 270; Kap. I/10, Anm. 48. 

lagen einer Ernährung des deutschen Volkes in der Zukunft. Alle diese Gedanken aber fußten noch auf der Meinung, daß das Kapital in jedem Falle nur das Ergebnis der Arbeit wäre und mithin, wie diese selbst, der Korrektur all jener Faktoren unterläge, die die menschliche Tätigkeit entweder zu fördern oder auch# 1926: gestrichen: auch zu hemmen vermögen. Darin läge dann ja# 1926: gestrichen: ja auch die nationale Bedeutung desselben, indem es selber so vollständig von der Größe der Freiheit# 1926: desselben, indem es selber so vollständig von der Größe der Freiheit ersetzt durch: des Kapitals, daß es selber so vollständig von Größe, Freiheit und Macht des Staates, also der Nation, abhänge, daß diese Gebundenheit allein schon zu einer Förderung des Staates und der Nation von seiten dieses Kapitals führen müsse aus dem einfachen Trieb der Selbsterhaltung bzw. der Weitervermehrung heraus. Dieses Angewiesensein des Kapitals auf den unabhängigen freien Staat zwingt# 1926: zwingt ersetzt durch: zwänge dieses also auch# 1926: gestrichen: auch seinerseits# 1939: seinerseits ersetzt durch: einerseits;
1944: seinerseits , für diese Freiheit, Macht, Stärke usw. der Nation einzutreten.17

Damit aber# 1926: gestrichen: aber war auch die Aufgabe des Staates dem Kapital gegenüber eine verhältnismäßig einfache und klare: er hatte nur dafür zu sorgen, daß dasselbe# 1926: dasselbe ersetzt durch: es Dienerin des Staates bliebe und sich nicht einbilde, Herrin der Nation zu sein. Diese Stellungnahme konnte sich dann in zwei Grenzlinien halten: Erhaltung einer lebensfähigen nationalen und unabhängigen Wirtschaft auf der einen Seite, Sicherung der sozialen Rechte der Arbeitnehmer auf der anderen.18

Den Unterschied dieses reinen Kapitals als letztes Ergebnis der schaffenden Arbeit gegenüber einem Kapital, dessen Existenz und Wesen ausschließlich auf Spekulation beruhen, vermochte ich früher noch nicht mit der wünschenswerten Klarheit zu erkennen. Es fehlte mir hierzu auch# 1926: gestrichen: auch die erste Anregung, die eben nicht an mich herankam.19

Dieses wurde nun auf das gründlichste besorgt von einem der in dem schon erwähnten Kurse vortragenden verschiedenen Herren# 1926: in dem schon erwähnten Kurse vortragenden verschiedenen Herren ersetzt durch: der verschiedenen in dem schon erwähnten Kurse vortragenden Herren : Gottfried Feder.20

Zum ersten Male in meinem Leben vernahm ich nun# 1926: gestrichen: nun eine prinzipielle Auseinandersetzung mit dem internationalen Börsen- und Leihkapital.21

Nachdem ich den ersten Vortrag Feders angehört hatte, zuckte mir auch sofort der Gedanke durch den Kopf, nun auch# 1926: gestrichen: auch den Weg zu